Menschenrechte auf der Leinwand: Das Filmfest "Jeden Svet"

jeden_svet_07.jpg
0:00
/
0:00

Jeden Svet - Eine Welt - One World. So heißt ein Filmfestival der besonderen Art, dass am vergangenen Donnerstag in Prag zu Ende ging. Acht Tage lang konnten die Zuschauer 134 Dokumentarfilme aus 34 Ländern entdecken und das ganze schon im achten Jahr. Andrea Nehr und Annette Kraus haben sich mit den Menschen getroffen, die hinter den Zahlen stehen und das Festival mit Leben füllen.

Zwar heißt das Festival "Eine Welt". Aber hier prallen dennoch Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Fernost trifft auf Ruhrpott, chinesische Effizienz auf deutsche Arbeitsplätze. Die Rede ist von dem Film "Losers and Winners", der vergangenen Donnerstag den Hauptwettbewerb des Festivals gewonnnen hat und am 15. März in den deutschen Kinos anläuft. Das Thema des Films ist die Globalisierung. Eigentlich ein abstraktes Thema, aber die Regisseure zeigen die menschliche Seite hinter den Zahlenspielen - eben die Gewinner und Verlierer. 400 Chinesische Arbeiter kommen im Jahr 2003 ins Ruhrgebiet und zerlegen dort eine Kokerei in ihre Einzelteile, um sie nach China zu verschiffen. Und die Dortmunder Koker müssen den Chinesen dabei helfen, ihren eigenen Arbeitsplatz abzubauen. Ulrike Franke und Michael Loeken haben die Demontage mit der Kamera begleitet und präsentierten die Langzeitbeobachtung vergangene Woche in Prag. Der Film konkurrierte mit 16 anderen Dokumentationen um den Hauptpreis. Wie sah die erste Reaktion der Gewinnerin aus?

"Wir haben einen Anruf in Köln bekommen, dass die große Jury sich für unseren Film entschieden hat. Wir haben uns wahnsinnig gefreut, weil das hier eine internationale Jury ist. Und das ist das tolle daran. Unser Film wird also auch international verstanden, obwohl es doch ein sehr deutsches Thema ist. Das ist eine wirklich große Ehre für uns."

"Jeden Svet" zeigt ausschließlich Dokumentarfilme. Da taucht die Frage auf, warum man diese Art von Film macht und nicht Spielfilme. Da ist wohl Leidenschaft im Spiel? Ulrike Franke:

´Losers and Winners´
"Also ich liebe einfach das reale Leben, in der Gegend rumfahren, gucken und einfach mit Menschen sprechen, mit denen man sonst wohl eher nicht spricht. Ich komme immer ziemlich gut mit den ganz normalen Leuten von der Straße klar. Ich interessiere mich ganz einfach für deren Leben und besonders deren Gefühle. Und irgendwie ist das auch eine Gegenseitigkeit, ganz oft öffnen sich diese Menschen ganz schnell, weil sie spüren, dass wir Interesse an ihnen haben und ihnen andere nicht zuhören. Manchmal stellt nicht mal die eigene Ehefrau so viele Fragen."

Auch die Filme bei "Jeden Svet" werfen Fragen auf. Dabei könnten die Geschichten der Filme unterschiedlicher nicht sein. Die Protagonisten sind neben den rheinischen und chinesischen Industriearbeitern beispielsweise auch Opfer der Tschernobyl-Katastrophe, die Kinder von ehemaligen Solidarnosc-Aktivisten aus Polen oder eine afghanische Frauenrechtlerin. Politisch also auf der einen Seite und zugleich ganz privat.

Der Dokumentarfilmer Jens Schanze aus Bonn nahm letztes Jahr am Hauptwettbewerb teil. Mit dem Film "Winterkinder" gewann er den Regiepreis und dieses Jahr sitzt er bereits in der Jury. Ein Filmmarathon für den 31-jährigen: ein Film nach dem anderen, unterbrochen nur durch lange Diskussionen mit den anderen Jurymitgliedern. Und Jens Schanze genießt es:

"Ich empfinde das als sehr fruchtbar, sich so intensiv mit verschiedenen Perspektiven zu beschäftigen und sich untereinander auszutauschen. Schließlich bringt jeder seine eigene Sichtweise mit, wenn er sich einen Film ansieht. Ich habe mir lange nicht mehr so viele Filme hintereinander so intensiv angeschaut und habe jetzt in dieser kurzen Zeit selbst wieder sehr viel übers Filmemachen gelernt."

"Jeden Svet" ist ein Dokumentarfilmfest der Menschenrechte. Wie das Thema ausgelegt wurde, verrät Jens Schanze:

"Ich bin sehr dankbar für diese Ausrichtung. Denn ich frage mich immer, wenn ich einen Film sehe: Was ist anders in meinem Leben nachdem ich diesen Film gesehen habe? Die Fokussierung auf das Menschenrechte wird vom Festival aber ziemlich breit interpretiert. Das heißt, es sind nicht nur Filme aus den bekannten Krisenregionen der Welt zu sehen, wo das Thema ganz offensichtlich ist, sondern eben auch Filme, die man auf den ersten Blick mit Menschenrechten gar nicht in Verbindung bringen würde und wo die Frage nach diesen Problemen auf eine sehr subtile Art und Weise gestellt wird."

Welcher Film in den Wettbewerb genommen wird entscheidet allein die Qualität. Igor Balezevic hat das Festival vor acht Jahren mitgegründet und leitet es auch dieses Jahr. Veranstalter ist die tschechische Nicht-Regierungsorganisation "Clovek v Tisni" oder zu deutsch "Menschen in Not". Sie betätigt sich in den Bereichen Integrationsarbeit, Menschenrechte, Entwicklungshilfe und Bildung. Zu den Auswahlkriterien der Filme meint Balezevic:

"Wir berücksichtigen mehrere Faktoren. Einer davon ist ganz klar die thematische Ausrichtung, weil das Festival ein Thema hat. Wir suchen Filme aus, die auf der einen Seite politische oder soziale Probleme und Herausforderungen unserer gegenwärtigen Welt berühren. Und auf der anderen Seite natürlich solche Filme, die qualitativ hochwertig sind. Für den Hauptwettbewerb wählen wir Filme aus, von denen wir denken, dass sie filmisch interessant sind."

Neben dem Hauptwettbewerb gibt es noch eine Vielzahl von Sektionen, unter anderem eine Kurzfilmsparte und einen Sparte namens "Mate pravo vedet" was soviel heißt wie "Ihr habt das Recht es zu wissen". Dieser Wettbewerb legte das Augenmerk auf weniger bekannte Menschenrechtskonflikte weltweit. Daneben gab es noch länderspezifische Sektionen, die sich mit Tschechien, Lateinamerika und Deutschland befassten. Außerdem konnte man Workshops und Diskussionen besuchen. Das Festival versteht sich damit auch als ein Forum für Bildung, Kunst und Musik.

"Jeden Svet" fand dieses Jahr soviel Zuspruch wie noch nie zuvor. 35 000 Besucher sind gekommen. Der Veranstalter Igor Balezevic wollte verständlicherweise keine einzelnen Filme empfehlen, die Zuschauer sollten am besten alle Filme anschauen. Und natürlich wünscht sich Balezevic, dass die Zuschauer etwas von "Jeden Svet" mit nach Hause nehmen:

"...da begreift man auf einmal, dass der ganz gewöhnliche Mensch nicht gegen das Schlechte verlieren muss, das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass man verstehen lernt, wie politische, wirtschaftliche oder andere Kräfte ihre Macht mißbrauchen, denn das funktioniert auf der ganzen Welt gleich. Und das ist vielleicht gut zu wissen, denn dadurch kann man etwas wachsamer werden gegenüber den Vorgängen in der eigenen Gesellschaft."