Propaganda pur - Fernsehnachrichten vor 25 Jahren
Es ist eine der beliebtesten Sendungen im Tschechischen Fernsehen. „Před 25 lety“ – „Vor 25 Jahren“. Dabei wird jeden Tag ein Zusammenschnitt der Fernsehnachrichten vor 25 Jahren gezeigt. Eine tägliche Zeitreise – nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die bizarre Medienwelt eines totalitären Regimes, das mit allen Mitteln sein politisches Überleben sichern wollte.
„Ein Zusammenschnitt des Wichtigsten, was die ehemaligen Fernsehnachrichten vor einem Vierteljahrhundert zu bieten hatten. Totalitäre Propaganda Tag für Tag.“ So kündigt das Tschechische Fernsehen seine Sendung „Před 25 lety“ – „Vor 25 Jahren“ im TV-Programm an.
So klingt der Vorspann zu den„Televizní noviny“, übersetzt schlicht „Fernsehnachrichten“. In blassen Brauntönen liegt ein stilisiertes Weltall vor dem Zuschauer. Eine bläuliche Weltkugel wächst daraus hervor. Und während sie sich hektisch um die eigene Achse dreht, bekommt der Seher die Ideale des „sozialistischen“ Staates präsentiert: Fröhliche Kinder, die in die Kamera winken und rote Fähnchen schwenken, die LKW-Produktion in den Tatra-Werken, einen monströsen Mähdrescher bei der Getreideernte. Fleißige Werktätige bei der Arbeit, ein Flugzeug, eine Ballerina, Radsportler. Zum Schluss rückt eine Fernsehkamera ins Bild und in ganz dem Zeitgeist entsprechenden eckigen Buchstaben erscheint der Name der Sendung: „Televizní noviny“. Das rote Licht an der gezeigten Kamera leuchtet auf und der Moderator erscheint im Bild. In einem kahlen Studio sitzt ein Mann um die 30, 35 an einem braunen Tisch, gekleidet in einen grau-braunen Dreiteiler, weißes Hemd, schwarze Krawatte mit einem – nach heutigen Maßstäben viel zu kleinen und zu exakt gebundenen - Knoten. Er hält sich nicht mit Grußformeln auf und kommt gleich zur Sache. Mit steinerner Miene liest er folgende Meldung von einem vergilbten Stück Papier ab:
„Der Zentralausschuss der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, das Präsidium des Obersten Sowjet der Sowjetunion und der Ministerrat der Sowjetunion geben in tiefer Trauer der Partei und dem gesamten sowjetischen Volk bekannt, dass am 9. Februar 1984 um 16 Uhr und 50 Minuten nach langer Krankheit der Generalsekretär des Zentralausschusses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjet der Sowjetunion, Juri Wladimirowitsch Andropow verstorben ist.“
Nun wird ein Foto des Verstorbenen eingeblendet: Andropow im braunen Anzug, exakt gebundene Karo-Krawatte und ein großer sternförmiger Orden an der Brust. Der Moderator spricht aus dem Off weiter:
„Der Name von Juri Wladimirowitsch Andropow, dieses großartigen Vertreters der Kommunistischen Partei und des Sowjetischen Staates, dieses entschlossenen Kämpfers für die Ideale des Kommunismus und des Friedens wird für immer in den Herzen der sowjetischen Menschen, des gesamten fortschrittlichen Volkes bleiben. (…) Juri Wladimirowitsch Andropow wird am Roten Platz in Moskau beigesetzt.“
Nun folgt ein harter Schnitt und auf dem Bild erscheint ein korrekt frisierter Mann Mitte 30: Brauner Anzug, weißes Hemd, Streifenkrawatte in verschiedenen Brauntönen. Im Hintergrund der Kreml. „Petr Kučera, Moskau-Korrespondent der Tschechoslowakischen Fernsehens“ verrät der eingeblendete Schriftzug.
„Die sowjetischen Bürger haben die Nachricht vom Tod von Juri Andropow mit tiefer Betroffenheit und Schmerz in ihren Herzen aufgenommen. In der gesamten Sowjetunion haben heute erste Trauerversammlungen der Werktätigen stattgefunden. Dabei haben die Redner betont, dass ein treuer Gefolgsmann Lenins von ihnen gegangen ist, ein bedeutender Staatsmann der Gegenwart, ein großartiger Mensch. (…). Das gesamte Volk der Sowjetunion erlebt tiefste Trauer.“
Kurz bevor der Moskau-Korrespondent die Fassung verliert und in Tränen ausbricht, endet die Schaltung nach Moskau. So kommentar- und grußlos, wie sie begonnen hat. Nun rückt eines der für die Tschechoslowakei so typischen Bürogebäude ins Bild: Endlose Fensterreihen, abgetrennt durch hervor springende Metallstreben, dazu bräunlich-graue Glasverblendungen. Auf dem Dach weht eine schwarze Fahne. Wie bestellt zeigt sich auch das Wetter grau in grau.
„Die Nachricht vom Ableben des Genossen Juri Andropow hat auch unsere Hauptstadt mit Bestürzung aufgenommen. Schon in den Nachmittagsstunden zeigten sich unsere Gebäude mit schwarzer Trauerbeflaggung. So verabschiedet sich Prag von einem herausragenden Vertreter der internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung, dem höchsten Partei- und Staatsvertreter der Sowjetunion.“
Nun im Bild: Ein graues schmutzig-graues Amtsgebäude, im Schaufenster das überlebensgroße Portrait des Verstorbenen, darunter ein Strauß roter Nelken.
„Prag verabschiedet sich von einem Menschen, dessen Name auf der ganzen Welt zum Synonym für das Wort ‘Frieden’ geworden ist.“
Nachdem die Trauermusik ausgeklungen ist, erscheint ein weiterer Sprecher auf dem Bildschirm. Auch er ist ganz in schwarz gekleidet.
Aus Anlass des Todes des Genossen Andropow habe die Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik Staatstrauer und Trauerbeflaggung auf allen öffentlichen Gebäuden verordnet.
Sie haben es vielleicht bemerkt: Dieser Ansager sprach slowakisch. Nichts Ungewöhnliches: Wir schreiben das Jahr 1984, Tschechen und Slowaken leben in einem gemeinsamen Staat. Und somit gehörte auch im staatlichen Tschechoslowakischen Fernsehen die zweite Amtssprache zum Alltag.
Am 1. Mai 1953 startete das Tschechoslowakische Fernsehen, kurz ČST, seinen regelmäßigen Sendebetrieb. Fünf Jahre später begann die Ära der Fernsehnachrichten. Bis 1990 kamen sie unter dem Namen „Televizní noviný“ in die Wohnzimmer der Tschechen und Slowaken. In dieser Zeit waren sie stets ein wichtiges Sprachrohr für die kommunistischen Machthaber. In der Zeit des Prager Frühlings allerdings standen die Fernsehleute allerdings – wie auch viele andere Journalisten - auf der Seite der Reformer. Noch sieben Tage nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen sendete das Tschechoslowakische Fernsehen weitgehend unzensiertes Programm, bevor auch hier der scharfe Geist der so genannten „Normalisierung“, wie die Rückkehr zum strengen kommunistischen Regime euphemistisch genannt wurde, Einzug hielt. Nur die treuesten Parteigenossen durften fortan als Journalisten in der Nachrichtenredaktion arbeiten.
Eine wichtige Rolle spielte das Tschechoslowakische Fernsehen natürlich auch während der Samtenen Revolution im Jahr 1989. Zunächst gab es noch jede Menge Desinformation, so etwa im Januar 1989.
„Blicken wir auf den Wenzelsplatz in Prag. Dort haben anti-sozialistische Elemente eine Provokation versucht“
Nach einem Schwenk über den weitgehend leeren Platz werden junge Leute mit Lederjacken und bunten Haaren ins Bild gerückt. Das typische Outfit von so genannten „anti-sozialistischen Elementen.“ Danach sind verschwommene Aufnahmen einer lautstarken Demonstration zu sehen.
„Unser Fernsehteam hat heute auf dem Prager Wenzelsplatz beobachtet, wie einige Gruppen von staatsfeindlichen Elementen eine Provokation versucht haben. Sie wollten den zwanzigsten Jahrestag des sinnlosen Selbstmordes des Studenten Jan Palach dazu missbrauchen, anti-sozialistische Emotionen zur schüren und die öffentliche Ordnung in der Hauptstadt zu stören. … Die Aktion wurde von den staatlichen Organen verboten. Der Wenzelsplatz wurde von Provokateuren und Schaulustigen zunächst friedlich geräumt. Gegen die verbliebenen Provokateure schritten die Ordnungskräfte später energisch ein.“
Dazu bekamen die Fernsehzuschauer Aufnahmen von Polizisten in Schutzausrüstung und Wasserwerfern, die die aufgebrachte Menge zurück drängten, serviert
„91 der aggressivsten Demonstranten wurden festgenommen. Zum Einsatz kamen auch Einheiten der Volksmilizen. Wie wir feststellen konnten, herrschte um 17 Uhr bereits wieder Ruhe im Stadtzentrum und der Sonntagsverkehr verlief reibungslos.“
Um dies zu unterstreichen, zeigte das Fernsehen aus einem Auto heraus aufgenommene Bilder aus der Prager Altstadt, die in sanftes Abendrot getaucht ist. Die Straßen liegen weitgehend leer da, zumindest am Fuße der Burg.
Im November 1989 begann sich dann auch im Tschechoslowakischen Fernsehen langsam regte sich Widerstand. Vor allem Regisseure und Techniker, die nicht so strengen Auswahlkriterien unterlagen, forderten eine objektive Berichterstattung über die Ereignisse im November 1989. Nach einigen Anstrengungen mit Erfolg. Der innerbetriebliche Ausschuss der Kommunistischen Partei verlor die Kontrolle über die TV-Nachrichten. Am 24. November wurde – mit einer Verspätung von einer Woche – erstmals objektiv über die Demonstrationen in der Prager Innenstadt berichtet. Der Beitrag musste allerdings noch im Geheimen vorbereitet werden, die im Prager Fernsehzentrum allgegenwärtige Staatssicherheit hatte noch nicht gänzlich aufgegeben. Doch ernste Konsequenzen gab es keine mehr. Am 27. November 1989 wurde schließlich eine objektive Dokumentation über die Ereignisse zehn Tage zuvor gesendet und Václav Havel stellte das Programm des soeben gegründeten Bürgerforums vor.
Mit dem kommunistischen Regime gingen auch die „Televizní noviny“ unter. Im Mai 1990 wurden sie in „Deník Československé televize“, das Journal des Tschechoslowakischen Fernsehens umbenannt. Und zweieinhalb Jahre später war auch das Tschechoslowakische Fernsehen Geschichte: Mit dem Zerfall der tschechoslowakischen Föderation zerfiel auch das Fernsehen in eine tschechische und eine slowakische Station.
Das Tschechische Fernsehen zeigt die historischen Fernsehnachrichten mehrmals täglich im Nachrichtenkanal ČT 24. Ansehen können Sie die Sendungen auch im Internet.