"Mütterchen, gebt uns eine Gabe" - ein Streifzug durch die böhmischen Weihnachtslieder

Nur noch eine Woche bis zum Weihnachtsfest - höchste Zeit, die Weihnachtslieder wieder einzuüben. Im unserem Kultursalon zum dritten Advent laden wir Sie daher zu einem Streifzug durch die Tradition der böhmischen Weihnachtslieder ein.

"Die Hirten haben am Heiligen Abend ihr Horn genommen und sind durch das ganze Dorf gezogen. Bei jedem Haus haben sie Halt gemacht, haben allen frohe Weihnachten gewünscht und dafür eine Gabe bekommen. So hat wohl früher einmal in Böhmen auf dem Lande die Weihnacht begonnen."

Lubomir Tyllner hat sich als Ethnomusikologe an der tschechischen Akademie der Wissenschaften intensiv mit der Tradition der Weihnachtslieder in den Böhmischen Ländern befasst. Auch wenn die dörflichen Umzüge heute kaum mehr anzutreffen sind, ist bei vielen traditionellen böhmischen Weihnachtsliedern bis heute zu erkennen, dass sie hier ihren Ursprung haben. So etwa bei dem folgenden: "Glück, Gesundheit und Frieden wünschen wir Euch, dem Hausherrn und den Kindern! Von weither aus Bethlehem bringen wir Nachricht", heißt es da. Und wer genau hinhört, der findet gleich zu Anfang auch einen altertümlichen Germanismus - "vinsujeme", das heißt natürlich "wir wünschen":

Stesti, zdravi, pokoj svaty vinsujeme vam,

nejprv panu hospodari pak nasim ditkam.

Zdaleka se bereme, novinu vam neseme,

co jest se nam prihodilo v meste Betleme.

Von dem "koledovani", dem weihnachtlichen Zug durch das Dorf tragen die Weihnachtslieder in Tschechien heute noch ihren Namen: "vanocni koledy".

"Der Umzug von Haus zu Haus, gute Wünsche und ein Geschenk, das gehört also nach slawischer Sitte zu den eigentlichen koledy, zu dem Weihnachtssingen. Wenn wir aber heute sagen: ´Kommt, lasst uns koledy singen´, dann hat sich das schon vermischt, und wir singen ganz normale Weihnachtslieder, aber auch die alten für den Umzug gedachten Lieder."

Stedrej vecer nastal,

stedrej vecer nastal,

koledy prichystal, koledy prichystal.

Panimamo, vstante!

Panimamo, vstante,

koledu nam dejte, koledu nam dejte.

"Der Heilige Abend ist gekommen, die Weihnachtssänger sind bereit. Steht auf, Mütterchen, gebt uns eine Gabe", heißt es in dem obigen Lied. Der Umzug durch das Dorf geht noch auf vorchristliche, magische Rituale zurück, wie überhaupt durch den christlichen Firnis der Weihnachtsbräuche oft noch heidnische Elemente durchschimmern. Das, so Lubomir Tyllner, zeigt auch das älteste böhmische Weihnachtslied, das der Mönch Jan z Holesova um die Wende zum 15. Jahrhundert im Kloster Brevnov aufgezeichnet hat - vor rund 600 Jahren also.

Adventskranz – adventní věnec  (Foto: Archiv ČRo 7)
"Es hat sich ein Fragment erhalten, das mit den Worten beginnt: ´Vele, vele stoji dubec prostred dvora´ - ´Sieh, es steht eine Eiche inmitten des Hofes´. Aus dem altertümlichen ´vele, vele´ klingt dabei noch das vorchristliche ´bele, bele´ hindurch, das an den heidnischen Gott Baal erinnert. Womöglich kommen wir hier an die magischen Wurzeln des Liedes heran, denn die koledy waren zu Beginn Lieder mit einer magischen Funktion. Dieses ´vele, vele´-Rufen jedenfalls ist womöglich das älteste Weihnachtslied, das sich bei den slawischen Nationen erhalten hat."

Wenn auch nur in einigen Versen, denn die Melodie ist verloren. Nur wenig jünger aber ist - zumindest was die Melodie angeht - das folgende Lied, das aus dem lateinischen geistlichen Lied "Ave hierarchie coelestis" (Seid gegrüßt, Ihr himmlischen Fürsten) entstanden ist.

Narodil se Kristus Pan,

veselme se,

z ruze kvitek vykvet nam,

radujme se.

Z zivota cisteho,

z rodu kralovskeho,

nam, nam narodil se.

"´Narodil se Kristus Pan´, ´Christ, der Herr ist uns geboren´ ist wohl das bekannteste Weihnachtslied in Tschechien - allerdings gehört es nicht zu den koledy, sondern es ist für den Kirchengesang entstanden. Das Lied ist in Handschriften schon im 16. Jahrhundert belegt, und mit einer kleinen melodischen Änderung ist es auch in Deutschland beliebt."

Dort unter dem Titel "Freu dich Erd und Sternenzelt":

Freu dich, Erd und Sternenzelt,

Hallelujah !

Gottes Sohn kam in die Welt,

Hallelujah.

Uns zum Heil erkoren,

Ward er heut geboren,

Heute uns geboren.

Dem tschechischen Weihnachtsklassiker "Narodil se Kristus Pan" ist inzwischen aber ein starker Konkurrent erwachsen, meint der Ethnomusikologe Lubomir Tyllner:

"Wenn Sie den Kindern in der Schule etwa sagen: Kommt, wir singen ein Weihnachtslied, dann fangen alle gleich mit ´Nesem Vam noviny´ an, zu Deutsch ´Wir bringen Euch eine Botschaft´."

Nesem vam noviny, poslouchejte,

z betlemské krajiny, pozor dejte.

slyste je pilne a neomylne, rozjímejte.

Wenn sie jetzt erstaunt festgestellt haben, dass Ihnen die Melodie sehr vertraut vorkommt, dann geht es ihnen nicht anders als Lubomir Tyllner im umgekehrten Fall:

"Ich war ziemlich überrascht, als ich festgestellt habe, dass das Lied auch in den deutschsprachigen Ländern sehr beliebt ist, und zwar unter dem Titel ´Kommet ihr Hirten.´"

Kommet, ihr Hirten, Ihr Männer und Frau´n!

Kommet, das liebliche Kindlein zu schaun!

Christus, der Herr ist heute geboren,

Den Gott zum Heiland Euch hat erkoren.

Fürchtet euch nicht!

Auch wenn es vielleicht der eine oder andere kaum glauben mag: Die Wurzeln dieses scheinbar typisch deutschen Weihnachtsliedes liegen im tschechischen Raum. Den deutschen Text hat erst im späteren 19. Jahrhundert der Kapellmeister Karl Riedel verfasst. Überhaupt handelt es sich um eines der jüngsten unter den klassischen Weihnachtsliedern, weiß Lubomir Tyllner:

"Das Lied ist nicht nur dadurch bemerkenswert, dass es sowohl im tschechischen wie auch im deutschsprachigen Raum beliebt ist, sondern auch dadurch, dass es noch ziemlich jung ist. Ich sage immer, wir haben es da mit dem größten Karrieristen unter den Weihnachtsliedern zu tun, denn noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts war es fast nirgendwo in den Sammlungen und Liederbüchern enthalten, und schon in den Zwanziger und Dreißiger Jahren war es überall verbreitet."

Soweit unser kleiner Streifzug von den ältesten bis zu den jüngsten böhmischen Weihnachtsliedern. Und auch wenn es das "koledovani", die Umzüge durch die Dörfer heute kaum noch gibt - gesungen werden die Lieder immer noch. Und auch der Weihnachtsliedexperte Lubomir Tyllner kann sich kein Weihnachtsfest ohne den Gegenstand seiner Forschung vorstellen.

"Wir singen in der Familie miteinander, wenn wir zum Christbaum gehen, und wir singen ´Narodil se Kristus Pan´ - das ist einfach das Symbol der tschechischen Weihnacht."

Noch mehr tschechische Weihnachtslieder in Text und Ton finden Sie hier auf diesen Seiten - für Sie gesungen von den Mitarbeitern von Radio Prag!