Das Abzockerparadies: Spiel-Hölle Tschechien
98,1 Milliarden Kronen hat die tschechische Glücksspielbranche im vergangenen Jahr umgesetzt. Im Durchschnitt hat damit jeder erwachsene Tscheche einen halben Monatslohn in Spielhallen, Casinos und Wettbüros gelassen. In den letzten fünf Jahren ist der Umsatz um ein Drittel gewachsen. Unabtrennbare Bestandteile: Kriminalität, Geldwäsche und organisiertes Verbrechen. Der Gesetzgeber drückt beide Augen zu. Jetzt beginnen die Kommunen, sich zu wehren.
"Die Hauptprobleme sind die Störung der öffentliche Ordnung, um die sich dann die Polizei kümmern muss, der negative Einfluss auf die Jugend, wenn die Automaten etwa in der Nähe von Schulen stehen und die sozialen Probleme, die Auswirkungen auf die Familien und ähnliches."
Und die steigende Kriminalität. Rund die Hälfte der Glückspiel-Einsätze stammt aus Straftaten, schätzt die Polizei. Praktisch alle Hintermänner des Glücksspiels haben Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Fünf tschechische Kommunen haben nun einen Verband der Städte und Gemeinden gegen das Glücksspiel gegründet. Von der Regierung fühlen sie sich im Stich gelassen. Der Hintergrund: Bislang konnten die Gemeinden mit kommunalen Verordnungen wenigstens die Aufstellung von Spielautomaten regeln. Für die neuartigen Videoterminals gilt das nicht. Was Pavel Klepacek, Zweiter Bürgermeister im westböhmischen As / Asch, berichtet, ist ein Problem für viele Gemeinden:
"Zu den schlimmsten Zeiten hatten wir 255 Spielautomaten. Das haben wir jetzt zurückgedrängt, und jetzt kommen die Videoterminals. Die werden vom Finanzministerium genehmigt und wir können dagegen praktisch nichts machen. Wir wissen nicht einmal wie viele wir in der Stadt haben, wir bekommen davon keine einzige Kronen, sondern nur die Probleme: Erhöhte Kriminalität Spielsucht, Prostitution und so weiter."Die interaktiven Videoterminals sind dabei mehr als nur ein neuer Name für den Automaten. Sie heben das Problem auf eine neue Ebene, warnt Senator Josef Novotny, der sich seit Jahren mit der Glücksspielbranche in Tschechien beschäftigt:
"Bei den neuen Spielformen kostet ein Spiel durchschnittlich 70 Kronen, also 2,50 Euro. Bei den klassischen Spielautomaten zahlt man in der Kneipe zwei Kronen, fünf in einer Automatenspielstube und 50 Kronen im Casino. Und jetzt also 70 Kronen in der Pizzeria, im Einkaufszentrum, an Tankstellen - überall!"
Woher kommt die beispiellose Freizügigkeit, mit der sich das Glücksspiel in Tschechien ausbreiten kann? Grundstein des Übels ist die Privatisierung des ehemaligen Lotterie-Monopolisten Sazka, meint Senator Josef Novotny. Dessen Gewinne sind traditionell in den tschechischen Sport geflossen, und nach der Wende haben die Sportverbände den Glücksspiel-Giganten übernommen:
"Eine Privatisierung der Lotterien, das hat es sonst nirgendwo auf der Welt gegeben. Die Lottogesellschaft Sazka ist in das Eigentum der Sportverbände übergegangen, die haben für sich Vorteile durchgesetzt und damit die ganze Glücksspielbranche nachgezogen. Nach der Wende war Sazka der einzige Glücksspielanbieter, heute hat die Gesellschaft nur noch einen Marktanteil von sieben Prozent, und der Markt wird von derzeit rund 600 weiteren Firmen überschwemmt. Das ist eine Zahl ohne Vergleich - im ganzen übrigen Europa zusammen gibt es nicht so viele Glücksspielanbieter wie in Tschechien!"Die Folgen sind fatal: Spielsucht, Überschuldung, zerbrochene Familien. Jeder fünfte 16-Jährige lässt sein Geld mindestens gelegentlich im Spielautomaten. Und rund ein Drittel der Selbstmorde geht auf das Konto der Spielsucht, meint Senator Josef Novotny - 600 Menschenleben jährlich:
"Die Auswirkungen und die gesellschaftlichen Gesamtkosten werden auf rund 30 Milliarden Kronen geschätzt - das sind Kosten im Sozialbereich, Kosten, die durch Straftaten entstehen, Selbstmorde und so weiter. Betroffen sind von der Spielsucht rund anderthalb Millionen Bürger in Tschechien - nicht nur die 100.000 Spielsüchtigen und 150.000 Gelegenheitsspieler, sondern auch ihre Familien, Arbeitgeber, Gläubiger und ihr ganzes Umfeld."
Der Gesetzgeber will das Problem bislang nicht sehen. Die Branche ist mehr als freizügig reguliert. Massive Steuererleichterungen, fehlende Kontrollinstrumente - die Liste der Missstände in der Glücksspiel-Gesetzgebung in Tschechien ist lang. Anläufe zu einer Verschärfung blieben dennoch wiederholt im Parlament stecken. Denn das Glücksspiel hat per System eine starke Lobby hinter sich. Und das sind nicht nur die Sportverbände. Immerhin sechs Milliarden Kronen fließen aus dem Glücksspiel in öffentliche Kassen. Einen gewissen Teil der Gewinne müssen die Unternehmen für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. So kommt es, dass teils sogar Elterninitiativen und soziale Einrichtungen gegen eine Beschränkung des Glücksspiels Berufung einlegen. Denn für welche Zwecke Geld fließt, das entscheidet das Unternehmen pikanterweise selbst. Ein perfektes System für Korruption und Geldwäsche, meint Bürgermeister Martin Pus aus Jicin / Jitschin, Vorsitzender des Verbandes gegen das Glücksspiel:"Zu Ihnen kommt jemand von irgendeiner Glücksspiel-Gesellschaft, sagt, er will bei Ihnen in der Gemeinde Automaten aufstellen und fragt gleich: Haben Sie nicht irgendeine Stiftung, wohin wir das Geld überweisen können? Woanders kann das dann so funktionieren, dass sich jemand diese Stiftung gründet, das Geld bekommt und sich dann ein hübsches Gehalt auszahlt. Das ist unglaublich! Wenn man vergleicht, wie das in anderen Staaten läuft, dann ist das in Tschechien wirklich eine Anomalie. Da sind wie wieder einmal Nummer eins in Europa!"
Auch wenn sich unter dem tschechischen Glücksspiel ein ganzer Sumpf ausbreitet - an der Oberfläche, da glänzt es. Und das nicht nur in den schicken Casinos am Wenzelsplatz. Die Glücksspielunternehmen haben sich in den oberen Etagen der Gesellschaft etabliert und treten inzwischen auch anerkannte Mäzene auf - eine Gesellschaft ist gar Hauptsponsor der Sommerbühne des Nationaltheaters. Für Senator Josef Novotny ein Skandal:
"Die Glückspielbranche ist in unglaublicher Weise in die ganze Gesellschaft hinein gewachsen! Wenn der Staat nicht genug Geld hat, das Nationaltheater zu bezahlen, dann soll er es eben zumachen, und nicht von der Glücksspielbranche finanzieren lassen, die sich dann noch als Mäzen ausgibt. Sechs Milliarden bekommt die tschechische Gesellschaft aus dem Glücksspiel, 30 Milliarden kostet es ihr! Das muss man sich vor Augen führen. Wenn wir den Unterschied an Nationaltheater und Nationalmuseum verteilen, dann brauchen wir solche Sponsorengelder nicht!"