Mit den Skauts in die Ferien - Zur Tradition der tschechischen Pfadfinderbewegung
Wie in vielen anderen Ländern auch hat in Tschechien die Ferienzeit begonnen. Zwei Monate lang, den ganzen Juli und August über haben die Schulen und staatlichen Kindergärten ihre Pforten dicht gemacht. Für viele Eltern, die zumindest einen Teil dieser Zeit selber arbeiten müssen, galt es in den letzten Wochen daher, nach einem geeigneten Ferienprogramm für ihre Kinder Ausschau zu halten. Sehr beliebt sind in Tschechien traditionell verschiedene Ferienlager, auf tschechich: tabory. Zelten in der Natur, kochen am Lagerfeuer, Baden in Gebirgsseen - eine Form der Rückkehr zur Natur, die in Europa in den 1920er Jahren vor allem durch Pfadfinderorganisationen an Popularität gewann. Pfadfinder heißt auf Tschechisch "skaut" oder "junák" und über die Geschichte des "skautings" hierzulande, seine Instrumentalisierung durch die Kommunisten und seine heutige Beliebtheit bei den Tschechen hat Silja Schultheis mit Petr Vanek aus dem Vorstand der Pfadfinderorganisation Junák gesprochen.
Herr Vanek, die Pfadfinder haben in Tschechien eine lange Tradition. Können Sie uns etwas über die Anfänge Ihrer Organisation erzählen?
"Die Pfadfinder sind erstmals 1911 auf dem Gebiet der noch nicht gegründeten Tschechoslowakei in Erscheinung getreten. In der Zwischenkriegszeit waren sie ziemlich stark - bis 1940, als sie zum ersten Mal verboten wurden. Dann gab es eine kurze Periode ihrer Existenz in den Jahren 1945-50, da waren die Pfadfinder wieder erlaubt. Das war hinsichtlich der Mitgliederstärke der Höhepunkt dieser Bewegung: Da gab es eine Viertelmillion Pfadfinder in der Tschechoslowakei. Dann war die Organisation noch einmal kurz zwischen 1968-70 erlaubt und dann erst wieder nach 1989. Also jetzt befinden wir uns in der längsten zusammenhängenden Phase unserer Existenz."
Wie populär ist 'Junak' heute in Tschechien?
"Das ist etwas kompliziert. Nach der Wende von 1989 hatten wir eine ziemlich hohe Zahl von Mitgliedern. Und jetzt liegen wir bei 50.000, die meisten von ihnen sind unter 18 Jahre. Die Zahl der Pfadfinder ist in den 90er Jahren etwas gesunken und jetzt liegt sie stabil bei 50.000."
Könnte die sinkende Mitgliederzahl dadurch zusammenhängen, dass für viele Tschechen jede organisierte Tätigkeit durch die Kommunisten diskreditiert wurde und man sich nicht mehr in irgendwelchen Vereinen organisieren wollte?
"Ich würde das so nicht sehen. Es wäre sehr bequem, wenn man das so deuten könnte. Aber nach der Wende waren die Pfadfinder etwas Neues, weil sie vorher verboten waren und viele Eltern haben darauf gewartet, ihre Kinder dorthin zu schicken. Aber heute gibt es ein riesiges Angebot an Freizeitaktivitäten. Und oft ist es so, dass die Eltern wollen, dass ihre Kinder nicht nur in der Schule perfekt sind, sondern dass sie noch etwas anderes beherrschen: Flöte spielen, Keramik machen, perfekte Athleten sind. Und das bieten wir eigentlich nicht an. Wir wollen, dass sich jeder Einzelne und jede Einzelne in allen Bereichen entwickelt: Kultur, Religion, Sport, zwischenmenschliche Beziehungen. Wir wollen nicht Perfektionisten in einem Bereich haben, sondern wir wollen, dass sie gute Menschen und Bürger werden und dazu ein Komplement an Eigenschaften bekommen."
Kommen wir konkret zu den Ferienlagern für Kinder: Welche Tendenz gab es hier nach 1989 zu beobachten, was das Interesse der Eltern angeht? Es gab ja im Kommunismus auch diese Möglichkeit, die Kinder in Ferienlager zu geben, häufig über die Betriebe, in denen die Eltern arbeiteten..."Das ist bei uns ganz anders. Bei uns ist das nicht so, dass sich die Eltern im Mai entscheiden, dass sie ihr Kind im Juli in ein Sommercamp schicken. Es ist so, dass die einzelnen Pfadfinder-Gruppen, die das ganze Jahr über zusammen arbeiten, im Sommer zusammen in ein Camp fahren. Das sind keine Kinder von außen, die gibt es zwar auch, aber 90-95 Prozent der Teilnehmer sind solche, die das ganze Jahr über in der Organisation tätig sind. Und sie fahren dorthin, um mit eigenen Freunden zusammen zu sein - und nicht, um neue Freunde zu gewinnen."
Sie haben es schon erwähnt: Die Pfadfinder waren während des Kommunismus die meiste Zeit verboten, da gab es die Pioniere. Haben die Kommunisten mit ihnen die ursprüngliche Pfadfinder-Idee instrumentalisiert - oder sind das doch zwei völlig verschiedene Dinge?
"Was die Kommunisten etwa 1949 gemacht haben: Sie haben die Elemente gestohlen, die bei den Pfadfindern gut sichtbar sind: die Uniformen, ein bisschen von dem Programm. Aber das Herz der Pfadfinder, die Methode, haben sie überhaupt nicht benutzt. Denn die besteht darin, die jungen Menschen dazu zu bringen, sich ihre eigene Meinung zu bilden und diese anderen Leuten und auch den Erwachsenen zu sagen. Und das war nicht kompatibel mit dem, was die Kommunisten wollten."
Glauben Sie, dass manche Leute dennoch Pionier und Pfadfinder heute etwas gleichsetzen?
"Das passiert ziemlich oft. Es ist ein Problem für uns, aber wir bemühen uns, denn Leuten zu sagen, dass wir etwas ganz anderes machen. Denn mit den damaligen Pionieren hat das nichts zu tun, schließlich gab es uns ja auch schon vor den kommunistischen Pionieren. Und was wichtig ist: Wir sind eine freiwillige Organisation mit einer eigenen "mission". Und mit den heutigen Pionieren sind wir auch nicht richtig zu vergleichen. Denn wir sind keine Freizeitorganisation, sondern eine Erziehungsorganisation. Wir wollen den Kindern etwas beibringen und wollen, dass diese selbst etwas lernen und sich entwickeln. Es ist nicht so, dass die Eltern sich sagen: Am Mittwoch zwischen 15 und 17 Uhr hat mein Kind noch kein Programm, da schicken wir es doch zu den Pfadfindern. Das funktioniert bei uns nicht so einfach."
Beobachten Sie einen zunehmenden Trend hin zu einer individuellen Freizeitgestaltung?
"Ja, auf der einen Seite ja. Auf der anderen Seite aber auch nicht. Die Kinder wollen wirklich individuell wirken und als individuelle Persönlichkeiten betrachtet werden - von den Erwachsenen und auch von den anderen Kindern. Unsere Erfahrung ist, dass manche Kinder so tun, als wenn sie zu keiner Gruppe gehören und keine Freunde brauchen würden. Aber das stimmt nicht. Das ändert sich nach wenigen Wochen. Und dann kann man sehen, dass die Kinder wirklich soviel Interaktion mit den anderen brauchen wie vor 15 Jahren."