Das Isergebirge: eine Landschaft im Wandel der Jahre

Das Isergebirge

Das Isergebirge – kaum ein zweites Gebirge in Tschechien hat im letzten Jahrhundert so viele Wandlungen durchgemacht wie dieser Höhenzug in Nordböhmen. Das Isergebirge war einst eine bewohnte Kulturlandschaft. Fast menschenleer war das Gebirge nach dem Krieg. Mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung hat sich die Natur vieles wieder zurückerobert. Tschechen, die sich zu dieser Zeit in der Gegend angesiedelt haben oder ins Gebirge gereist sind, erinnern sich an diese Zeit mit nostalgischen Gefühlen. Denn in den folgenden Jahrzehnten des Kommunismus hat die Natur vor allem unter den Immissionen der Kohlekraftwerke sowie dem Kahlschlag gelitten. Pavel Polák hat Menschen aus dem Isergebirge besucht und mit ihnen über Vergangenes und Gegenwärtiges gesprochen.

„Zum ersten Mal bin ich 1949 ins Isergebirge gekommen. Damals war ich 15. Ich bin dort mit Eltern hingefahren, weil mein Vater in einem Singverein war, der in Horní Polubný eine Hütte besaß. Dort habe ich immer sehr schöne Ferien verbracht. Die Wälder waren ganz anders. Sie waren menschenleer, für mich, der gern allein durch Wälder streifte, war es fantastisch. Damals war die deutsche Bevölkerung bereits ausgesiedelt, vertrieben. Das Gebirge war also seit vier Jahren vereinsamt.“

Das Isergebirge
So erinnert sich der Schriftsteller, pensionierte systematische Zoologe und ehemalige Pfadfinderleiter Miloslav Nevrlý an seine erste Reise in das hügelige Gebirge. Für Nevrlý ist das Isergebirge zu einem lebenslangen Hobby geworden.

„Nach Liberec zog ich 1957, gleich nach meinem Abschluss. Ich hatte eine Stellenzuweisung für die Stadt erhalten, wo ich dann im naturwissenschaftlichen Museum gearbeitet habe. Dort auf seinen Fluren lagen viele deutsche Bücher, Landkarten, Reiseführer und landeskundliche Zeitschriften herum. Und ich begann sie zu sortieren und zu lesen. Alles, was ich in den Büchern las, habe ich dann bei vielen einsamen Wanderungen in den Bergen überprüft. Wissen Sie, ich hatte damals im Museum viel Zeit, das war eine recht adelige Beschäftigung. Und umgekehrt: Was ich in den Bergen fand, habe ich in alten Karten und Zeitschriften gesucht, um die Geschichte einzelner Hütten, Siedlungen oder Weiler zu erfahren.“

Miloslav Nevrlý hat eine Unmenge von Erkenntnissen über das Gebirge gesammelt. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass er diesen Höhenzug für die Tschechen wieder entdeckt hat. Nevrlý hat alles in seinem Buch niedergeschrieben, das einen sehr schlichten Namen trägt: „Das Buch über das Isergebirge“. Damit hat er viele Interessenten für diese nordböhmische Berglandschaft gewonnen.

„Damals, als das Buch herauskam – das war 1976 – hatten einige Leute eine schlechte Beziehung zu den Baudenkmälern, von denen es viele im Gebirge gab. Sie hielten sie für etwas allzu Religiöses. Auf den Wegkreuzen waren überdies oft deutsche Inschriften. Und die Leute hatten wahrscheinlich ein Gefühl, dass sie tapfer gegen Religion sowie die Germanen kämpften, wenn sie die Denkmäler zu Grunde richteten. Aber das war die größte Barbarei, die sie begehen konnten.“

Liberec
Nicht einmal 20 Kilometer von Liberec entfernt liegt ebenfalls am Fuß des Isergebirges eine kleinere Stadt: Jablonec nad Nisou / Gablonz. Dort wurde Otokar Simm kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. In seiner Heimatstadt lebt er bis heute.

„Ich erinnere mich an das Isergebirge in dem Zustand, in dem es schon lange nicht mehr ist. Ich freue mich sehr, dass ich es in seiner vollen Schönheit erlebt habe. Das ist ein Wert, der in mir für immer bleibt. Das Isergebirge, bedeckt mit unendlichen Wäldern. Es war eine wunderschöne Zeit vieler Entdeckungen. Wir suchten mithilfe der alten Karten nach Felsen, Jagdhütten und selbstverständlich Wegekreuzen. Das ist etwas, was nie wieder zurückkommen kann. Ich habe die ökologische Katastrophe als Augenzeuge direkt miterlebt. Wälder begannen in den 70ern langsam zu verschwinden, schwere Technik fuhr in die Wälder hinein, es wurden brutal neue Wege und Straßen gebaut. Auch die Waldnutzung verlief nicht rücksichtsvoll. Und das hat den Menschen und seine Beziehung zur Natur beinflusst“, sagt Otokar Simm.

Otokar Simm, genauso wie Miloslav Nevrlý, machte nicht nur zahlreiche Spaziergänge in die Berge. Auch er wollte über das Leben im Gebirge und das Gebirge selbst mehr erfahren.

Jablonec nad Nisou  (Foto: Matěj Baťha,  CC BY-SA 3.0 Unported)
„Wie ich dazu gekommen bin?“ fragt sich Otokar Simm. „Ich glaube, das hat meine Liebe zum Isergebirge verursacht. Lange bevor ich zu publizieren begann, habe ich mich mit landeskundlicher Literatur befasst. Sie war selbstverständlich deutsch geschrieben. Ich breitete lauter Jahrbücher des alten Gebirgsverein um mich aus und mit einem Wörterbuch in der Hand versuchte ich mich durch Texte beißen, die ich nur teilweise verstand. Das hat mich immer geärgert. Die Liebe zu diesen Bergen hat mich also dazu gebracht, dass ich von ihnen mehr wissen wollte, als man in der Wanderkarte aus den 60ern lesen konnte. Darin waren nur wenige Wanderstrecken verzeichnet und das andere war entweder absichtlich oder unabsichtlich verheimlicht.“

Otokar Simm ist Mitglied des Gebirgsvereins für den Jeschken und das Isergebirge. Gegründet wurde der Verein 1996 und ist sehr aktiv. Bis jetzt hat er viele landeskundliche Bücher herausgebracht. Er beschäftigt sich aber nicht nur mit Büchern. Auch Naturschutz gehört zu den Hauptaktivitäten des Vereins. Wanderwege, Wegweiser und Aussichtspunkte werden vom ihm ausgebessert. Der heutige Verein knüpft damit an seinen Vorgänger an.

Das Isergebirge
„Der alte Verein – der deutsche Gebirgsverein – hatte eine lange Tradition. Er wurde 1884 gegründet und ging erst im Krieg um das Jahr 1942 ein. Es war ein ziemlich aktiver Verein. In den ersten zwei Jahren hatte er 1500 Mitglieder, was aus unserer Sicht eine sehr hohe Zahl ist. Ich glaube, das lag vor allem daran, dass damals eine goldene Zeit der Vereine herrschte. Das hing mit den gesellschaftlichen Lockerungen nach 1848 zusammen, vor diesem Jahr war die Bildung von Vereinen verboten. Zuerst hat man dann Sing-, Kultur- und Naturvereine gegründet. Um 1880 sind viele Gebirgsvereine in den Grenzgebieten, aber auch im Landesinneren entstanden. Am meisten gab es sie jedoch nahe der Grenze, weil die Gebirgsvereine hauptsächlich mit der deutschen Bevölkerung verbunden waren“, so Otokar Simm.

„Seine Haupttätigkeit war das Bauen von Wegen und Wegweisern. Die Anfänge des Vereins waren mit der Sehnsucht verbunden, sich mit einem eigenen Aussichtsturm zu präsentieren. Die Folgen sieht man bis heute. Allein rund um Jablonec gibt es heute zehn Aussichtstürme. Dem Verein traten die Persönlichkeiten der Region bei, wohlhabende Industrielle. Es war einfach eine Sache des Prestiges, Mitglied des Gebirgsvereins zu sein.“

Das Isergebirge
Wir haben bereits gehört, wie sich das Isergebirge im vergangenen Jahrhundert verändert hat. von einer Kulturlandschaft, in der Menschen zu Hause waren, zur wilden Natur nach dem Krieg, in der man tagelang keinen Menschen traf. In den 70ern wurden die Wälder durch die Immissionen der Kohlenkraftwerke in Polen und Deutschland und durch den rücksichtslosen Holzschlag zerstört. Man baute Asphaltstraßen mitten durch das Gebirge. Heute erlebt das Isergebirge einen touristischen Boom: Im Sommer rasen auf den Asphaltwegen tausende Radfahrer und im Winter in der weißen Spur genauso viele Skiläufer. Von Stille im Wald kann keine Rede sein.

Wer das Isergebirge vorher kannte, kann sich mit seinem heutigen Zustand nur sehr schwer abfinden.

Das Isergebirge
Miloslav Nevrlý sagt: „Ich rede nicht gerne darüber, weil ich das Gefühl habe, dass ich den Leuten von heute irgendwelche Ideale vortäusche. Das Isergebirge von damals ist verschwunden. Die Wälder wachsen jetzt nach, die deutschen Kraftwerke sind mittlerweile geschlossen, in Polen gibt es nur noch einige. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich die Natur im Gebirge wieder erholen, aber ich werde dies bestimmt nicht mehr erleben.“

Wenn man die Berge von damals kennt, hat man sie dann heute weniger gern?

„Nein, das bestimmt nicht“, sagt Otokar Simm. „Ich versuche aber solche Plätze zu suchen, an denen ich allein sein kann. Und das sind die felsigen Gegenden, dort trifft man auch heute ganz wenige Leute. Auch heute habe ich also noch eine besondere Beziehung zu dem Gebirge, und das wird immer so bleiben. Aber die Beziehung ändert sich auch ein bisschen. Die ehemalige Schönheit des Gebirges ist unwiederbringlich weg und es ist mir klar, dass sie nie wieder zurückkommt. Man muss eine andere suchen, irgendwelchen Ersatz. Ich suche die Schönheit auch in anderen Bergen, nicht nur hier bei uns. Aber ich kehre immer gern ins Isergebirge zurück. Egal, wo ich gerade bin, ich kann es kaum erwarten, dass ich nach der Heimreise zuerst ins Isergebirge gehe. Das wird immer mein erster Spaziergang sein.“

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