EU-Arbeits- und Sozialminister tagen in Luhačovice

Ministertrefen in Luhačovice (Foto: ČTK)

Am Donnerstag und Freitag fand die erste Veranstaltung der EU-Ratspräsidentschaft außerhalb von Prag statt: Die EU Arbeits- und Sozialminister kamen im mährischen Kurort Luhačovice zu einem informellen Ratstreffen zusammen. Bis auf kleine Schwierigkeiten durch den plötzlichen Wetterumschwung gab es keine Probleme. Solche organisatorischer Art zumindest. Was die Inhalte des zweitägigen Treffens betrifft, hatte sich die tschechische Ratspräsidentschaft viel vorgenommen. Das Ergebnis fiel aber eher ernüchternd aus. Hören Sie mehr von Daniel Kortschak, der für Radio Prag vor Ort war und den heutigen „Schauplatz“ gestaltet hat.

Ministertrefen in Luhačovice  (Foto: ČTK)
Bis kurz vor der Ankunft der Delegationen am Donnerstagnachmittag wurde im mährischen Kurort Luhačovice noch fleißig gearbeitet: Zahlreiche Lastwagen brachten Schotter herbei, Arbeiter gingen mit Straßenwalzen und anderem schweren Gerät ans Werk. Schneefall, Regen und plötzliches Tauwetter hatten den zentralen Lázenské náměstí – den Kurplatz – in einen Schlammsumpf verwandelt. Da kam es nicht ungelegen, dass fast alle Delegationen mit einiger Verspätung eintrafen: Auch die Straßenverhältnisse waren alles andere als günstig.

Doch inhaltlich war von Tauwetter keine Spur. Dabei hatte Tschechiens Arbeits- und Sozialminister Petr Nečas, als derzeitiger Ratsvorsitzender der Gastgeber des informellen Ratstreffens, eine durchaus ambitionierte Tagesordnung für die Verhandlungen zusammengestellt. Gleich nach seiner Ankunft stellte Nečas seine Prioritäten vor:

„Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise ist die Mobilität der Arbeitskräfte wichtig. Mit anderen Worten, die Bereitschaft der Leute, ihren Arbeitgeber zu wechseln, einen anderen Beruf zu erlernen. In Europa hat ein Viertel aller Arbeitskräfte noch nie seinen Arbeitgeber gewechselt. Gerade in Krisenzeiten müssen wir die Leute dazu motivieren, sich weiterzubilden, neues zu erlernen. Damit sie fähig sind, auf die geänderten Bedingungen zu reagieren.“

Petr Nečas  (Foto: ČTK)
Soweit das Thema „interprofessionelle Mobilität“. Besonders wichtig war dem Ratsvorsitzenden Petr Nečas auch das Thema geographische Mobilität. Immer noch haben Bürger aus den 2004 der EU beigetretenen Staaten in Belgien, Dänemark, Deutschland und Österreich keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Tschechien hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach vehement einen Abbau dieser Hürden gefordert. Sie stünden im Widerspruch zu den Grundfreiheiten der Europäischen Union:

„Wir verhandeln sehr intensiv darüber, dass diese Länder diese Beschränkungen abbauen oder zumindest lockern. Bisher waren die Gespräche relativ erfolgreich. Wir werden sehen, wie die Verhandlungen weitergehen.“

Im Mai dieses Jahres laufen die bisherigen Übergangsregelungen aus. Dänemark und zunächst auch Belgien hatten bereits vor einiger Zeit angekündigt, ihre Arbeitsmärkte freizugeben. Deutschland und Österreich hatten sich bisher nicht in die Karten blicken lassen wollen. EU-Komissar Vladimír Špidla, der am Donnerstag sein erstes „Heimspiel“ in Tschechien gab, steht einer Verlängerung kritisch gegenüber. Die betroffenen Staaten brauchten sehr gute Gründe, um ihre Arbeitsmärkte weiterhin abschotten zu können:

„Die Kommission wird Erklärungen und Daten verlangen. Die Verträge besagen, dass die Mitgliedsstaaten Beweise dafür vorlegen müssen, dass es zu einer ernsthaften Störung des Arbeitsmarktes kommt.“

Petr Nečas ergänzte, und fand deutliche Worte:

„Kein Staat hat einen Grund dazu, die Freizügigkeit der Arbeitskräfte zu behindern. Und wir dürfen nicht vergessen, dass auch Rumänien und Bulgarien zu EU gehören. Auch mit diesen Ländern müssen wir solidarisch sein.“

Bürger aus diesen beiden 2007 der Union beigetretenen Staaten treffen noch in zehn EU-Mitgliedsländern auf Barrieren bei der Arbeitssuche.

Eine im Auftrag Tschechiens von der EU-Kommission ausgearbeitete und Ende letzten Jahres veröffentlichte Studie habe klar gezeigt, dass eine Öffnung der Arbeitsmärkte keine negativen Auswirkungen habe. Im Gegenteil, die meisten Länder hätten sogar davon profitiert, so Nečas. Eines der Länder, die 2004 Bürgern aus den neuen EU-Mitgliedsländern sofort vollen Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt haben, ist Schweden. Arbeitsminister Sven Otto Littorin bestätigt die Ergebnisse der Studie:

„Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir haben das evaluiert, denn es gab durchaus Befürchtungen, dass Leute kommen, um unseren Wohlfahrtsstaat auszunützen. Wir haben genau acht – ja, acht – solcher Fälle aufgedeckt. Das ist wirklich lächerlich.“

Doch all die Überzeugungsarbeit war vergebens. Die Länder, die ihrer Arbeitsmärkte weiter abschotten wollen, zeigten sich nicht kompromissbereit. So auch Österreich, das durch den neuen Arbeits- und Sozialminister Rudolf Hundstorfer repräsentiert wurde:

Sven Otto Littorin mit Petr Nečas  (Foto: ČTK)
„Grundsätzlich wird es so sein, dass wir die Übergangsfristen verlängern. Aber, es ist ja nicht so, dass Österreich dicht ist, dass niemand auf den Arbeitsmarkt gelangt. Für 65 Berufe haben wir seit einigen Jahren ein Prozedere, wenn am österreichischen Arbeitsmarkt Menschen aus diesen 65 Berufen fehlen, dann wird für diese spezielle Berufsgruppe geöffnet.“

Dies sind zum Beispiel Berufe im Gastgewerbe, in der Industrie und im Gesundheitswesen. Dort herrscht in Österreich seit Jahren ein Mangel an geeigneten Arbeitskräften. Zudem gebe es Ausnahmen für Saisonarbeiter in Tourismusbetrieben und in der Landwirtschaft, so Hundstorfer. Sonderregelungen gebe es auch für Grenzregionen und so genannte Schlüsselarbeitskräfte in Wirtschaft und Forschung. Angesichts dieser Fülle von Ausnahmen drängt sich die Frage auf, warum Österreich seinen Arbeitsmarkt nicht vollständig freigibt. Der Sozialdemokrat Rudolf Hundstorfer, vor seiner Ernennung zum Arbeits- und Sozialminister Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, erläutert im Gespräch mit Radio Prag die Gründe:

„Wir haben die Frage der Rechtssicherheit und der Tarifverträge zu klären, wir haben zu klären, dass die Menschen hier hereinkommen auch einen ordentlichen Wohnraum haben. Es hilft uns ja nichts, wenn wir überproportional aufgemacht hätten und nicht gewusst hätten, wo leben die Menschen, nicht gewusst hätten, wo arbeiten die Menschen und, und, und. Es geht auch natürlich um das Gefühl eines Verdrängungswettbewerbs, das ist gar keine Frage.“

Gründe genug, um eine weitere Beschränkung des Arbeitsmarkt-Zuganges zu rechtfertigen, mein Minister Hundstorfer. Wie von Kommissar Špidla gefordert, werde man bis Mai dieses Jahres entsprechende Beweise vorlegen.

Die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien waren in der Vergangenheit alles andere als gut. Die Themen Beneš-Dekrete und Temelín sorgten für zahlreiche Konflikte. Erst in jüngster Zeit gab es Schritte zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Nachbarländern. Könnte Österreichs Haltung in derArbeitsmarkt-Frage der nicht zu einer neuen Belastung der tschechisch-österreichischen Beziehungen werden? Dazu Minister Hundstorfer:

„Nein, überhaupt nicht. Tschechien ist jetzt Ratspräsident und muss ein bisschen über den Dingen stehen. Die nachbarschaftlichen Beziehungen sind weiterhin auf hohem Niveau und haben sich, glaube ich, wirklich verbessert.“

Minister Hundstrofer ergänzte, man ziehe in der Arbeitsmarkt-Frage mit Deutschland an einem Strang. Die beiden Länder hätten ihre Verhandlungspositionen abgestimmt. Mit anderen Worten: Auch Deutschland wird seinen Arbeitsmarkt nicht völlig freigeben. Wir hätten darüber gerne auch mit einem Vertreter der deutschen Delegation gesprochen. Doch mehrere Anfragen des tschechischen Rundfunks blieben unbeantwortet, und auch am Rande des Treffens in Luhačovice war Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz zu keiner Stellungnahme bereit. Gegenüber der Presseagentur ČTK bestätigte Scholz die Verlängerung der Arbeitsmarkt-Beschränkungen bis 2011. Dies sei angesichts von drei Millionen Arbeitslosen in Deutschland unabdingbar.

Überraschend ebenfalls für eine Verlängerung ausgeprochen hat sich Belgien. Dies sagte die Ministerin für Arbeit und Chancengleichheit, Joëlle Milquet, im Radio-Prag-Interview.

„In Krisenzeiten mit einer hohen Arbeitslosigkeit versuchen wir natürlich, unsere eigenen Arbeitslosen zu beschäftigen, bevor wird zu viele Leute aus dem Ausland holen.“

Man müsse jede Form von Sozialdumping vermeiden. Zudem sei die alles andere als stabile Fünf-Parteien-Koalition in Belgien in der Frage der Öffnung der Arbeitsmärkte bisher zu keiner Einigung gekommen, so die frankophone Christdemokratin. Für den Fall einer Liberalisierung stellt sie klare Bedingungen:

„Für uns war immer klar, dass eine Öffnung von einer europaweiten Einigung in Asyl- und Immigrationsfragen abhängt. So lange es diese Einigung nicht gibt, wird es bei uns auch keine Freigabe des Arbeitsmarktes geben.“

Ein weiteres heißes Eisen ist die Frage der europaweiten Harmonisierung der Arbeitszeiten. Die Mitgliedsstaaten, das Europäische Parlament und die Kommission haben dazu unterschiedliche Ansichten. Ratsvorsitzender Nečas versprach am Freitag in Luhačovice, sich um einen Kompromiss noch vor den Europawahlen im Juni zu bemühen. Gelingt ihm dies nicht, wird auch diese heiße Kartoffel an Schweden weitergereicht, das im Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt.