Quadratisch, praktisch – gut? Gegenwart und Zukunft des Plattenbaus in Tschechien

Wer in Prag schon einmal auf einen der zahlreichen Türme der Stadt gestiegen ist, der hat sie gesehen, die riesigen Plattenbausiedlungen, die am Horizont wie uneinnehmbare Festungen aufragen. Sie gehören zu den letzten sichtbaren Bastionen des Kommunismus. In Ostdeutschland wurden viele von ihnen abgerissen, wenige umgebaut. Es gab kaum mehr jemanden, der darin wohnen wollte. Am Prager Goethe-Institut haben nun ein deutscher Architekt und ein tschechischer Stadtsoziologe ihre Sicht auf die Platte dargelegt. Quadratisch, praktisch – und immer noch gut?

Plattenbauten  (Illustrationsfoto: Barbora Kmentová)
„Wir nennen das Transformation. Im Grunde schaffen wir neue Bilder und neue Wohn- und Lebenssituationen, die den Menschen angemessener sind. Ich sehe auch die Erfolge in dem Verhalten der Leute selber. Als ich da vor zehn Jahren hinkam, da gab es eine triste und aggressive Stimmung. Und mittlerweile habe sich die Menschen völlig verändert. Sie sind freundlich und laden einen ein, sitzen im Garten. Und dann hat man so das Gefühl, man sitzt so in einer kleinen Siedlung oder einer Gartenstadt und das hat eine menschliche Dimension.“

Und darum geht es dem Architekt Stefan Forster. Er ist Westdeutscher – aus Frankfurt am Main – und hält im Prager Goethe Institut einen Vortrag über seinen Umbau der Platte in Ostdeutschland. Plattenbauten kamen in seinem Leben bis zur Wende kaum vor. Und er mag sie auch nicht.

„Natürlich habe ich eine gewisse Aversion gegen diese Plattenbauten und deswegen gibt es den Zwang sie umzubauen.“

Das Klotzartige löst Forster auf. Er perforiert diese Bauten, nimmt Teile heraus und schafft damit Freiräume. Er gibt den Quadern einen belebten Sockel, wo sich Privatgärten befinden und schafft neue Außenräume für die Bewohner. Farben werden heller, Fenster größer.„Und damit schaffen wir diesen Hauch von Freudigkeit, den wir anstreben“, sagt Forster.

Der Stadtsoziologe Michal Illner lebt selbst in einer Prager Plattenbausiedlung – am Rande der Stadt. Illner bezeichnet sich als Plattenbau-Patriot. Forsters Ansichten, der im Goethe Institut von grauen, stinkenden Plattenbauten spricht, treffen Illner ein wenig. Aber stoisch, wie jemand der auf halbverlorenem Posten wacht, verteidigt er seine Siedlungen.

„Forster hat natürlich nicht in der Tschechischen Republik gelebt und kann sich nicht hineindenken in die hiesige Situation. In Tschechien ist das Plattenbauwohnen so weit verbreitet, dass wir gar nicht mit solch einem Despekt auf diese Art des Wohnens hinabschauen können. Das wäre unter unseren Bedingungen ein bisschen snobistisch,“ sagt Illner auf landesüblich zurückhaltende Art.

Ein Drittel aller Tschechen wohnt in Plattenbauten, zumeist in riesigen Siedlungen am Rande der Städte. Ende der 50er, Anfang der 60er begann man in der Tschechoslowakei mit dem Plattenbau. 30 Jahre währte sie in diesem Land, die Ära der Platte. Anfang der 90er Jahre erblickte die letzte das Licht der Welt. Der Grund, warum Anfang der 60er Jahre so viele Plattenbausiedlungen hochgezogen wurden, war der großer Zustrom von Menschen vom Land in die Stadt. Die Wohnungsnot wurde immer größer.

„Das waren Leute, die in der Industrie, die in dieser Zeit aufgebaut wurde, Arbeit fanden. Und der Staat musste sie irgendwie im Dunstkreis der Städte dauerhaft unterbringen. Dieser Druck war gerade Ende der 50 Jahre am größten. Das kommunistische Regime musste sich zügig etwas einfallen lassen, um den Leuten ein Dach über dem Kopf zu geben.“

Hinzu kam noch ein ideologisch-politischer Gesichtspunkt. Platte bedeutete gleiches Wohnen für alle und Lebensverhältnisse, die sich gut kontrollieren ließen. Das passte ins Konzept des kommunitischen Regimes.

Ein Bürger, dem in den 60er Jahren eine Plattenbauwohnung zugeteilt wurde, bekam nicht selten vor Freude feuchte Augen. Oft waren es Leute vom Land oder aus Kleinstädten, mit kärglichen Wohnverhältnissen. Oder sie kamen aus den verfallenen Altstädten, wo sie mit Kohle heizen mussten und in kleinen, dunklen Räumen hausten.

„Für diese Leute bedeutete der Umzug in einen Plattenbau oft eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Denn sie fanden sich in Wohnungen wieder mit Zentralheizung, mit zentral geregelter Heißwasserzufuhr, mit Gas- und Stromanschluss. Das waren helle Wohnungen mit Fahrstuhl und daher ein großer Schritt nach vorne.“


Typische Hochhäuser in Prag-Modřany
Im Plattenbau wohnte der Parteifunktionär neben dem Arbeiter.

Von Anfang an war die soziale Zusammensetzung in den Plattenbauten gemischt. Da wohnten zumeist Leute mit ganz unterschiedlichen Bildungsgraden und Berufen. Das ist heute noch so. Dennoch verzeichnen wir einen sozial selektiven Wegzug aus den Plattenbausiedlungen in Häuser mit mehr Komfort in den Vorstädten. Menschen, die mittlerweile besser verdienen, verlassen die Platte. Aber dieser Prozess ist noch nicht so stark, dass er die Sozialstruktur massiv verändert hätte.“

In Zukunft könne das aber passieren, sagt Stadtsoziologe Illner. Die Plattenbauten seien alt geworden. Einige über 40 Jahre.

„Leider kümmert man sich oft nicht mehr ausreichend um Reparatur und Instandhaltung. Die Bauten sind also teilweise in einem schlechten Zustand: Die Außenwände sind – das war von Anfang an so – schlecht isoliert. Die Dächer sind schlecht, die Leitungen geben den Geist auf. Man repariert das zwar, aber notdürftig. Außerdem bilden sich zwischen den einzelnen Plattenelementen manchmal Spalten, durch die es hineinregnet und das Heizen wird dadurch auch schwieriger.“

Dennoch: Anders als in Deutschland gibt es in Tschechien noch viele Plattenbausiedlungen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten gepflegt werden. Am frühen Abend zieht sich eine Armada von Mittelklassewagen wie ein Schutzwall um die Wohnquader zusammen. Und so bleibt auch Plattenbau-Patriot Illner erst einmal optimistisch:

„Es wird mit Sicherheit noch einige Zeit anders sein als in Deutschland. Es wird nicht zum Abriss oder zur massenweisen Entvölkerung der Plattenbauten kommen. Langfristig glaube ich allerdings, dass manche Siedlungen eingehen werden, so dass man sie abreißen muss.“

Der westdeutsche Architekt Forster ist nach Prag gekommen, um die Tschechen zu warnen. Man solle nicht die gleichen Fehler machen wie in Deutschland: kostspielige, flächendeckende Sanierungen, und dann werden die Stadtplaner durch den demografischen Faktor eines besseren belehrt.

„Das wollte ich eigentlich mitteilen, dass man anfängt längerfristig strategisch zu denken, weil ich glaube, die Probleme, die wir bei uns in Deutschland haben, werden hier garantiert die gleichen werden. Weil wir immer eine Anpassung der Umstände haben – und durch die Globalisierung sowieso – auch hier gibt es demografische Probleme.“

Das Festhalten an der Platte, die Nostalgie, versteht Forster zwar:

„Ich habe aber kein Verständnis dafür, die Platte nach wie vor gut zu finden. Werd ich nie gutfinden. Geht nicht. Dazu bin ich auch Westdeutscher!“ (lacht)