Zeitzeugen im Internet – europaweites Projekt aus Tschechien gestartet

In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde eines der weltweit größten Zeitzeugen-Projekte im Internet freigeschaltet. Es ist in Tschechien entstanden und heißt „Paměť národa“, auf Deutsch „Erinnerung des Volkes“. Interessierte Laien wie Fachleute sollen die Webseiten nutzen. Dort schildern mehrere hundert Menschen in Ton und Schrift und manchmal auch per Video ihre Schicksale aus Nazi-Herrschaft, Zweitem Weltkrieg oder aus der Zeit des Kommunismus. Initiiert hat die Webseite der Verein Post bellum – ein Zusammenschluss von Historikern und Journalisten. Partner sind der Tschechische Rundfunk und das Institut für das Studium totalitärer Regime.

„Sie sind schnurstracks auf den Berg hinaufgegangen. Dann fielen zwei Schüsse und sie kommen ohne Karl zurück“, so ein Ausschnitt aus einer der Zeitzeugen-Aussagen. Eine Deutsch-Böhmin schildert einen Mord während der so genannten wilden Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Die meisten Originaltöne auf der Webseite www.pametnaroda.cz (oder: www.memoryofnation.eu) sind jedoch auf Tschechisch. Vor acht Jahren begann der Verein Post bellum diese zu sammeln. Anfangs konzentrierte er sich auf die Lebensgeschichten von Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg.

„Dadurch ist ein ziemlich großes Projekt entstanden. Mittlerweile hat Post bellum als Träger des Projekts etwa 800 Aufnahmen mitgeschnitten. Vor zwei Jahren ist Mikuláš Kroupa, der Chef von Post bellum, dann auf die Idee gekommen, ein Internet-Projekt zu gründen. Die Sammlung von Zeitzeugen-Interviews bildet nun die Basis des Internetportals. Es sind Aussagen von Kriegsveteranen, politischen Gefangenen aus den 50er Jahren, Menschen, die die sowjetische Invasion von 1968 erlebt haben. Langsam bewegen wir uns in der Zeit voran und kommen zu den jüngeren Zeitzeugen, also denen aus den 70er und 80er Jahren“, sagt Ladislav Lindner-Kylar vom Tschechischen Rundfunk.

Lindner-Kylar half dem Projekt mit auf die Beine. Die Audio-Mitschnitte werden ergänzt durch zeitgenössische Fotografien und die Lebensläufe der Zeitzeugen. Alles Mündliche und Schriftliche ist auch ins Englische übersetzt, denn das Projekt hat zwar tschechische Träger, soll aber europaweit funktionieren. 15 Institutionen aus acht Ländern arbeiten bereits mit. Sie haben sich zusammengeschlossen zur – übersetzt - Europäischen Gemeinschaft der Erinnerung. Neue Mitglieder sind willkommen, egal ob wissenschaftliche Institution, Schule, Einzelperson oder andere. Schon demnächst soll die Zeitzeugen-Sammlung anwachsen, wie Mikuláš Kroupa, der Leiter von Post bellum, sagt:

„Wir rechnen damit, dass Anfang 2009 unsere Partner aus der Europäischen Union die Webseiten mit ihren eigenen Zeitzeugen-Sammlungen in den jeweiligen Sprachen ergänzen. Wir haben keine Absprache über die genaue Zahl an Zeitzeugen-Aussagen, die wir in unser Projekt aufnehmen wollen. Unsere Vorstellung ist jedoch, innerhalb der nächsten drei Jahre rund 5000 solcher Interviews zu haben.“

In 14 Tagen werden sich die Projektpartner in Prag erstmals zu einem Fach-Symposium treffen.