Im Studentenzimmer - Erlebnisse des Schriftstellers Bruno Brehm in Prag
Im März 1939 war der Schriftsteller Bruno Brehm zu Besuch in Prag, um an der Universität eine Vorlesung zu halten. Er ist in einem Studentenwohnheim untergebracht und die dortige Haushälterin weckt in ihm Erinnerungen an seine Kindheit in der Tschechoslowakei. Darüber erzählt der Schriftsteller in einer Tonaufnahme, die in unserem Archiv erhalten geblieben ist.
Prag, 17. März 1939, zwei Tage nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland. Der Schriftsteller Bruno Brehm, auch unter dem Pseudonym Bruno Clemens bekannt, ist in Prag und soll hier an der Universität eine Vorlesung halten.
„Die Prager deutschen Studenten hatten nicht geduldet, dass ich ein Hotel aufsuche. Ich möge doch auf ihre Bude kommen und dort übernachten. Ich ging also mit den Studenten auf ihre Bude in das alte Barockpalais. Dort sah es nicht viel anders aus als bei Soldaten, die sich im Krieg in einem verlassenen Schloss einquartiert hatten. Vielleicht hatte ich doch ein wenig die Nase gerümpft, jedenfalls beruhigte man mich: Hier müsse ich nicht übernachten, hier seien alle Betten schon belegt, aber nebenan gebe es ein Kämmerchen, in dem sonst ein englischer Student wohne. Das habe man für mich freigemacht, es sei still, rein und gut zu heizen.“
Bruno Brehm, 1892 im heutigen Ljubljana in Slowenien geboren, ist der Sohn eines k.u.k. Offiziers. Seine Kindheit und Jugend verbringt er daher in verschiedenen Garnisonsstädten der damaligen Tschechoslowakei, unter anderem in Pilsen und Prag. Nach seiner Promotion in Kunst- und Urgeschichte lässt er sich 1928 als freier Schriftsteller in Wien nieder. Er wird zu einem bekannten und beliebten Autor, der sich besonders gerne auf nostalgisch-heitere Art mit dem Ende der Monarchie auseinandersetzt. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938 wird Brehm, der politisch NS-konform ist, Ratsherr der Stadt Wien und gründet seine eigene Monatsschrift. Ein gutes Jahr später wacht er in der Kammer des englischen Studenten in Prag auf. Er erinnert sich:
„Kaum graute der Tag, als ich geweckt wurde. Eine kräftige Frau in mittleren Jahren richtete sich vor dem prasselnden Eichenöfchen auf und wünschte mir mit unverkennbarem tschechischen Tonfall einen guten Morgen. Nun möge ich mich durch ihre Anwesenheit nicht stören lassen und ruhig aufstehen. Sie schaue nicht hin, sie sei das schon gewöhnt, auch der Engländer stehe vor ihr auf, ziehe sich vor ihr an und tue so, als ob sie gar nicht da wäre. Ich habe noch Zeit, mein Zug gehe nicht so früh, ich möge ruhig noch ein wenig liegen bleiben, sie werde derweil meine Strümpfe stopfen. Denn Männer, die so alleine herumreisen und lange von ihren Frauen fort sind, haben immer zerrissene Strümpfe oder abgerissene Knöpfe. Ich streckte mich aus, schloss die Augen und war wieder der kleine Bub, dem die tschechische Köchin abends vor dem Einschlafen, wenn die Eltern ins Theater gegangen waren, Geschichten erzählte.“
Erinnerungen an die tschechische Köchin Marie und an seine sorglose Kindheit werden in Brehm geweckt. Vor seinem inneren Auge sieht Brehm die Stätten seiner Jugend vorüberziehen, während die Haushälterin aus ihrem Leben erzählt:
„Sie erzählte mir die ganze Zeit von ihrer Jugend in einem kleinen böhmischen Dorf. Sie hätte nie von daheim fortgehen sollen, aber sie habe in den Dienst gehen müssen, da sie so viele Geschwister gehabt hätte. Wie ein weiches und graues Netz spann sich Wohlwollen über das Zimmer, aus dem Öfchen fiel roter Schein auf den Boden, das Feuer prasselte. Ihr Mann sei ein Kellner, er sei nicht der erste und der einzige gewesen, den sie geliebt habe und von allen Männern seien die Kellner die treulosesten.“
Doch der Schriftsteller muss aufbrechen, um seinen Zug nicht zu verpassen. Er verabschiedet sich von der Haushälterin:
„Ich hätte ihr, um ihr eine Freude zu machen, gerne tschechisch gedankt, aber ich hatte alles vergessen. So lange war ich außer Landes gewesen – die Sprache der Zunge verstand ich nicht mehr, aber die andere, die Sprache des Herzens, die ich so lange nicht vernommen hatte, war mir von Jugend an vertraut.“
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird Bruno Brehm verhaftet, da er sich auch literarisch der Diktion der Nationalsozialisten gebeugt hatte. Kurze Zeit später wird er aber wieder freigelassen, kann an seine früheren schriftstellerischen Erfolge jedoch nicht mehr anknüpfen. Er stirbt 1974 im Alter von 82 Jahren.