In Prag entsteht die Technische Nationalbibliothek

Technische Nationalbibliothek

Seit dem Frühjahr 2007 wird in Tschechien heftig über den Neubau der Nationalbibliothek debattiert. Der gewagte Entwurf von Jan Kaplický und der Standort in der Nähe der Prager Burg spalten die Öffentlichkeit. Ein Ende des Streits ist nicht absehbar. In dessen Schatten ist auf dem Campus der Technischen Hochschulenmim Stadtteil Dejvice für fast zwei Milliarden Kronen ein Bibliotheksneubau entstanden. In ihm findet nicht nur die bisherige Staatliche Technische Bibliothek ihre neue Heimat. Auch die Bibliotheken der beiden technischen Hochschulen werden dort untergebracht. Die Technische Nationalbibliothek steht kurz vor der Fertigstellung. Höchste Zeit für einen Lokalaugenschein. Radio Prag hat die Baustelle besichtigt und mit dem Leiter der Bibliothek, Martin Svoboda gesprochen.

Herr Direktor, wir stehen jetzt hier im neuen Gebäude der Technischen Nationalbibliothek. Wie ist es zum Bau der neuen Bibliothek gekommen?

„Begonnen hat alles vor beinahe 20 Jahren. Vor zehn Jahren begann es dann Gestalt anzunehmen. Damals haben wird dem für uns verantwortlichen Bildungsministerium das konkrete Projekt vorgelegt. Die Sache hatte nur einen kleinen Fehler: Es war nicht klar, wer den Neubau bezahlen sollte. Einen weiteren Regierungsbeschluss gab es dann erst nach dem Hochwasser von 2002, das der Tschechischen Republik große wirtschaftliche Probleme gebracht hat. Annfang 2004 gab es die Finanzierungszusage aus dem Ministerium. Dann ging alles sehr schnell. Anfang 2006 hatten wir die Projektunterlagen fertig und wird konnten mit den Bauarbeiten beginnen. Eine wichtige Etappe habe ich jetzt übersprungen: Den Architekten-Wettbewerb. Der lief noch zu der Zeit ab, als die Finanzierung noch nicht gesichert war. Aber für den Wettbewerb war damals schon genug Geld da. Es war ein regional begrenzter Wettbewerb. Teilnehmen konnten Architekten aus Tschechien, der Slowakei, Deutschland, Polen. Insgesamt wurden 40 Projekte eingereicht. Ausgewählt haben wir einen Entwurf des damals noch nicht sehr bekannten jungen tschechischen Architekten ‚A.K. Architekti’, die sich mittlerweile auf „Projektil Architekti“ umbenannt haben. So begann also das Projekt, seit 2006 bauen wir.“

Wann wird die neue Bibliothek jetzt fertig gestellt und eröffnet werden?

„Wie sie sehen, ist das Gebäude kurz vor der Fertigstellung. Es sind nur mehr einige Kleinigkeiten zu erledigen. Aber gerade dafür braucht man erfahrungsgemäß viel Zeit. Wenn alles klappt, übernehmen wir das Gebäude zum Ende dieses Jahres. Dann beginnt der Umzug. Das bedeutet die Übersiedlung von zweieinhalb Millionen Büchern, jedes davon muss man dabei mehrmals in die Hand nehmen. Hier in der neuen Bibliothek werden sie zur freien Entnahme stehen. Ganz anders also, als zur Zeit im Clementinum und in den Universitätsbibliotheken, wo die Bücher im Magazin stehen. Das wird also eine langwierige Angelegenheit. Wir rechnen damit, dass wir in der neuen Bibliothek mit 1. Juli provisorischen Entlehnbetrieb aufnehmen. Genau dieser Bereich, in dem wir jetzt stehen, wir als erster eröffnet. Hier werden die Leser dann ihre Bücher am Pult ausborgen können, so, wie sie es bisher gewohnt sind. Die feierlicher Eröffnung der technischen Nationalbibliothek planen wir dann mit dem Beginn des neuen akademischen Jahres im September 2009.“

Herr Direktor, sie haben es angesprochen, die Staatliche Technische Bibliothek (Státní technická knihovna) hat ihren Sitz im Clementinum. Und im Clementinum sitzt auch die Tschechische Nationalbibliothek (Národní knihovna). Und auch die plant einen Neubau, über den sehr heftig diskutiert wird. Wäre es nicht möglich gewesen, einen gemeinsamen Neubau zu errichten.

„Das ist ein interessanter Vorschlag, der allerdings schwer zu realisieren gewesen wäre. Die Staatliche Technische Bibliothek ist eine Bibliothek anderen Typs. Die Tschechische Nationalbibliothek hat ganz andere Funktionen. Sie verwaltet vor allem den nationalen Bücher- und Schriftenfonds. Die technische Bibliothek ist hingegen eher eine akademische Bibliothek, die das kauft, was gerade benötigt wird. Nicht mehr aktuelle Bücher schmeißen wir – ganz brutal gesagt – einfach weg. Wir halten unseren Bücherbestand stets aktuell. Natürlich haben wir auch historische Bestände, aber das ist nicht unsere Kernaufgabe. Und ich denke, auch unser Lesepublikum ist ganz ein anderes. Ich habe selbst 10 Jahre in der Nationalbibliothek als Chef der Informationstechnologie-Abteilung gearbeitet. Ich stehe der Tschechischen Nationalbibliothek also wirklich nahe, aber ich denke, die beiden Bibliotheken hätten nicht in einem gemeinsamen Gebäude unterbringen lassen.“

Können Sie uns einigewichtige Neuerungen präsentieren. Was erwartet die Studenten und die Leser hier, sobald die Bibliothek voll in Betrieb geht?

„Die wichtigste Neuerung ist der für tschechische Verhältnisse sehr große Freihand-Bereich, der im Endausbau eine halbe Million Bände umfassen wird. Zu Beginn werden wir etwa die Hälfte davon aufstellen können. Diese Bücher sind völlig frei zugänglich. Gnaz so, wie zuhause: Sie gehen zum Bücherregal, nehmen heraus, was sie brauchen und setzten sich an einen Lesetisch oder in ein Sofa. Wenn sie fertig sind, legen sie die Bücher auf einen speziellen Tisch und ein Mitarbeiter stellt sie ins Regal zurück. Das Angebot an elektronische Medien wie zum Beispiel elektronische Zeitschriften und Datenbanken erweitern wir ebenfalls deutlich. Auch diese Medien werden für alle Benützer frei zugänglich sein. Selbstverständlich gibt es im ganzen Haus drahtlosen Internetzugang und an vielen Leseplätzen auch Anschlüsse für Netzwerk-Kabel. Wenn Sie selbst kein Notebook haben, können Sie sich bei uns eines ausleihen, um unsere elektronischen Angebote zu nützen. Eine weitere Neuerung für Tschechien sind die individuellen Studierräume; Sie können sie da oben im letzten Stockwerk sehen. Insgesamt 29 bieten wir an. Die Studenten können sich so einen Raum für ein paar Stunden, aber auch für ein ganzes Semester mieten. Sie sind ungestört und können ihre Unterlagen dort aufbewahren. Dieses Angebot richtet sich vor allem an Doktoratsstudenten. Auch Gruppenarbeitsräume bieten wir an. Das klingt vielleicht ein wenig paradox, aber eine der wichtigsten Dienstleistungen, die diese Bibliothek anbietet, ist Platz zum Lernen. Die Bedeutung des klassischen papierenen Buchs nimmt immer mehr ab und früher oder später wird es wohl aussterben. Wichtig wird in Zukunft also sein, einen öffnetlichen Ort zum Studium, zur Unterhaltung und zum sozialen Austausch zwischen den Leuten anzubieten.“

Sie haben eine ganze Reihe von Neuerungen angesprochen. Ich habe gelesen, dass Sie auch eine ganz neue Form der Öffnungszeiten planen.

„Neu ist, dass einer der Lesesäle 24 Stunden am Tag geöffnet sein wird. Genauer gesagt 23 Stunden, denn hin und wieder müssen wir auch putzen und zusammenräumen. Ich erinnere mich an meine eigene Studienzeit und sehe das bei meinen Kindern: In den entscheidenden Phasen des Studiums muss man auch über Nacht arbeiten. Deshalb bieten wir diesen Nonstop-Betrieb an. Insgesamt wollen wir so lange wie möglich offen halten. Zunächst wird sich an den allgemeinen Öffnungszeiten wenig ändern. Wie im Clementium werden wir werktags von acht bis 20 und am Samstag von 10 bis 17 Uhr geöffnet haben. Aber wir sind flexibel und passen uns der Nachfrage an. Ein kleines Problem ist, dass hier im Areal zwar je vier Fakultäten der Technischen Universität und der Chemisch-Technischen Hochschule sind. Es gibt aber so gut wie keine Studentenwohnheime. Die Studenten verlassen das Gelände also nach Vorlesungsschluss. Wir hoffen, dass die neue Bibliothek attraktiv genug sein wird, dass sie hierbleiben und erst später am Abend in ihre Unterkünfte fahren.“

Haben Sie sich bei der Planung der Bibliothek auch im Ausland umgesehen, haben Sie sich von anderen Projekten inspirieren lassen?

„Ja sicher. Das ist sehr wichtig. Wir sind so viel wie möglich gereist. Unter anderem haben wir kurz vor dem Beginn der Planungen einige neue Bibliotheken besichtigt. Wir waren zum Beispiel in Berlin in der Bibliothek der TU, der ‚Volkswagen‘-Bibliothek. Wir waren auch in Cottbus, wo Herzog & de Meuron eine sehr schöne neue Bibliothek gebaut haben. Wir haben uns viele wichtige Anregungen geholt. Ich hatte zum Glück auch Gelegenheit, mehere Bibliotheken in den USA zu besichtigen. Das war sehr interessant für uns, denn dort ist die Bibliothek das Herzstück jeder Universität, der wichtigste Ort des Campus. Ich habe dort einen Folder mit einem sehr schönen Spruch bekommen: ‚Niemand hat einen Titel dafür verliehen bekommen, dass er in der Bibliothek studiert hat. Aber ohne das Lernen in der Bibliothek hätte auch niemand einen Titel bekommen.“

Eine weitere Besonderheit der neuen Technischen Nationalbibliothek ist ihre künstlerische Ausgestaltung. Der rumänische Künstler Dan Perjovschi arbeitet im Moment beinahe Tag und Nacht an seinem umfangreichen Werk. Radio Prag hat ihm über die Schulter geschaut. Mehr dazu hören Sie in einer der nächsten Ausgaben unserer Rubrik „Kultursalon“.