Die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Tschechien

Auch 17 Jahre nach dem Fall des Kommunismus in Tschechien sind immer noch nicht alle Facetten des einstigen totalitären Regimes bekannt. Mit ihrer Aufarbeitung befasst sich seit mehr als zehn Jahren das Amt zur Dokumentation und Ermittlung der kommunistischen Verbrechen.

Jene 17 Jahre, die seit dem Fall des Kommunismus in Tschechien vergangen sind, sind immer noch eine relativ kurz Zeit, um im vollen Umfang die Zeitspanne 1948 bis 1989 aufarbeiten zu können. Zwar konnten die Opfer dieser Zeit rehabilitiert werden und auch die Mechanismen und Strukturen des totalitären Regimes sind bereits bekannt.

Dennoch ist aber auf juristischer Ebene immer noch Einiges im Gange. So fällte erst vor wenigen Tagen der Oberste Gerichtshof Tschechiens ein Urteil, dass vielleicht in Bezug auf die Zeit des Kommunismus Bahn brechend sein wird. Die Richter entschieden nämlich, dass jene Fälle, in denen kommunistische Grenzpolizisten mit dem Gebrauch ihrer Waffe ihre Mitbürger daran hinderten das Land zu verlassen und oft auch töteten, nicht verjähren können. Zudem entschieden die Richter, dass die Grenzwachen in dem konkreten Fall selbst nach den damals geltenden kommunistischen Gesetzen fahrlässig handelten. Da es gegen dieses Urteil, das in letzter Instanz gefällt wurde, keine Berufungsmöglichkeit mehr gibt, kann angenommen werden, dass es in einigen Monaten zu einer Reihe von Prozessen gegen ehemalige Angehörige der kommunistischen Grenzpolizei kommen könnte.

Auch für die historische Forschung ist das Thema Kommunismus in Tschechien immer noch mit einigen Überraschungen verbunden. So passiert es häufig, dass auf den ersten Blick scheinbar unwichtige Notizen, die in den Archiven gefunden werden, dann beim genaueren Hinsehen eine neue Facette des totalitären Regimes aufdecken und das Gesamtbild vervollständigen.

Eine jener offiziellen Stellen, die sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Festhalten der kommunistischen Verbrechen befassen, ist das Amt zur Dokumentation und Ermittlung der kommunistischen Verbrechen. Über die Tätigkeit dieser Institution, wie auch über den Stand der Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Historiker Jan Kalous, der zu jenen 25 hauptberuflichen Ermittlern und Dokumentaristen gehört, die bei dem Amt tätig sind. Jan Kalous erläutert zunächst einmal einige Grundsätze, nach welchen das Amt zur Dokumentation und Ermittlung der kommunistischen Verbrechen vorgeht:

"Wenn es um irgendwelche quantitativen Ausgangspunkte geht, dann muss man zunächst definieren, was man eigentlich erreichen will. Die Dauer der Dokumentationsphase ist praktisch unbeschränkt, dort gibt es eine Reihe von Möglichkeiten und Ereignisse, die sich detailliert untersuchen lassen, wo man die Zusammenhänge zwischen Repression und der geltenden politischen Linie herstellen kann. Was die Ermittlungsphase angeht, so lässt sich sagen, dass wir uns zehn oder elf Jahren nach der Gründung unseres Amtes in einer Situation befinden, wo es keine Anregungen von außen mehr gibt und wir alles in den Archiven suchen müssen. Zudem endet in dieser Phase unsere Arbeit dort, wo wir genug Unterlagen gesammelt haben, damit dann die zuständige Staatsanwaltschaft Anklage erheben kann. Wenn wir das aus dieser Perspektive betrachten, so ist es nicht immer gelungen, aus welchen Gründen auch immer, alles aufzuspüren. Zu den Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert wurden, gehörten zum Beispiel verschiedene Amnestien, die Einfluss auf die Ermittlungen hatten. Oder ein weiterer Punkt war der Streit, ob zum Beispiel Grenzpolizisten den Status von öffentlichen Beamten hatten. Andere Probleme ergaben sich daraus, wenn der Täter vorgab sich an nichts mehr erinnern zu können usw. Natürlich haben auch die Gerichte einzelne Fälle oft in die Länge gezogen, wobei in der Zwischenzeit dann wichtige Zeugen starben und der Täter somit nicht ermittelt werden konnte."

In wie vielen Fällen konnten bislang anhand der Arbeit der Dokumentaristen und Ermittler konkrete Personen wegen ihrer Vergehen vor Gericht angeklagt werden? Jan Kalous:

"Unser Amt hat seit seinem Bestehen gegen ungefähr 200 Personen ermittelt; davon wurden zirka dreißig verurteilt - egal ob rechtskräftig, auf Bewährung oder ohne Bewährung. Von den hohen politischen Vertretern des kommunistischen Regimes wurde lediglich der frühere Parteisekretär Karel Hoffmann verurteilt, obwohl auch die jeweiligen Innenminister, oder Polizeichefs vor Gericht standen. Es kam dabei zu verschiedenen Verzögerungen, meist prozedureller Art. Aus der Sicht der früheren politischen Gefangenen war es wichtig, dass es überhaupt zu einem Gerichtsurteil gekommen ist und dass dort die Schuld der Angeklagten festgestellt wurde. Das konkrete Strafmaß war dann nicht mehr so wichtig."

Als das Amt zur Dokumentation und Ermittlung der kommunistischen Verbrechen vor mehr als zehn Jahren gegründet wurde, kam es vor allem in der Anfangsphase häufig vor, dass die Anklagen, die auf Grund von Ermittlungen des Amtes für die Aufklärung der Verbrechen des Kommunismus, von den Staatsanwälten wieder zurückgewiesen wurden - meisten wegen formalen Fehlern. Auf diese Fehler verwiesen stets vor allem die Kritiker dieser Ermittlungen, die sich meistens aus dem kommunistischen Lager rekrutierten, die auch erfolglos - wie sich im Nachhinein gezeigt hat - versuchten die Kompetenzen des Dokumentationsamtes auszuhöhlen, oder es ganz aufzulösen.

Denkmal für die Opfer des Kommunismus in Prag  (Olbram Zoubek)
In den vergangenen Monaten wurde in Tschechien die Gründung eines so genannten "Instituts des nationalen Gedächtnisses" ins Leben gerufen. In den Nachbarstaaten Slowakei und Polen, wo es bereits solche Institutionen gibt, handelt es sich um eine zentrale Anlaufstelle für alle Fragen, die mit der kommunistischen Vergangenheit dieser Länder zusammenhängt, also beginnend mit der Möglichkeit in die Akten der kommunistischen Geheimpolizei einzusehen, bis hin zur Vergabe von Forschungsstipendien an junge Historiker.

Ein entsprechender Gesetzentwurf passierte in der vergangenen Woche denkbar knapp - und zwar nur mit der Mehrheit einer einzigen Stimme - die erste von insgesamt drei Lesungen im Abgeordnetenhaus. Zum künftigen Institut des nationalen Gedächtnisses meint abschließend der Historiker Jan Kalous vom Amt zur Dokumentation und Ermittlung der kommunistischen Verbrechen:

"Das Institut des nationalen Gedächtnisses ist eine Institution, die stark vom slowakischen und polnischen Modell beeinflusst ist, natürlich hat man sich auch vom deutschen Modell inspirieren lassen. Grundsätzlich gibt es einige Unterschiede zum jetzigen Amt zur Ermittlung und Dokumentation der kommunistischen Verbrechen. Das Institut wird eine Rolle bei der Lösung von Lustrationsfällen spielen, es wird auf Grund einer verstärkten Publikationstätigkeit auch der breiteren Öffentlichkeit weitaus stärker Informationen über die Vergangenheit bieten können. Das hatte bisher auch das Ermittlungs- und Dokumentationsamt gemacht, aber in einer eingeschränkten Form. Es wird natürlich auch eine stärkere Zusammenarbeit mit den Partnerinstituten im Ausland geben. Neu wird auch sein, dass dieses Institut nicht irgendeinem Ministerium unterstellt sein soll, weil wir zum Beispiel bislang stets ins Innenministerium eingegliedert waren. Wichtig ist, dass diese neue Stelle ein eigenes Archiv haben wird und auch das umfangreiche Archiv des Innenministeriums übernehmen wird. Wir waren in diesem Zusammenhang immer auf die Zusammenarbeit von Seiten der Archive angewiesen. Das neue Institut wird aber keine Kompetenzen im Ermittlungsbereich haben."