Kopfwäsche für Fußgänger

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Vorfahrt für Fußgänger. Wenn man diesen Begriff in seiner tschechischen Übersetzung in einen tschechischen Webserver eingibt, muss man sich wundern. Egal auf welchem Server, schon auf den ersten Seiten erhalten Fußgänger dann von Wissenschaftlern, Journalisten oder Bloggern eine Kopfwäsche. Sie würden ohne Vorwarnung auf die Zebrastreifen springen, lautet der Vorwurf. Und daher trügen sie ebenso große Schuld wie die Autofahrer, dass ihresgleichen dort verletzt oder getötet wird.

Als ich vor einiger Zeit in Luzern zu Besuch war, stockte ich an der Bordsteinkante erst einmal: Halten die Autos auch wirklich an? Mein Gastgeber lachte mich aus: Ich sei wirklich schon ziemlich lange in Tschechien. Denn natürlich haben die Autos angehalten, sobald ich nur am Zebrastreifen aufgetaucht bin.

Seit elf Jahren lebe ich in Prag. Vor sieben Jahren erhielten die Fußgänger in Tschechien die Vorfahrt am Zebrastreifen. Doch nichts geschah. Erst als 2006 die neue Straßenverkehrsordnung in Kraft trat mit einem Strafpunktesystem wie der Flensburger Verkehrssünderkartei, war alles anders. Plötzlich hielt jedes zweite Auto am Übergang. Es dauerte aber nur ein paar Wochen, dann kehrte wieder das Recht des Stärkeren auf die tschechischen Straßen zurück.

Auf dem Weg zur Arbeit überquere ich genau fünf Zebrastreifen. Im Gesetz steht: Wenn es offensichtlich ist, dass ein Fußgänger einen Zebrastreifen zum Überqueren einer Straße nutzen will, muss sich der Autofahrer dem Zebrastreifen in solch einer Geschwindigkeit nähern, dass er vorher anhalten kann. Und weiter: Beim Abbiegen muss der Autofahrer damit rechnen, dass ein Fußgänger die Straße überquert, in die er einbiegen will. Der abbiegende Autofahrer ist verpflichtet, dem Fußgänger Vorfahrt zu gewähren (Letzteres im Übrigen auch dann, wenn auf der Straße kein Zebrastreifen ist). Meine Erfahrung ist, dass sehr viele tschechische Autofahrer entweder ihre Pflichten nicht kennen oder sie einfach schamlos missachten.

Derzeit leider mit schweren Folgen. In der ersten Hälfte dieses Jahres hat sich in Tschechien die Zahl der Fußgänger erhöht, die am Zebrasteifen getötet wurden. 13 waren es - gegenüber vier im vergangenen Jahr. 2007 wiederum gab es die höchste Zahl an Unfällen an Zebrastreifen seit 2001 - also seitdem die Vorfahrt für Fußgänger eingeführt wurde. Es waren genau 952 Unfälle.

Immer wieder lese ich in Zeitungs- oder Internetbeiträgen als eine Art Entschuldigung, die tschechische Gesellschaft sei noch nicht reif für die Vorfahrt der Fußgänger. Da frage ich mich: Wann will sie das denn werden? Ich glaube, es braucht auch gar nicht soviel dazu. Vielleicht müssten die tschechischen Medien endlich mal darüber berichten, welche Pflichten die Autofahrer haben und wie man als Autofahrer auch sein eigenes Leben kaputt machen kann, wenn man einen Fußgänger am Zebrastreifen überfährt und vor Gericht für schuldig befunden wird. Ich denke, eine gute Portion Abschreckung könnte helfen.