Fernsehnachrichten: Immer weniger Tschechen haben Interesse an ihnen
Die Zeiten, da der durchschnittliche Fernsehzuschauer in Tschechien täglich zwischen 19 und 20 Uhr die Nachrichtensendungen der drei wichtigsten Fernsehstationen einschaltete, scheinen endgültig vorbei zu sein. Eine Studie, die vor kurzem veröffentlicht wurde, hat festgestellt, dass sich die Zahl der Nachrichtenseher dramatisch verringert hat.
Obwohl immer noch in dem einen oder anderen Haushalt die Nachrichten als Kulisse beim Abendessen dienen, wollen laut einer jüngst veröffentlichen Erhebung der Agentur ATO-Mediasearch immer weniger Tschechen wissen, was der Tag gebracht hat. Die Nachrichtensendungen werden demnach immer seltener verfolgt. In konkreten Zahlen ausgedrückt sind das 1,5 Millionen Zuschauer weniger, als bei einer ähnlichen Erhebung vor zwei Jahren.
Besonders gelitten unter diesem Rückgang haben die Nachrichten der kleinsten der drei flächendeckenden Stationen - TV Prima. Aber auch das Tschechische Fernsehen musste trotz einer grundlegenden Änderung seiner Hauptnachrichtensendung ein leichtes Minus verkraften. Lediglich der traditionelle Marktführer, der private Sender TV Nova, konnte seine Zahlen halten und sogar noch ausbauen. Der Marktanteil der Nachrichten von TV Nova blieb knapp unter der 70-Prozent-Marke.
Gibt es für diese Entwicklung irgendwelche spezifischen Ursachen? Oder gibt es auch in anderen europäischen Ländern einen vergleichbaren Trend, so dass man von einer natürlichen Tendenz sprechen könnte? Dazu der Medienwissenschaftler Jaromir Volek von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn:
"Ich würde in diesem Zusammenhang vielleicht nicht von einer natürlichen Entwicklung sprechen. Aber wenn wir die Einschaltquoten in den letzten Jahren verfolgen, kann man feststellen, dass sich die Zeit verkürzt, die die Zuschauer vor den Bildschirmen verbringen. Man kann zwar nicht von dramatischen Zahlen sprechen, aber die Tendenz ist seit einigen Jahren dieselbe. Natürlich sind die größten Fernsehanstalten von dieser Entwicklung am meisten betroffen. Blickt man auf die übrigen Länder Europas, lässt sich Ähnliches auch dort feststellen. Die Ursachen sind stets die gleichen, und zwar, dass die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung heute weitaus bunter sind als noch vor 15 Jahren. Aber natürlich steckt dahinter auch die wachsende Verbreitung des Internet, was sich vor allem bei der Altersgruppe der 10- bis 18-Jährigen besonders bemerkbar macht. Es scheint also, als ob gerade diese Gruppe dem klassischen Fernsehen regelrecht abhanden kommen würde."
Lassen sich dahinter auch Entwicklungen in der Gesellschaft als solcher feststellen? Immerhin klagen seit Jahren auch die Verleger der seriösen tschechischen Zeitungen über eine ähnlich starke Abnahme unter ihren Lesern. Jaromir Volek:
"Der Rückgang bei den Einschaltquoten steht sicher in einem Verhältnis zu den sinkenden Leserzahlen der seriösen Zeitungen. Man kann sagen, dass die heutigen Zuschauer und Leser, wenn wir das jetzt auf die Nachrichtensendungen beziehen, gewohnt sind, Informationen in einer vorher bereits aufbereiteten Form zu konsumieren. Das sind zum Beispiel Meldungen, die man aufs Handy bekommen kann und bei denen man keine Zeit mit tiefer gehenden Analysen verlieren muss. Zudem wirkt sich hier auch ein Phänomen aus, das man bislang aus dem Bereich des Marketing kannte: Je verbreiteter irgendeine Ware ist, desto geringer ist die Nachfrage. Das lässt sich auch auf die Informationen anwenden - früher gab es ein Defizit an seriösen Informationen, dann kam es in den 90er Jahren zu einem großen Boom, und nun ist man nicht nur bereits übersättigt, sondern angesichts der vielen Informationen, auch desorientiert. Deshalb bevorzugen Teile der Bevölkerung einfache, clipartige Meldungen, die aber leider aus dem Zusammenhang gerissen sind. Man kann sie also sehr schnell verarbeiten, sie aber auch schnell wieder vergessen."
Früher haben die drei tschechischen Fernsehanstalten großen Wert darauf gelegt, dass sie sich mit ihren Hauptnachrichtensendungen nicht überschneiden. Die Fernsehwelt schien viele Jahre lang fest aufgeteilt. Um 19 Uhr ging als erstes TV Prima mit seinen Nachrichten an den Start. Fünfzehn Minuten später folgte CT, und nach einer weiteren Viertelstunde war dann TV Nova an der Reihe.
Seit Anfang dieses Jahres beginnen jedoch bei zwei Sendern - bei TV Prima und dem Tschechischen Fernsehen - die Nachrichten zur selben Zeit, also um 19 Uhr. Lassen sich zum Beispiel dadurch die Verluste von TV Prima erklären, deren Nachrichten seit Jahresbeginn von einer Viertel Million Zuschauer weniger verfolgt werden? Dazu meint Medienwissenschaftler Jaromir Volek:
"Ganz bestimmt. Die Änderung, bei der das Tschechische Fernsehen den Mut fasste, seine Hauptnachrichten um 15 Minuten vorverlegte und zur gleichen Sendezeit wie TV Prima ausstrahlt, kommt in dieser Branche praktisch einer Kriegserklärung gleich. Historisch gesehen macht aber das Fernsehen nichts anderes, als seinerzeit TV Nova: Damals verdrängte der größte kommerzielle Sender des Landes eben das Tschechische Fernsehen vom traditionellen und begehrten Sendeplatz um 19.30 Uhr. Das ist aus der Sicht der Fernsehplanung immer noch die beste Sendezeit. Das Tschechische Fernsehen hat nun seine Nachrichten auf eine halbe Stunde ausgeweitet, und es hat die Zuschauer auf seine Seite gezogen, weil die Nachrichten zugleich auch um eine starke regionale Berichtstattung ergänzt wurden. Man könnte sagen: endlich. Die Frage ist daher, ob der direkte Konkurrent - TV Prima- nicht gleich auf der Strecke bliebe, wenn das Tschechische Fernsehen zum Beispiel nach einer kurzen Meldungsübersicht gleich mit den regionalen Nachrichten beginnen würde. Die regionale Berichterstattung hat ein großes Potential, weil in den Augen mancher Zuschauer diese Nachrichten ohne politischen Ballast auskommen und das Leben jedes einzelnen unmittelbar betreffen."Auf eine verstärkte Berichterstattung aus den tschechischen Regionen haben in den letzten Monaten vor allem das Tschechische Fernsehen und TV Nova gesetzt, womit beide Sender auf großes Interesse bei den Zuschauern stießen. Kann man erwarten, dass die regionale Komponente bei den Fernsehstationen noch weiter verstärkt wird und vielleicht sogar die klassischen politischen Nachrichten in den Hintergrund drängen wird? Dazu abschließend noch einmal der Medienwissenschaftler Jaromir Volek von der Masaryk-Universität in Brünn:
"Es ist nicht möglich, die Nachrichtensendungen ausschließlich auf Meldungen aus den Regionen aufzubauen. Offensichtlich ist aber, dass es zu einer immer stärkeren Emanzipation der regionalen Berichterstattung kommen wird. Und zwar in dem Maße, wie es zu einer weiteren Segmentierung des Marktes kommt, die nicht nur auf der Digitalisierung beruhen muss. Es wird Lokal- und Stadtfernsehen geben. Aber das ist nicht alles: Solange die regionalen Nachrichten bei CT im Vorabendprogramm gesendet wurden, betrug die Einschaltquote gerade einmal ein bis zwei Prozent. Erst mit der Verlagerung in die Hauptsendezeit sind sie für die Zuschauer attraktiv geworden. Bei weniger günstigen Sendezeiten wäre ihre Attraktivität hingegen weitaus geringer."