Der böhmische Orient: Basare, Schatzsucher und goldene Händchen
Wie die sprichwörtlichen Pilze schießen überall in Tschechien Einkaufsgalerien und Shoppingmeilen aus dem Boden, Glitzertempel für Luxus und die bunte Welt der Markenwaren. Wer aber darauf angewiesen ist, billig zu kaufen oder einfach nur etwas Kurioses und Originelles sucht, der landet bald am anderen Ende der Konsumskala, dort, wo es statt Glas und Marmor nur nackte Ziegelwände und bröckelnden Putz gibt: in den Basaren, der Welt der Schatzsucher, Schnäppchenjäger und Bastler.
Prag-Liben, 15 Straßenbahnminuten von der Innenstadt flussabwärts. Ihren romantischen Charakter hat die Moldau hier längst verloren. Als Industriefluss umspült sie zäh die Libener Insel. Die ist mit ihren halb verlassenen Hafenanlagen zu einer Art Museumsinsel des tschechischen Konsums geworden: In Baracken und alten Werfthallen drängen sich Trödel- und Altwarenläden, Gebrauchtwagenhändler und Möbelbasare. Einer davon gehört Milan:
"Wir kommen gerade vom Ankauf - eine Wohnungsauflösung",
erzählt er, während er mit seinem Gehilfen Petr einen vollgestopften Lieferwagen entlädt: Aufgeblühte Tischplatten, zerkratzte Möbelbeine, fleckige Polsterstühle. Alles landet in einer aufgeräumten Halle, einem Kaufhaus des zweiten Lebens. Das Angebot?
"Von der Stecknadel bis zum Kleiderschrank - alles."
Viele der Dinge stammen von Sperrmüll-Expeditionen nach Deutschland. Drei, vier Tage sind Milan und Petr dann mit ihrem Lieferwagen unterwegs - von Neustadt und Weiden in der Oberpfalz bis hin nach Stuttgart und Bonn.
"Gleich von der von der Straße sammeln wir da die Sachen ein. Wir haben die Sperrgut-Termine. Aber wir machen auch Einkäufe - aus der ´Zu Verschenken´-Rubrik der Zeitung", erzählt Petr.
Die goldenen Zeiten grenzüberschreitender Schatzsucherei, die seien aber vorbei. Teuro und Rezession hätten den Deutschen die Lust am Wegwerfen genommen - der Sperrmüll sei in Deutschland oft der reinste Abfall, ereifert sich Milan. Außerdem sind da die Behörden:
"Früher ging´s gut, heute ist das schon problematischer- die Deutschen fangen an, das zu verbieten."
Der Grund: nächtliches Gepolter und Durcheinander in den sorgsam aufgeschichteten Sperrmüllbergen. Noch aber ist der Nachschub gesichert. Was sind die gesuchtesten Stücke?
"Stilmöbel. Hauptsache, es ist etwas anderes - nicht das, was schon alle haben. Es gibt aber auch Kunden, die suchen billige, kaputte Sachen oder auch irgendwelche Antiquitäten - hier kommen alle möglichen Leute hin. Milan zum Beispiel, der ist nur auf Schätze aus!"
Mehr als 300 Basare und Altwarengeschäfte gibt es allein in Prag. Dank laxer Kontrollen enden hier auch die meisten gestohlenen Autoradios und Handys, was die Branche nicht ganz zu unrecht in Verruf gebracht hat. Dennoch: Nur im Basar noch passender Ersatz zu bekommen für eine durchgeschmorte Vorwende-Steckdose oder eine abgebrochene realsozialistische Standard-Türklinke. Der Basar ist damit nicht zuletzt auch Nahrungs- und Inspirationsquelle für den Typus des tschechischen Tüftlers und Bastlers mit den sprichwörtlichen "goldenen böhmischen Händchen" - eine Nationaleigenschaft, die im Kommunismus unter dem Druck der Verhältnisse ihre volle Blüte erreicht hat, meint der junge Schriftsteller Karel Kuna, der sich besonderes für Überbleibsel und Folgen der sozialistischen Strukturen in Tschechien interessiert:
"Wenn irgendetwas kaputt gegangen ist, dann stand man oft vor der Wahl, darauf zu verzichten oder es eben zu reparieren. Und zwar entweder selbst oder mit Hilfe der Nachbarn, aber Bastler gab es damals überall, da hat man sich ausgeholfen. Ich würde sagen, da ist eine Disposition mit einem Bedarf zusammengefallen, und daraus ist das tschechische Bastlerwesen entstanden."
Und auch anderthalb Jahrzehnte nach der Revolution ist der Mythos der Alles könnenden "goldenen böhmischen Händchen" weiterhin lebendig, meint Karel - und der Basar ist für den tschechischen "kutil", den Bastler und Tüftler, die Erweiterung der heimischen Schatz-Schublade ins Unendliche.
"Mein Vater zum Beispiel ist Bauingenieur und versucht sich daheim an der Reparatur von Fernsehern - mit ziemlich großem Erfolg, sogar bei solchen Fällen, die von einer Fachwerkstatt aus gutem Grund nicht mehr angenommen worden wären. Mein Vater hat natürlich einen Großteil seines Lebens unter den Kommunisten verbracht, vielleicht hat das auch damit zu tun. Aber bei uns zu Hause lebt das Basteln noch, und ich glaube, das ist auch sonst noch so."Ein typischer Basargänger ist auch Jiri Dospel, Anfang Sechzig, halb Sammler, halb preisbewusster Kellerbastler:
"Ich repariere Dinge gerne - wenn ich etwas wieder hinkriege, sauber mache und das funktioniert dann wieder schön, dann macht mir das Freude - vielleicht mehr, als wenn ich es neu gekauft hätte."
Ums Geld geht es Jiri Dospel nicht in erster Line - für ihn ist der Basar vor allem ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene, ein Panoptikum gewesener Dinge. Was fasziniert ihn am meisten?
"Die Vielfalt - da gibt es einfach alles Mögliche: Möbel, Musikinstrumente, Lampen, Elektronik oder auch irgendwelche Museumsstücke, die ich mir in meinen jungen Jahren nicht leisten konnte und die ich jetzt für einen Apfel und Ei kaufen kann, für die Vitrine. Es ist einfach interessant - man findet da Dinge, von denen man nicht einmal gewusst hat, dass es sie gibt."
Seinen Jungentraum, einen Kompass, hat sich Jiri Dospel in reifen Jahren im Basar erfüllt, und einmal hat er sogar eine echte alte Fender Bassgitarre zum Spottpreis gefunden. Aber auch Prosaischeres lässt sich im Basar erledigen:
"Wenn irgendwo etwas abgerissen oder saniert wird, dann kann man da zum Beispiel auch Installateursmaterial kaufen. Als ich im Wochenendhaus Wasserleitungen gelegt habe, da habe ich im Basar die Hähne und solche Sachen gekauft - wirklich für ein Butterbrot! Das musste man nur saubermachen, dann hat es wieder perfekt funktioniert."
Der Basar gibt den Dingen ein zweites Leben. Hier wird dem scheinbar Wertlosen Zeit gegeben, wieder dorthin zu finden, wo es noch gebraucht wird - auf dass sich wieder ein kleiner Riss in der Welt schließt.
Auch bei Milan und Petr ist inzwischen eine Kundin aufgetaucht. Ein schöner CD-Ständer, wie verlangt, der ist allerdings gerade nicht im Angebot. Auch im Transporter, der bereits halb geleert ist, kommen keine Pretiosen mehr zum Vorschein - diesmal ist die ganze Ladung von Ikea. Das Geschäft ist hart, für große Weisheiten ist hier kein Platz:
"Wenn Leute kommen, dann läuft das Geschäft, wenn nicht, dann nicht."
So einfach ist das. Inzwischen haben sich die Möbelteile aus dem Transporter zu einem großen Berg gestapelt. Was hier der größte Schatz ist, frage ich Milan. Die Antwort kommt sofort: Petr natürlich, der Kollege! Zufrieden lässt Milan den Blick durch die Halle streifen. Noch eine halbe Stunde, dann ist Mittag.