Der Herr der Flöhe und die Schatzsucher - Flohmarkt in Prag

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Wer Brauchbares sucht und vor allem Nichtbrauchbares schätzt, der sollte sich auf dem Flohmarkt im neunten Prager Stadtbezirk Vysocany umschauen. Zu sehen bekommt man mehr als einen Flohmarkt. Das alte Werksgelände an der Kolbenova-Straße ist am Wochenende eine Welt für sich und ein Magnet für tausende Tschechen und andere Landsleute. Christian Rühmkorf ist für unsere Sendereihe "Forum Gesellschaft"über den Flohmarkt geschlendert.

Lukas Svoboda
Sonntagmorgen 8:00 In der Metro auf der gelben Linie B stadtauswärts nach Cerny Most müssen die Leute stehen. Dicht an dicht. Die Gesellschaft der Fahrgäste ist ein buntes Volk. An der Station Kolbenova leert sich die Metro schlagartig und ein Strom von Menschen ergießt aus dem U-Bahntunnel in Richtung stillgelegtes Betriebsgelände der Straßenbahnfabrik CKD. Es ist Flohmarktzeit - Blesi trh, wie die Tschechen sagen.

"Als ich noch klein war, habe ich einem Freund für 200 Kronen ein Fahrrad abgekauft, kurz neu lackiert und für 1000 Kronen wieder verkauft. Das war ein gutes Geschäft." Der rotblonde Mittzwanziger sitzt am Eingang des Flohmarktes auf einem Barhocker und lacht. Früher hat Lukas Svoboda selber einen Stand gehabt und verkauft - heute ist er der Herr der Flöhe:

"Ich habe verkauft, was ich halt so crunda nenne. Alles, was ich zu Hause gefunden habe und nicht mehr brauchte. Dann haben wir irgendwann Kosmetikartikel und so weiter verkauft. Alles, was wir irgendwo billig kaufen und teurer verkaufen konnten. Früher haben wir auf dem Flohmarkt verkauft, jetzt sind wir die Veranstalter."

Prager Flohmarkt Kolbenova
Auch eine Art Karriere - auf der Flohleiter. Der Flohmarkt an der Kolbenova in Prag ist der größte in der Republik und einer der größten in Europa. Jedes Wochenende kommen bis zu 10.000 Menschen hierher - alle auf der Jagd nach dem guten Geschäft, nach dem Schnäppchen. Und da gilt ganz besonders: "Morgenstund hat Gold im Mund", erklärt Lukas Svoboda:

"Wir öffnen um 5:30 Uhr, die ersten Verkäufer treffen sich manchmal schon um 5 Uhr. Spätestens sollte man aber um 8 Uhr hier sein. Das geht das ganze Jahr über, jeden Samstag und Sonntag, ob´s regnet, schneit oder stürmt - einfach immer. Gestern hatten wir hier Überschwemmungen und trotzdem sind die Leute gekommen - wir hatten hier richtige Teiche."

Foto: Autor
Apropos - Gold im Mund. Das haben hier viele. Ganz besonders die Ukrainer und die Albaner, die schon früh morgens bei goldgelbem Bier und glasklarem Feuerwasser Hände schütteln und Neuigkeiten austauschen. Aber der Flohmarkt ist nicht nur eine Gesellschaft der Randständigen am Rande der Stadt, wie Lukas Svoboda erzählt:

"Hier verkaufen alle möglichen Leute, vom Obdachlosen bis zum Juristen, ob arm ob reich oder Mittelschicht - alle treffen hier aufeinander. Da vorne zum Beispiel verkauft ein Jurist irgendwelche Uhren. Das ist kein Händler. Der kommt einfach hierher, um sich am Wochenende zu unterhalten - und vor seiner Frau zu flüchten."

Der 83-jährigen Petr Bohdanov mit einem graugelben Rauschebart sitzt bei lautstarkem Radio vor einem Deckchen. Darauf ausgebreitet echter Krimskram. Vom Verlängerungskabel über den ausgedienten Wecker bis hin zum Rasiermesser und hölzernen Schmuckkästchen.

"Die Sachen habe ich gesammelt und auch vom bulgarischen König bekommen. Und jetzt verkaufe ich sie." Er lacht zahnlos. Bohdanov ist 1956 aus Bulgarien eingewandert. Er kommt jedes Wochenende auf den Flohmarkt:

"Ich bin schon alt und bekomme nur eine sehr kleine Rente, die nicht reicht. Und hier verdiene ich mir ein paar Kronen dazu. Ich brauche auch nicht viel. Aber ich war eben gewohnt immer zu arbeiten. Ich kann nicht zu Hause rumsitzen. Und solange die Gesundheit das mitmacht - warum nicht!"

Zu kaufen gibt es hier tatsächlich alles. Den Handel mit Raubkopien von DVDs und CDs konnte Lukas Svoboda aber gemeinsam mit der Polizei - wenn auch nicht aus der Welt schaffen - so doch vom Flohmarkt fernhalten. Was es hier aber noch haufenweise zu kaufen gibt, sind manchmal herzzerreißend einfache Kopien von Marken- und Luxusartikeln. Wer wirklich originell sein will, besprüht sich eben nicht mit Hugo Boss, sondern mit Hogu Boos. Und auch Joop hat mittlerweile fast jeder, aber ein Fläschchen Japp, das bekommt man nur hier, auf dem Flohmarkt an der Kolbenova. Und wer sich aufputschen will, um sich hier richtig ins Getümmel zu werfen, der kauft eine Dose "Red Devil". Die ist mit 10 Kronen - 35 Cent - auch wesentlich günstiger als ihr Original "Red Bull", könnte allerdings auch ungeahnte Nebenwirkungen haben.

Flohmarkt, sagt Lukas Svoboda, das ist eine kulturelle Veranstaltung.

"Die Leute sehen das so. Sie fahren zum Beispiel einmal im Monat nicht auf ihr Wochenendhäuschen, sondern kommen eben zu uns auf den Flohmarkt. Oder statt den Zoo zu besuchen, statt ins Einkaufszentrum zu fahren, kommen sie hierher. Das ist Entspannung für sie. Das ist hier eine ganz andere Welt. Viel bunter. Dann trinken sie hier ein Bierchen. Einige Ukrainer ein paar zu viel. Und die müssen wir dann manchmal zu viert wegschleppen. Das passiert eben. Am Sonntag nach der Arbeit. Da ruhen sie sich aus."

Der Flohmarkt ist für viele Ukrainer aber nicht nur Erholung nach der Arbeit. Er dient für viele als eine Art Arbeitsamt.

"Vor allem am Sonntag treffen sich hier die Jungs aus dem Osten, aus der Ukraine. Hier vereinbaren sie dann ihre Arbeit für die nächste Woche. Hier kommen sie Bosse her und teilen sie dann für die Arbeit auf´m Bau ein und so weiter."

Schwarzarbeit versteht sich. Aber Lukas Svoboda grinst und zuckt mit den Achseln:

"Für uns ist das absolut in Ordnung. Wir verdienen am Bier, das sie hier trinken und an der Bratwurst. Und wir sind zufrieden, wenn sie keine Probleme machen. Manchmal kommt das vor, aber das regeln wir dann schon."

Svoboda grinst wie ein kleiner Junge. Das vergeht ihm allerdings, wenn er an die Zukunft denkt. Bald will auf dem Gelände ein Investor bauen. Der Flohmarkt muss also wieder einen neuen Platz suchen und weiterziehen. Das ist aber alles andere als einfach, wie Lukas Svoboda erzählt.

"Wenn wir einen neuen Platz finden, dann haben wir immer Probleme mit den Ämtern, weil uns niemand haben will. Flohmarkt, das ist für die eben was Schlechtes. Und wenn ich irgendwo auf´s Amt gehe, dann kehren sie uns den Rücken zu. Die wollen mit uns einfach nichts zu schaffen haben. Und ich erkläre dann, dass ein Flohmarkt überall in Europa, und vor allem in Deutschland und den Niederlanden, eine völlig normale Veranstaltung ist. Hier in Tschechien gilt das eben noch nicht."

Aber mit dem hiesigen Rathaus im Stadtteil Prag 9 klappt die Zusammenarbeit. Und der Bezirk bekommt 20 Prozent der Eintrittsgelder. Das sind jährlich immerhin über eine halbe Million Kronen. Vielleicht reizt das die Ratsherren in dem Stadtteil, wo der Flohmarkt künftig ein neues zu Hause findet. Aber Flöhe setzt sich natürlich keiner gerne in Fell.

Fotos: Martina Stejskalova