Streit am Stammtisch
Bier ist das Nationalgetränk der Tschechen. Doch um den Gerstensaft ist ein heftiger Streit entbrannt. Dazu Anna-Lotta Liss im Feuilleton.
"In Tschechien trinkt man nicht zum Essen. Die Tschechen essen, um zu Trinken", sagt mein Reiseführer. Kapitel "Essen und Trinken", Seite 39, ganz oben. Und belegt dies gleich mit einer saftigen Statistik: 160 Liter Bier trinkt der Durchschnittstscheche im Jahr - Kleinkinder und Abstinenzler abgerechnet. Auf gerade mal 123 Liter pro Kopf kommen die Deutschen - Bayern und Kölner eingerechnet.
Doch um der Tschechen liebstes Gebräu ist seit einiger Zeit eine heftige Diskussion entbrannt. Brauerei-Besitzer, Kneipiers und Stammtisch-Experten sind sich uneins darüber, wie genau das Bier ins Glas kommen soll. Diskutiert wird die perfekte Temperatur und in wie vielen Zügen das Pils gezapft sein soll. Den ganzen Wirbel hat die so genannte "Bierrichtlinie" verursacht, ein Regelwerk des tschechischen Brauereiverbandes. Sechs bis acht Grad muss demnach ein ordentliches Bier haben und in ein bis drei Zügen soll es gezapft sein. Doch genau diese Angaben entzweien die Experten. Da gibt es Fachleute, die ihr "pivo" nur bei sechs Grad trinken würden. Andere schwören auf acht Grad kaltes Bier. Der eine lässt es zurückgehen, wenn es nicht in einem Zug gezapft wurde. "Bier muss sich setzen!", meint der Nächste.
Bei allen Ungenauigkeiten in der Formulierung ist der "Bierkodex" nur eine Richtlinie. Die Brauereien geben Empfehlungen an die Wirte. Kontrollieren kann das am Ende niemand. Denn an eine "Bierpolizei" hat man in Tschechien noch nicht gedacht.So kann nur der Gast selbst beurteilen, ob das Bier "dobre" - also "gut" - ist. Eine interessante Methode dafür empfiehlt der Reiseführer. Das Ganze erinnert stark an den "Keks-Test" beim Cappuccino: Man nehme einen Heller und lege ihn auf die Schaumkrone. Bleibt er liegen, ist es ein guter Schluck. Wenn nicht - "trotzdem trinken". Denn wie schrieb ein Mal ein kluger Tscheche: "Wo andere Städte Grundwasser haben, hat Prag Bier."