Gezerre um EU-Vertrag: Regierungspolitiker wollen vors Verfassungsgericht

Foto: Europäische Kommission

Sechs Jahre Streit sollen mit dem neuen EU-Vertrag von Lissabon vergessen gemacht werden. Am Donnerstag vergangener Woche wurde das Dokument von den 27 europäischen Regierungschefs unterzeichnet. Noch ist aber die Tinte der Unterschriften nicht getrocknet, schon geht das politische Ziehen und Zerren um den Vertrag weiter. Der Ratifizierungsprozess steht an. Wer soll entscheiden: das Parlament oder die Bürger? Das ist die Frage. In Tschechien wollen zudem die als EU-kritisch bekannten Bürgerdemokraten den Vertrag vom Verfassungsgericht prüfen lassen.

Premier Mirek Topolánek,  links  (Foto: ČTK)
Feierlich ging es zu, als Premier Mirek Topolánek zur Unterzeichnung des Vertragwerks schritt. Doch der Ratifizierungsprozess wird erneut politische Knochenarbeit bedeuten. Tschechien hat schließlich noch nicht entschieden, auf welchem Weg der Vertrag ratifiziert werden soll. Wie in den meisten anderen 27 EU-Ländern gibt es zwei Möglichkeiten: Parlament oder Referendum. Die zweite Variante gilt allgemein als unsicher. Gezeigt hatte sich dies in Frankreich und den Niederlanden. In beiden Ländern stimmten die Bürger vor zwei Jahren gegen den ursprünglich geplanten EU-Verfassungsvertrag. Wie Tschechien zur Frage „Parlament oder Referendum“ steht, dazu Europa-Fachmann Jan Karlas vom Institut für internationale Beziehungen in Prag:

„In Tschechien wurde diese Frage im Hinblick auf den EU-Verfassungsvertrag heiß diskutiert. Damals war ein bedeutender Teil des politischen Spektrums für die Ausschreibung eines Referendums. Jetzt, im Fall des Vertrags von Lissabon, ist das anders: Eine klare Mehrheit der Parlamentarier spricht sich für eine Ratifizierung im Parlament aus.“

Foto: Europäische Kommission
Obwohl also eine Befragung der Bürger unwahrscheinlich ist, könnte der Ratifizierungsprozess des Vertrags von Lissabon dennoch schwieriger werden als angenommen. Premier Topoláneks Kollegen aus der Bürgerdemokratischen Partei wollen nämlich das Verfassungsgericht einschalten. Und das macht die Lage sehr unübersichtlich. Manche Politologen zweifeln, dass das Verfassungsgericht überhaupt bereits vor seiner Ratifizierung über den Vertrag urteilen kann. Der Vizepremier für Europafragen, Alexandr Vondra, sieht dem Treiben der bürgerdemokratischen Aufrührer wiederum gelassen entgegen.

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Würde das Verfassungsgericht etwas beanstanden, so sagte er in einer Live-Schaltung aus Brüssel, „dann käme die Frage auf, wie wir weiter vorgehen: ob wir unsere Verfassungsordnung in irgendeiner Weise novellieren oder etwas anderes machen. Ich denke aber, dass das vorzeitig ist. Letztlich nehme ich bei all den Studien, die uns zur Verfügung stehen, nicht an, dass sich das Verfassungsgericht zum Vertrag negativ äußern wird.“

Gängige Praxis ist jedoch der Gang vors Verfassungsgericht in der Europäischen Union nicht, wie Politologe Karlas aufklärt:

„Das geschieht nicht häufig, man könnte auch sagen, fast nie. Gerade mit dem EU-Verfassungsvertrag ist es aber zu Ähnlichem in Deutschland gekommen. Nachdem er bereits vom Parlament verabschiedet war, ließ ihn einer der Abgeordneten noch vom Bundesverfassungsgericht beurteilen. Das ist in gewisser Weise ein Präzedenzfall, der aber gerade in der letzten Phase der Reform der europäischen Institutionen aufgetaucht ist.“