Dans le noir: Entführung in die Welt der Blinden

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Pechschwarz wird es auch in unserem nächsten Beitrag. "Dans le noir?" - "Im Dunkeln?" - so heißt nämlich eine Geschäftsidee, die den Blickwinkel Behinderten gegenüber ändern soll. Im Restaurant im Pariser Stadtviertel Marais werden die Rollen getauscht. Blinde führen Sehende in ihr Reich. Gegessen wird in der totalen Finsternis. Ethik Investments, so heißt das Unternehmen, das verschiedene "ethische" Missionen plant. Das erste Projekt ist das "Dans le noir?", das vor zwei Jahren gegründet wurde. Und es sollen Weitere folgen. Eine Reportage von Nadine Baier:

"Es gibt viele Blinde, die ihre Erfahrungen mit ihren Familien und Freunden teilen möchten", sagt Edouard de Broglie, Geschäftsführer des Restaurants und des Unternehmens Ethik Investments. "Wir arbeiten mit dem Blindenverein Paul Guinot zusammen, der die Blinden ausbildet. Es ist einer der ältesten Blindenvereine der Welt und wurde 1918 gegründet. Worauf wir besonders stolz sind, ist dass unser Restaurant immer gut besucht ist. Studenten und Geschäftsleute kommen, und sogar unser Premierminister war letztes Jahr da. Dieses Restaurant soll Verantwortliche aufrütteln und zeigen, dass Behinderte, die eine an ihre Situation angepasste Arbeit haben, unheimlich leistungsfähig sein können. Ich als Unternehmenschef freue mich ganz besonders über mein Blindenteam: Es ist motiviert, ernsthaft, unerbittlich - ich glaube in der Gastronomie ist das nicht immer der Fall."

Die Dunkelheit gibt es nicht, Ignoranz jedoch schon. Nach diesem Zitat von Shakespeare gründete Edouard de Broglie das Restaurant "Dans le noir?", zu Deutsch "Im Dunkeln?". Das Fragezeichen hinter dem Namen ist Programm, denn im Dunkeln werden andere Sinne wach - und manch einem die Augen für die Welt der Blinden geöffnet.

Koordinator Christian macht die Gäste mit den strengen Vorschriften vertraut. Er ist nicht blind, so wie Barmann und Koch, und koordiniert den reibungslosen Ablauf:

"Heute Abend werden Sie in der totalen Dunkelheit essen. Drinnen werden Sie bedient von Susanna. Sie ist blind. Bevor Sie also den Saal betreten, bitte ich Sie, ihre Sachen abzulegen. Alles, was Licht erzeugt: Handy, Feuerzeug, Quarzuhren. Sie haben ein Schließfach zur Verfügung, dort können Sie Ihre Taschen und Ihre Kleidung einschließen, um sie nicht im Dunkeln zu verlieren, und damit Susanna nicht drüber stolpert. Ich empfehle Ihnen unser Überraschungsmenü, damit Sie erst beim Essen entdecken, um was es sich handelt. Um an Ihren Platz zu gelangen, legen Sie die Hand auf die Schulter des Vordermanns. Denken Sie daran, vorher auf die Toilette zu gehen! Wenn Sie bereit sind, nehme ich die Bestellung auf und lasse Sie in den Saal."

Aufgaben erledigt. Jetzt heißt es: Vorhang auf für die stockfinstere Nacht. Kellnerin Susanna weist die Richtung der Polonaise. Blindes Vertrauen setzen die Gäste in ihre Kellnerin, ohne deren Schulter sie im Dunkeln tappen würden:

"Wenn Sie loslassen sollten, schreien Sie um Hilfe, okay? Los geht's. So, jetzt geht's nach links, das war der letzte Vorhang, jetzt geradeaus... Alles in Ordnung? Ja, ja, es ist verwirrend am Anfang, das verstehe ich!"

Und plötzlich ist alles anders. Die Luft ist kühler, die Stimmen sind lauter. Das Ohr ersetzt nun das Auge. Man ertastet seine neue kleine Welt. Susanna erklärt, wo sich Stuhl, Tisch, Glas, Besteck, Teller und Nachbar befinden.

Hier herrschen andere Regeln, die Sympathien werden nach anderen Kriterien verteilt. Nicht nach Äußerlichkeiten. Und das Sprichwort "Das Auge isst mit" bekommt eine ganz neue Bedeutung. Taboulé auf die Gabel zu schieben oder Wein einzuschenken, erfordert nahezu koordinative Fähigkeiten. Beißt man gerade auf Auberginen oder Zucchini, kaut man Pilze oder Hühnchen, kommt der Geruch in Ihrer Nase vom Teller, oder vom Nachbartisch? Der Gast Cyril ist bzw. isst zum ersten Mal im Dunkeln:

"Es ist ein fremdes und neues Gefühl, komisch, man verliert die Orientierung. Gleichzeitig empfindet man eine Art Ruhe. Man ist friedlich, wenn man sich unter Kontrolle hat. Bis jetzt kontrolliere ich die Situation, also geht es."

Aber manch einer kontrolliert die Dunkelheit nicht:

"Ich kann nicht rein, ich kann nicht, ich ersticke!" ruft eine Frau. "Ich kann es nicht erklären, ich habe Platzangst, und in der totalen Finsternis zu sein, ist schrecklich!"

Der Blinde Vincent Rigneau ist Stammgast im "Dans le noir?". Er kommt dort voll auf seine Kosten:

"Den Moment des Austauschs suchen wir alle hier. Es ist eine Art Rollentausch. Ich war einmal mit Arbeitskollegen hier, und überraschend und verwirrend für sie war die Verstärkung des Hörsinns. Es ging gar nicht so darum, den Teller wieder zu finden, sondern vielmehr darum, sich selbst reden zu hören, alles rundherum zu hören, weil man eben nur noch den Hörsinn hat. Da mussten wir lachen, weil die Leute wirklich Schwierigkeiten hatten zu reden, und einige haben gar nicht mehr gesprochen. Das war ziemlich lustig."

Fotos: www.danslenoir.com