Mittelalterliche Kunst aus Böhmen im Agnes-Kloster in Prag
Veselé Vánoce! Frohe Weihnachten! In unserer heutigen Weihnachts-Sondersendung möchten wir Sie zu einer musikalischen und kunstgeschichtlichen Entdeckungsreise ins Mittelalter einladen. Genauer gesagt nach Böhmen im 14. Jahrhundert. Eine Zeit, in der die Marien-Verehrung auch hierzulande einen neuen Höhepunkt erlebte.
Luba Hédlová, wir stehen im Agnes-Kloster in Prag. Was ist das Besondere an diesem Kloster?
„Das Agnes-Kloster ist das erste Klarissenkloster in Böhmen. Es wurde sehr wahrscheinlich im Jahr 1231 von Agnes von Böhmen gegründet. Seit dem Jahr 2000 befindet sich in diesem Kloster eine Sammlung mitteleuropäischer und böhmischer Kunst aus dem Mittelalter. Der erste Teil der Ausstellung zeigt die Entwicklung der böhmischen Kunst – speziell von Tafelbildern und Skulpturen – seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert. Denn im 14. Jahrhundert und um das Jahr 1400 war Böhmen ein sehr bedeutendes Zentrum von Kunst und Kultur für ganz Europa.“
Wir stehen vor einem der ältesten und bedeutendsten Werke der Sammlung.Und zwar ist das das Bild von Mariä Verküdnigung vom Meister des Altars von Vyšši Brod, zu Deutsch Hohenfurth. Könntest Du uns beschreiben, was wir auf diesem Bild sehen?
„Die Ikonographie ist inspiriert von einer Predigt von Bernhard von Clairvaux. Auf diesem Bild sehen wir Maria, die auf der rechten Bildseite auf einem Thron sitzt. Sie hält ein offenes Buch in ihrer Hand. Laut einer apokryphen Erzählung liest sie gerade in diesem Moment der Verkündigung eine Prophezeiung von Jesaja. Ein zweites Buch liegt auf einem Pult neben ihr. Dieses Buch symbolisiert das Neue Testament. Oben auf dem Thron sitzt ein Pfauenpaar. Das weist auf Unsterblichkeit hin. Der Engel der Verkündigung auf der linken Seite des Bildes hält einen Reichsapfel in seiner Hand. Der Erzengel Gabriel spricht zu Maria: ‚Ave Maria, gratia plena, dominus tecum.’ Auf Deutsch etwa ‚Gegrüßt seist Du, Maria, Du bist voller Gnade, Gott sei mit Dir.’ Hinter ihm wachsen eine Lilie und der Baum des Lebens aus der Erde. Die Lilie weist auf die unbefleckte Empfängnis von Maria hin. Oben auf dem Bild sehen wir den Herrn Gott, der in einer Wolke schwebt. Aus dieser Wolke tropft Tau. Mit dem Tau soll die Gerechtigkeit auf die Erde kommen.“Welche Bedeutung hat diese Verkündigungsszene in der christlichen Ikonographie?
„Mit dem Thema der Verkündigung fangen fast alle christologischen und marianischen Zyklen an. Die Verkündigungsszene basiert auf dem Lukas-Evangelium. Der Erzengel Gabriel, der von Gott gesandt wurde, begegnet Maria in Nazareth. Er verkündet ihr die fröhliche Kunde von Gott, dass sie vom Heiligen Geist einen Sohn empfangen soll.“Luba, Du hast uns sehr viel über die Symbole auf dem Bild erzählt und über die Verkündigungsgeschichte erzählt. Aber welche Funktion hatte dieses Bild? Wo hing es beispielsweise?
„Diese Verkündigungsszene ist ikonographisch sehr kompliziert. Sie ist um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden. Diese Bild gehört zu einer Reihe von neun Bildern, die für das Zisterzienserkloster in Hohenfurth bestimmt war. Es könnte ein Retabel gewesen sein. Es gibt aber auch Vermutungen, dass die Bilder vielleicht auf einem Lettner in der Kirche in einer Reihe platziert waren.“
Dieser Zyklus mit neun Bildern stand also vermutlich in einer Kirche im Zisterzienserkloster in Hohenfurth in Südböhmen – und zwar auf entweder auf dem Lettner, also auf der Schranke zwischen dem Chorraum und dem übrigen Kirchenraum, oder eben als Retabel, als Altaraufsatz. Wissen wir denn auch etwas über den Stifter dieses Werkes?„Auf der Geburtsszene sehen wir den Stifter mit dem Wappen der Rosenbergs. Er ist identifziert als Peter I. von Rosenberg. Während der Regierungszeit von König Johann von Luxemburg war er einer der bedeutendsten Männer im ganzen Königreich. Sein Lebensende verbrachte er als Laie in diesem Zisterzienserkloster. Andererseits ist es auch möglich, dass dieser ganze Zyklus mit der Krönung von Karl IV. zusammenhängt. Peter I. hat nämlich an dieser Krönungszeremonie teilgenommen. Darauf kann auch das prunkvolle Gewand des Erzengel auf dem Gemälde hinweisen sowie der Reichsapfel in seiner Hand.“
Wir kennen also den Stifter, wir wissen, wann das Gemälde entstanden ist und ahnen auch, warum es entstanden ist. Aber wie ist das Bild entstanden? Wie haben Künstler im Mittelalter gearbeitet?„Wir wissen, dass Künstler im Mittelalter in Werkstätten gearbeitet haben. Diese Werkstätten war hoch professionalisiert. Es gab zum Beispiel Vergolder, die nur auf dem Hintergrund gearbeitet haben. Deswegen müssen wir immer daran denken, dass eine Bezeichnung wie der ‚Meister vom Hohfurther Altar’ nur Hilfsnamen sind. Wir können keine konkreten Personen dahiner sehen. Diese sind fast immer anonym für uns. Die Namen der Meister sind also nur Hilfskonstrukte, die durchaus auch irreführend sein können. Auf der gleichen Eben wie der Künstler konnten auch der Auftraggeber oder der Konzeptor des Werkes stehen. Der Konzeptor war derjenige, der sich die Konzeption oder den Inhalt ausgedacht hat. Diese Kooperationen von mehrern Künstlern ist zum Beispiel bei diesem Werk sehr offensichtlich. Die Bilderreihe hat nämlich keinen eigene Form.“
Das heißt also, es waren mehrere Künstler am Werk. Was ist denn an diesem Werk das typisch Böhmische? Gibt es das überhaupt?
„Wenn ich böse antworten möchte, sage ich: ‚Nichts’. Das Werk ist vielmehr ein Beispiel der ‚Hofkunst’. Eine Synthese von italienischen und französischen Elementen. Die Herrscher hatten sehr enge Verbindungen untereinander. Das Gemälde ist also ein typisches Beispiel von Kunst am Hof von Johann von Luxemburg.“Die leuchtenden Farben und das leuchtende Gold sind sehr faszinierend. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Bilder Originale sind.
„Dieses Bild ist selbstverständlich restauriert. Aber die Frage nach Originalität von mittelalterlicher Kunst ist an sich sehr interessant. Wir müssen uns hier einer Sache bewusst werden: Originalität, wie wir sie heute verstehen, war im Mittelalter kein Kriterium des Wertes eines Bildes. Im Gegenteil konnte es wünschenwert sein, dass ein Werk einem anderen ähnelt oder auf ein anderes hinweist. Wichtiger waren vielmehr die Tatsächlichkeit nach den Vorstellungen der Religion oder auch die informative Funktion für das vermutliche Publikum.“
Wir stehen jetzt vor dem zweiten Bild, vor einer Votivtafel des Erzbischofs von Wlašim. Was ist das Besondere hieran?
„Das Bild ist in zwei horizontale Felder geteilt. Im unteren Teil sehen wir den Erzbischof, der die Institution des Bischofs aus der Hand des Heiligen Adalbert empfängt. Erzbischof Johann von Wlašim ist im Profil dargestellt – vielleicht deswegen, weil er auf dem linken Auge erblindet war. Auf dem oberen Teil des Bildes ist die Madonna mit dem Kind dargestellt. Vor der Madonna kniet Karl IV. Er wird der Madonna von dem Heiligen Sigismund empfohlen. Der Heilige Sigismund war ein beliebter Landesheiliger in Böhmen, den Karl IV. sehr schätzte. Auf der anderen Seite der Madonna steht der Sohn von Karl IV., Wenzel, der spätere König Wenzel IV.“
Was ist auf diesem Bild den besonders herausragend?
„Sehr interessant ist das Bildnis des Kaisers. Wir können nicht behaupten, dass wir das wahre Antlitz des Kaisers sehen. Das ist ein Komplex seiner indivuellen Gesichtszüge zusammen mit dem idealen Bildnis eines Herrschers in der damaligen Zeit.“
Kaiser Karl IV. ist also auf einem kirchlichen Gemälde abgebildet. Ist das den typisch für das Mittelalter?
„Das ist gerade im Fall von Karl IV. nicht ungewöhnlich. Karl betrachtete sich als auserkorener Herrscher auf einer Stufe mit den alttestamentarischen Königen, zum Beispiel Salomon oder Melchisedech. Er ist also als weiser und gerechter biblischer König dargestellt.“Bei diesem Gemälde handelt es sich um eine Votivtafel. Was versteht man darunter?
„Dieses Wort kommt aus dem Lateinischen. Votum heißt auf Deutsch Gelübde. Eien Votivgabe ist eine Gabe an heiliger Stätte als Dank für die Rettung aus einer Notlage. In diesem Fall vermuten wir, dass das Gemälde ein Dank für die Heilung des König sein könnte. In einer Chronik von Benesch von Weitmühl können wir lesen, dass der König um das Jahr 1371 – als dieses Bild sehr wahrscheinlich entstanden ist – schwer krank war. Seine Frau ging zu dem Grab des Heiligen Sigismund, um für seine Heilung zu beten. Genauso können wir aber auch annehmen, dass das keine richtige Votivtafel ist. Eher können wir die Bezeichnung Devotbild verwenden. Denn wir sehen hier, dass weltliche Personen an einem heiligen Ereignis teilnehmen. Das kann auch auf Harmonie zwischen weltlicher und geistlicher Macht hinweisen.“
Diese Bild wird dem Meister Theodorich von Prag zugeschrieben. Prag war im 14. Jahrhundert eines der Zentren Europas. Karl IV: gilt als bedeutendster Herrscher jener Zeit. Ist dieses Bild denn in einem besonderen böhmischen oder weichen Stil gemalt?„Wir vermuten heute, dass dieses Bild nicht aus der Meisterwerkstatt von Theodorich stammt, sondern aus einer ihm sehr nahen Künstlerwerkstatt. Diese wird allerdings von einer besonderen Form charakterisiert. Die Gesichtszüge der Figuren sind beispielsweise sehr grob. Die Künstler im engen Umfeld von Theodorich verwenden sehr ähnliche formale Elemente. Diese Art der Verbildlichung war in den Hofkreisen der 1360er und 1370er Jahre fast schon obligatorisch.“
Wir stehen vor dem Bild der Madonna mit dem Kind des Meisters des Altars von Wittingau. Auch das ist eines der bedeutendsten Werke dieser Sammlung im Agnes-Kloster. Was für eine Madonna ist das?
Wir sehen eine Halbfigur mit der Madonna, die in ihren Händen das Jesuskind hält. Zu diesem Typ sagen wir Gnadenbild. Diese Werke wurden sehr häufig kopiert, auch noch mehrere Jahrhunderte später. Dieses Bild stammt aus einer Kapelle aus der Burg von Roudnice, zu Deutsch Wittingau, oder aus dem dortigen Augustinerkloster. Das wissen wir nicht genau. Die Madonna hat an ihrer Brust eine Agraffe. Das war eine Stelle für eine Reliquie. Die gibt es dort nicht mehr, aber wir vermuten, dass es sich hier um die Reliquie des Kleides von Maria handelt. Man glaubte also, dass dieses Kleid mit dem Blut Christi befleckt war.
Wieso ist dieses Bild so bedeutend geworden?
„Es gibt eine ganz Reihe von sehr ähnlichen Madonnenbildern. Und dieses Bild hat uns bei deren Typologisierung geholfen. Es gibt zwei unterschiedliche Typen von Gnaden-Madonnen. Der eine ist dieser Roudnice-Typ, der andere Vytus-Typ. Die Unterschiede sind jedoch sehr gering. Das Jesuskind sitzt entweder auf der linken oder auf der rechten Seite des Bildes. Es wendet sich entweder zu dem Zuschauer oder zur Madonna. Der Autor der Roudnice-Madonna war der Meister des Wittingauer Altars. Er hatte eine der bedeutendsten Werkstätten im 14. Jahrhundert. Wir können auch sagen, dass dieser Meister am Anfang des berühmten ‚schönen Stils’ steht. Der ist charakterisiert durch weiche, liebliche Formen und Farben. Dazu kommt eine strahlende Erlesenheit und Geschliffenheit und auch eine sinnliche Schönheit.“Diese Gnaden-Madonna wurde ja auch für die deutsche Kunst in Böhmen wichtig. Warum?
„Ich würde eher sagen, dass die Roudnice-Madonna für die deutsche Kunstgeschichte in Böhmen bedeutend wurde. In der Zwischenkriegszeit und teilweise auch schon vorher gab es deutsche Wissenschaftler, die diese Gnandenbidler als weiche oder auch sinnliche bezeichnet haben. Diesen Stil haben sie als typisch böhmisch oder auch typisch slawisch empfunden. Das müssen wir heute kritisieren, denn wir sollten dieses Konzept nicht im ethnischen, sondern im territorialen Sinne sehen. Das heißt, dass in den Werkstätten oder Künstlerkreisen Leute aus verschiedenen Ländern gerarbeitet haben. Die kamen aus ganz Europa an den Kaiserlichen Hof in Prag. Das konnten auch deutsche Künstler sein. Daher können wir nicht von einem deutschen, böhmischen oder französischen Stil sprechen, sondern eher von einem Kaiserlichen oder Erzbischöflichen Stil.“