"Es bläst in mir der Wind": böhmisch-deutsche Dechovka mit Slava Kunst
Auch zum Jahreswechsel gibt es keine Ausnahme: Im Kultursalon geht es um Kunst. Diesmal genauer gesagt um Slava Kunst und sein "Original Blasorchestr". Als nach der Wende immer mehr deutsche Touristen nach Prag gekommen sind, da haben sich auch die tschechischen Künstler darauf eingestellt. "Man singt Deutsch", heißt es so auch bei Slava Kunst auf seinem 1991er Album "Im schönen Prag". Thomas Kirschner und Gerald Schubert laden Sie nun ein zu Tuba und Trompete und zu fröhlich klingenden böhmischen Liedern.
Duftet schön nach Hopfen und nach Flieder - sieht aus wie ein Riesenelefant!
Hundert Jahre die wir überspringen, alle feiern fröhlich Hand in Hand,
Alte Lieder werden neu erklingen - zurück bleibt nur ein Elefant."
Was der Riesenelefant hier in der Prager Blasmusik macht, das wird wohl sein Geheimnis bleiben - aber auch ein noch so großer Elefant kann nicht vom dem Punkt ablenken, der in den letzten Versen der eigentlich wichtige war: "Alle feiern fröhlich Hand in Hand", heißt es. Und das muss man vorweg festhalten: Die böhmische Blasmusik, die echte "dechovka" gefällt schlechterdings jedem! Es schmilzt der Opernfan, und auch der Punker schunkelt mit! Slava Kunst muss es ja wissen:
"Der brave Bürger und der Freak,
Kapitalist und Bolschewik,
begeistert sind im Augenblick
von der böhmischen Blasmusik!"
Das harmonische Zusammensein aller mit allen bei der böhmischen Blasmusik, das ist nach Slava Kunst gewissermaßen der glückliche Urzustand der Welt. Die Spaltung und das Übel kam demnach in die Welt, als die zweite Kneipe aufgemacht hat. Denn eigentlich reicht ja eine einzige - zum Beispiel das Bai Kai Lai, und das von Mongolei bis Hawaii:
"Von Mongolei bis Hawaii - man geht ins Bai Kai Lai!
Hundert Jahre sind vorbei - es lebe Bai Kai Bai Kai Lai!"
"Nun gut, es gibt ja bekanntlich kein Bier auf Hawaii", mag man jetzt sagen - "aber für einen Halbliter gleich nach Prag laufen?" Da aber darf man wiederum nicht vergessen, dass es auch in Prag selbst Dinge gibt, die mindestens so weit voneinander entfernt sind wie Hawaii und die Mongolei. Wir denken an Fußball: Sparta und Slavia. Gegensätze, die nur der Gerstensaft überwindet:
"Von Sparta die Fußballfans und die von Slavia
einig sind, dass hier Zum Schwan gibt's das beste Bier!
Treuer Stammgast kennt sein Glück, der braucht nie was andres -
der verkehrt von Anfang an hartnäckig hin zum Schwan -
ganzes Leben nur zum Schwan, und er sucht nie was andres."
In diesem Zusammenhang wollen wir Slava Kunst und seinem "Original Blasorchestr" zwei Verse in in eigener Sache einräumen - wo wir doch gerade beim Thema Bier sind:
"An der nächsten Schänke kaufst Du die Getränke
Die Kapelle lädst Du ein - so wird´s in Prag immer sein!"
Geschickt weist die Kapelle hier auf eigene Bedürfnisse hin! Und damit sind wir nach Kneipen, Bier, und Fußball auch wieder zurück bei der böhmischen Blaskapelle. Und bei dieser bleibt noch eine wichtige Frage offen: würde man bei derselben "mitsingen und sich zum Tanz ringen"? Oder "mitsingeln und sich zum Tanz ringeln"? Aber vielleicht ist das ja auch egal - Hauptsache, die tschechische Kapelle ist eine Freudenquelle. Oder vielmehr "reiner Freuden Quelle"!
"Die tschechische Kapelle ist reiner Freuden Quelle,
du würdest mitsingen oder dich zum Tanz ringeln."
Keine Frage: Am besten ringelt es sich natürlich bei der Damenwahl! Ach ja, diese Herzensqual!
"Ausgerufen wird die Damenwahl, diese Herzensqual.
Jedes Mädchen traf dabei den Jungen ihrer Träume - wir fanden es ideal."
Unter solchen Umständen erscheint das Wort "ideal" wirklich angebracht! Wer wissen will, ob das auch noch heute so ist, der sollte nachforschen, ob es die Bezovka-Gastwirtschaft in Prag-Zizkov immer noch gibt. Vor dem nächsten Musikausschnitt sollte man vielleicht noch anmerken, dass "Bezovka" nicht von "besoffen" kommt - von sich aus wird das nämlich nicht so ganz deutlich:
"Sie bleibt in uns, die Bezovka-Seele. Man hat erlebt die lustigen Bälle.
Schöne Walzer, frische Polkas, dazu zwei, drei Bierchen vom Fass.
Diese Jahre flossen schnell vorbei - der Rausch der Liebe und der Prügelei.
Wichtig ist eben das wir waren all diese Zeit mit dabei."
Haben Sie es gemerkt, liebe Hörer? Das olympische Motto: "Dabei sein ist alles!" Nur hier eben in seiner böhmischen Steigerungsform: "Die ganze Zeit über dabei sein, das ist alles!!" Wofür aber könnte das mehr gelten als für die Liebe! Da ist es bloß gut, dass die folgende Liebeserklärung nur der Stadt Prag gilt, und nicht einer Frau. Sonst hätte es vermutlich nicht einmal zum Dabeisein gereicht, wenn man anfängt mit den Worten:
"Es ist doch wahr: Du bist sonderbar!
Du und ich sind verbunden wie ein Liebespaar..."
Aber seien wir gerecht - es ist doch oft so: das Herz läuft über, man möchte alles bekennen - und dann findet man nicht die richtigen Worte! Man möchte sagen: "Angebetete, Du bist für mich die wunderbarste Frau, die Einzige, die Perle des ganzen Erd- und Sternenkreises!" Und sagt dann: "Unter den zahlreichen Damen, die ich liebe, mag ich kaum eine so sehr wie Dich." Selbst Slava Kunst passiert das. Zum Glück ist schon wieder nur die Stadt Prag gemeint:
"Es gibt kaum eine Hauptstadt in der Welt, die ich so liebe wie mein Prag. Mein Herzrhythmus ist auf sie eingestellt - jeder Tag wird zum Feiertag.
"Kaum eine Hauptstadt in der Welt", von sonstigen Städten, Dörfern und Ansiedlungen ganz zu schweigen! Prag hat also offenbar eine ganz besondere Wirkungsmacht. Und das nicht nur auf den Herzrhythmus, sondern womöglich auch auf das Verdauungsystem:"Es bläst in mir der Wind und flüstert die Melodie,
und jeder wohlgesinnt singt gleich die Harmonie.
Die Melodie bist du, unsere goldene Stadt -
Dürfen wir einmal mitsingen? Dazu sind wir immer parat!"
Bevor auch wir nun parat sind zum Mitsingen beenden wir hier unsere Expedition durch die unerforschte Welt der böhmisch-deutschen Blasmusik. Und was bleibt zurück? Slava Kunst sagen würde sagen:
"Zurück bleibt nur ein Elefant!"