Presseeinblick - und: Deutsche Botschaft in Prag eröffnet Internetforum für Botschaftsflüchtlinge von 1989

Es ist wieder Medienspiegelzeit. Heute geht es um ein Ereignis, das vor 19 Jahren die Welt in Bewegung gebracht hat: die Flucht von DDR-Bürgern über die deutsche Botschaft in Prag im Herbst 1989. Die Botschaft hat nun ein Internetforum eingerichtet, in dem sich die Botschaftsflüchtlinge von damals austauschen und vernetzten können. Dazu gleich mehr. Zunächst werfen wir – wie gewohnt - einen Blick in die Tageszeitungen dieser Woche.

Foto: ČTK
Es ist keine Überraschung, wenn auch in der tschechischen Tagespresse die hastigen Entwicklungen in der Finanzkrise tagtägliches Thema sind. Die Zeitung „Lidové noviny“ - druckfrisch: „Tschechen kaufen Gold und Diamanten auf – die Händler führen Wartelisten ein“. Zitiert wird auch ein Numismatiker und Goldmünzenhändler: „In den vergangenen drei Tagen haben wir so viel Gold verkauft, wie sonst in einem Monat.“ Ganzseitig informiert die „Lidové noviny“ ihre Leser aber auch darüber, was der normale Sparer nun mit seinem Geld machen sollte. Das gute alte Sparkonto steht ganz oben.

Václav Havel
Die „Mladá fronta Dnes“ ist früher als andere an besondere Papiere gekommen: Sie dokumentieren den Lauschangriff des kommunistischen Geheimdienstes StB auf den Schriftsteller und späteren Präsidenten Václav Havel. Die Zeitung titelt: „Wie kommt man zu den Havels? Durch ein Loch in der Decke“. Und das schon in den als liberaler geltenden 60er Jahren. Es ist dieselbe Geschichte, wie im Film „Das Leben der anderen“. Nur dass hier ein tschechischer Geheimdienst-Offizier auf dem Dachboden über Havels Wohnung sitzt und sich abhörtechnisch zu ihm durchbohrt.

Nun noch ein kurzer Blick in die Zeitungen zum Thema Kreis- und Senatswahlen, die Ende kommender Woche stattfinden. Die Wirtschaftszeitung „Hospodářské noviny“ bringt in dieser Woche den dritten Teil einer Serie über die interessantesten Wahlkreise bei den anstehenden Senatswahlen: Sie blickt dorthin, wo es kriselt und knirscht und Affären den Kandidaten in die Quere kommen. Am Donnerstag blickte sie nach Brünn, wo eine ODS-Affäre ihre Spuren hinterlassen hat. Und auch die „Právo“ befasst sich mit den Wahlen. Selten bringt sie Beiträge über eine ganze Seite. In der aktuellen Právo-Ausgabe ist das aber anders: ganzseitig lässt die ČSSD, die sozialdemokratische Partei, in riesigen Lettern wissen: „Wir machen das Benzin billiger und schaffen die Gesundheitsgebühren ab“. Darunter: „Hochachtungsvoll, Ihr Jiří Paroubek, Vorsitzender der ČSSD.“ Fast zweieinhalb Seiten füllen die Sozialdemokraten in ihrer – so muss man wohl sagen – Hauszeitung „Právo“. Das Wörtchen „Anzeige“ ist gut getarnt.


Kommen wir zu unserem eigenen Medienschwerpunkt. Vor 19 Jahren, im September 1989 bekamen mehrere tausend DDR-Bürger, die sich in die deutsche Botschaft in Prag geflüchtet hatten, die Ausreise in den Westen bewilligt. Die Deutsche Botschaft hat für sie - aber nicht nur für sie - ein Internetforum eingerichtet. Was es damit auf sich hat, das habe ich den Pressereferenten der Prager Botschaft, Sebastian Gerhardt gefragt.

Herr Gerhardt, die deutsche Botschaft in Prag hat sich ein Internetforum ausgedacht, das an dieses Ereignis vor 19 Jahren erinnern soll. Und zwar schon mit Blick auf das 20-jährige Jubiläum. Was genau ist das für ein Internetforum?

DDR-Flüchtlinge vor der BRD-Botschaft 1989  (Foto: ČTK)
„Die Idee ist, ehemalige Botschaftsflüchtlinge, aber auch Sympathisanten, wieder besser zu vernetzen. Die Botschaft hat 1994 und 1999 größere Veranstaltungen gemacht zum fünften bzw. zehnten Jahrestag des 30. Septembers. Also des Tages, als der damalige Bundesaußenminister Genscher hier auf dem Balkon der ersten Welle von Flüchtlingen verkündet hat, dass die Ausreise in die Bundesrepublik für sie möglich sei. Seit dem ist einige Zeit vergangen. Seit dem sind viele der ehemaligen Botschaftsflüchtlinge, die Interesse haben mit uns in Kontakt zu bleiben, umgezogen. Deshalb sind unsere Adressenbestände geschrumpft, was wir sehr bedauert haben. Das war die eine Motivation. Die andere Motivation war, dass wir immer wieder ehemalige Botschaftsflüchtlinge oder auch Kinder von damaligen Botschaftsflüchtlingen bei uns in der Botschaft zu Gast habe, die sagen: ´Ich möchte das noch mal sehen, wie das heute aussieht, das gehört zu meiner Biografie, das interessiert mich.´ Und wir haben dabei erfahren, dass die Flüchtlinge untereinander sich ganz selten zu kennen, aber alle Interesse hatten, in irgendeiner Weise doch noch einmal Kontakt aufzunehmen. Also das waren die beiden Motive, weshalb wir uns dachten, ein solchen Internforum könnte auf Interesse stoßen.“

Hat die Botschaft denn damals, vor 19 Jahren, schon die ganzen Adressen und Identitäten der bis zu 4000 Flüchtlinge, die hier waren, eigentlich registriert?

„Anfangs ja. Insgesamt waren es ja in drei Wellen über 15.000, davon geht man jedenfalls aus. Das hat am Ende niemand mehr gezählt. Und damit beantwortet sich dann die Frage auch. Wir haben am Anfang natürlich brav registriert. Aber es gab den Moment – vor allem nach der zweiten Flüchtlingswelle, also nach dem 5. Oktober – wo die Ausreise vor allem Anfang November schon so einfach möglich war, dass die Flüchtlinge im Prinzip nur noch von hier aus direkt nach Prag-Libeň an den Vorortbahnhof dirigiert worden sind, von wo aus sie dann direkt, also nicht mehr über die DDR, wie die ersten beiden Flüchtlingswellen, direkt nach Bayern ausreisen konnten.“

Wie ist dieses Internetforum denn gestaltet? Angenommen ich wäre jetzt ein ehemaliger Botschaftsflüchtling und hätte Interesse daran mich zu vernetzen mit anderen und Erinnerungen aufzufrischen, auszutauschen, zu ergänzen. Was finde ich dann vor auf den Seiten der Botschaft in Prag?

„Also es ist ein Projekt, das davon lebt, dass mitgemacht wird. Es ist eine sehr freie Plattform. Auch Sympathisanten sind zugelassen, es ist ein moderiertes Forum.“

Was genau ist ein moderiertes Forum?

DDR-Flüchtlinge vor der BRD-Botschaft 1989  (Foto: ČTK)
„Moderiert bedeutet zunächst mal, dass die Beiträge nicht sofort hineingestellt werden, sondern dass wir uns die Beiträge anschauen. Das ist ein zentrales Erfordernis, damit es auch thematisch einfach stimmt. Aber ansonsten bietet das Forum alle Möglichkeiten. Sie können auch ein Unterforum gründen zu einem speziellen Thema, das ehemalige Flüchtlinge bewegt, oder vielleicht ein Unterforum zum Thema wissenschaftlicher Austausch. Es gibt unseres Wissens noch keine Doktorarbeit zu diesem Thema. Aber es gibt einige Projekte, Ausstellungen, wo man sich austauschen kann. Das sind so die groben Funktionen und ansonsten lebt das Forum natürlich vor allem vom Mitmachen. Was daraus wird, wissen wir nicht. Aber das macht das Projekt ja gerade so spannend. Wir haben ansonsten noch– als kleine Hilfe, aber auch das ist sicherlich nur ein Anfang – Zeitschriftenartikel, Zeitungsartikel und Filme eingestellt; mit den jeweiligen Titeln, ohne den Server schon jetzt mit kompletten Filmen belasten zu wollen. Um zu zeigen, was es eigentlich gibt zu dem Thema Botschaftsflüchtlinge. Es gibt sehr viel, aber wir haben das Gefühl, dass es os einen richtigen Überblick noch selten gibt.“

Ein Ausblick: Im nächsten Jahr heißt es 20 Jahre bewilligte Ausreise der Botschaftsflüchtlinge hier in Prag. Gedenken Sie mit diesem Material, das sie bekommen, das ja eigentlich auch einen unschätzbaren Wert hat, da es sonst nirgendwo publiziert ist – denken Sie daran, damit irgendetwas zu machen? – Vielleicht zu kartografieren, wo die Flüchtlinge sich überall niedergelassen haben, oder andere Publikationen, die das irgendwie festhalten, außerhalb dieses Forums?

„Das sind interessante Gesichtspunkte. Was sich für Projekte ergeben, hängt auch davon ab, inwieweit das Forum genutzt wird. Und da hoffen wir auf das Beste. An Publikationen denkt im Moment noch niemand. Da muss man erst einmal sehen, was für Beiträge wirklich kommen. Aber sicher ist, dass zum 20. Jahrestag zu dem Thema ein großes Medieninteresse und auch ein Interesse der Öffentlichkeit da sein wird. Und da besteht auch die Hoffnung, dass man mit so einem Forum zum Beispiel auch Medienvertretern oder auch Experten, Wissenschaftlern die Möglichkeit geben kann, eine Anfrage direkt über das Forum zu stellen und sich dann dezentral auch mit ehemaligen Flüchtlingen koordinieren und austauschen zu können, wenn der Wunsch auf der Seite der Flüchtlinge besteht.“

www.botschaftsfluechtlinge.de