Schnitzeljagd für Journalisten. Zur Anatomie politischer Affären
Im Dickicht der politischen Affären können die Bürgerinnen und Bürger schon mal den Überblick verlieren. Das gilt selbst für eifrige Medienkonsumenten - oder vielleicht gerade für diese. Denn auch in Tschechien sind Affären längst Teil des politischen Tagesgeschäfts geworden. Und wenn kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendeine Causa irgendeine Wendung nimmt, dann verschwimmen die Grenzen zwischen künstlichen und echten Skandalen, zwischen kleinen und großen.
Ausreichend Personal für eine Bilderbuchaffäre: ein skrupelloser und korrupter Machtmensch mit weit verzweigten Beziehungen bis ganz nach oben, eine hübsche und engagierte Reporterin, und dazwischen der Ganove mit dem guten Herz, der lieber doch nicht zum Mörder werden wollte. Man schrieb jedoch den Sommer 2002, und deshalb ertrank die Causa wenige Tage nach ihrer Geburt in den Fluten des Jahrhunderthochwassers. Sie wurde einfach aus den Schlagzeilen gespült und wollte nie wieder so recht auftauchen.
Immerhin aber gab es ein gerichtliches Nachspiel. Karel Srba wurde zu acht Jahren Haft verurteilt, erst vorige Woche wurde das Strafmaß im Berufungsverfahren auf 12 Jahre erhöht.
Eine so klare Dramaturgie mit eindeutigem Ausgang haben aber längst nicht alle Affären. Überdies werden Skandale meist selbst zum Spielball unterschiedlichster Auseinandersetzungen, meint Jaroslav Plesl, der stellvertretende Chefredakteur der Tageszeitung Lidove noviny:
"Meiner Erfahrung nach entstehen Affären in 99 Prozent aller Fälle so, dass Informationen von außen an die Medien herangetragen werden. Dabei ist es immer in irgendjemandes Interesse, dass eine Causa ans Tageslicht kommt. Entweder als Instrument der politischen Auseinandersetzung, oder als Instrument zur Durchsetzung ökonomischer Interessen, sprich zum Erzielen von finanziellem Gewinn."
Ein Beispiel ist die so genannte Affäre Kubice, die Anfang Juni die Wahlen zum Abgeordnetenhaus überschattet hatte: Jan Kubice, der damalige Leiter der Polizeiabteilung zur Aufdeckung des organisierten Verbrechens, hatte in einem geheimen Bericht behauptet, dass sozialdemokratische Politiker in mehreren Fällen Ermittlungsarbeiten beeinflussen würden. Der konservative Abgeordnete Ivan Langer wiederum, mittlerweile Innenminister, hatte das vertrauliche Papier während einer Sitzungspause des zuständigen Parlamentsausschusses auf seinem Tisch liegen lassen - offen und für Journalisten und Fotografen gut einsehbar. In den nächsten Tagen, es waren die letzten vor der Wahl, kannte die Republik nur ein Thema. Je nach Parteipräferenz hieß dieses Behinderung von Ermittlungen oder Weitergabe von geheimen und obendrein falschen Informationen.
Wie auch immer man es sehen mag: Tschechische Medien spielten auch in jenem Fall eine eher passive Vermittlerrolle. Investigative Recherchen sind oft weniger wichtig als zugespielte Hinweise. Jan Machacek, Kommentator bei der Tageszeitung Hospodarske noviny, hat dafür eine Erklärung:
"In den meisten tschechischen Printmedien gibt es meiner Meinung nach keine investigativen Journalisten - und es herrscht auch kein großes Interesse daran, welche zu haben. Ein investigativer Journalist muss für seine Fälle nämlich wirklich Zeit haben. Er muss mehrere Wochen oder Monate an einer bestimmten Causa dran bleiben können, ohne dazwischen mit anderen Arbeiten belastet zu sein. Unter den hiesigen Bedingungen wäre das kaum zu schaffen, schon allein wegen der unzureichenden finanziellen Mittel. Es wird zu wenig in die Medien investiert, zu viel von den Gewinnen fließt in die Taschen der ausländischen Eigentümer. Das Ergebnis ist: Weil es in Tschechien keine investigativen Journalisten gibt, werden einfach diejenigen für solche gehalten, die gute Kontakte zur Polizei haben."Ein weiteres Spezifikum des tschechischen Journalismus: Es fehlt die Kontinuität der Generationen. Nach der politischen Wende des Jahres 1989 kam es zu einem rasanten Austausch der Eliten - auch in vielen Zeitungsredaktionen. Junge Leute rückten nach, ausgestattet mit viel Enthusiasmus aber wenig Erfahrung und somit anfällig für Manipulation von außen. Eine Entwicklung, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Als etwa im Jahr 2005 Stanislav Gross wegen der unklaren Finanzierung seiner Wohnung und wegen der Privatgeschäfte seiner Frau als Regierungschef zurücktrat, da war dem eine regelrechte mediale Schnitzeljagd vorangegangen. Ein Wochenmagazin bekam einen anonymen Hinweis nach dem anderen - Karotten vor der Nase, die stets zu einzelnen Puzzlesteinen führten, die wiederum am Ende ein Bild ergaben.
Für Jaroslav Plesl, den stellvertretenden Chefredakteur der Tageszeitung Lidove noviny, erfüllen aber auch gesteuerte Skandale wie dieser ihren Sinn:
"Auch wenn solche Affären den Interessen irgendwelcher Personen oder Gruppierungen dienen, dienen sie letztendlich auch den Interessen der Gesamtgesellschaft. Denn wenn eine Affäre einen realen Hintergrund hat, wenn etwas Ungesetzliches oder Unmoralisches geschehen ist, dann können wir meist eine Lehre daraus ziehen und eine entsprechende Änderung am System vornehmen, welche die Qualität unserer Demokratie letztlich verbessert."Die Psychologin Darja Kocabova kann mit dieser These aber nur wenig anfangen:
"Wenn diese Affären für die Gesellschaft einen reinigenden Charakter haben sollen, dann müssen sie auch zu Ende gebracht werden. Hierzulande ist es aber oft so, dass Affären irgendwie ins Rollen kommen, gar nicht ausreichend belegt werden können und dann einfach wieder verschwinden. Am Ende bleibt nur ein übler Nachgeschmack zurück - das Gefühl, dass irgendetwas passiert, von dem wir nur beiläufig erfahren, und das letztlich nicht ausreichend untersucht wird."
Während der permanenten Regierungsverhandlungen, die seit Juni geführt werden, um die Pattsituation im Parlament aufzulösen, gilt dies erst recht. Niemand kann sich derzeit seiner Rolle sicher sein. Wer heute in der Regierung sitzt, kann morgen wieder in politischer Bedeutungslosigkeit versinken, umgekehrt könnten Vertreter der Opposition bald schon selbst im Kabinett sein. Stürmische Zeiten, in denen klare Verantwortungen schwer auszumachen sind und Kontrollmechanismen nicht immer so gut funktionieren, wie sie sollten.
Von den Medien weit weniger beachtet mahlen aber immerhin die Mühlen der Justiz. Gegen Karel Srba etwa wird zurzeit gerade wieder einmal verhandelt. Diesmal nicht wegen versuchten Auftragsmordes an einer Journalistin, sondern wegen Betrugs im Zusammenhang mit der Vermietung des Tschechischen Hauses in Moskau.