Mai 1946: Die Hinrichtung von Karl Hermann Frank und das Schicksal von Kamil Rössler
Die Tschechoslowakei erlebte vor 60 Jahren eine große Genugtuung für das Kriegsleiden: Der Naziverbrecher Karl Hermann Frank wurde in Prag zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet. Der Gerichtsprozess hatte aber auch noch ein anderes Opfer. Mehr dazu im heutigen Geschichtskapitel von Jakub Siska.
"Manches Straßenbild böhmischer und mährischer Städte wird sich in den nächsten Wochen verändern! Überflüssige Geschäfte und Auslagefenster werden geschlossen. Faulenzer wie Kaffeehaushocker, Kartenspieler und Taugenichtse aller Art werden verschwinden! Auch tschechische Mädchen und Frauen und der tschechische junge Mann werden und müssen heute erkennen, dass es für sie und das ganze tschechische Volk besser ist, unter Verzicht auf Luxuskleidung, Modefrisuren, Tanz und manche Bequemlichkeiten mittelbar an der Vernichtung des Bolschewismus mitzuhelfen, als bei einem bolschewistischen Sieg über Europa in sibirischen Zwangsarbeitslagern voll von Millionen europäischen Arbeitssklaven mitzumachen!"
Am Ende des Krieges versuchte Frank, in die amerikanische Militärzone zu flüchten, wurde aber bei Pilsen verhaftet und an die tschechischen Organe ausgeliefert. Der Jurist und Publizist Milan Hulik erklärt weiter:
"In Prag wurde er in einem ungefähr dreimonatigen Prozess für die Verbrechen an der tschechischen Nation verurteilt. Es betraf hauptsächlich Lidice - das ist ein heute weltberühmtes Dorf unweit von Prag, wo alle Männer erschossen und die Kinder und Frauen in Konzentrationslager gebracht wurden. Von zirka 200 Kindern sind nur etwa fünf oder sechs nach Hause zurückgekehrt. Karl Hermann Frank spielte dort eine führende Rolle, weil er viele Befehle für Gestapo und SS ausgegeben hat. Das war nach der Ermordung von Reichsprotektor Reinhard Heydrich. In dieser Zeit, in der es keinen Reichprotektor im Protektorat Böhmen und Mähren gab, stellte Karl Hermann Frank die Hauptfigur dar und trug die größte Verantwortung für diese Befehle."
An der Schuld von Karl Hermann Frank zweifelte in der Tschechoslowakei kaum jemand. Auch das Urteil war von Anfang an eigentlich klar. Aber wie alle Angeklagten musste auch Frank beim Prozess seinen Verteidiger haben. Und da entstand ein Problem:"Das war sehr unangenehm für die tschechische Justiz und hauptsächlich für die tschechische Anwaltskammer. Sie musste einen Anwalt auswählen. Der Anwalt musste selbstverständlich sehr gut deutsch sprechen. Alle tschechischen Anwälte waren gegen Frank selbstverständlich sehr feindlich gesinnt. Schließlich wurde der tschechische Anwalt Dr. Kamil Rössler ausgewählt. Er har das zunächst abgelehnt, aber später wurde er von der Anwaltskammer zu dieser Verteidigung gezwungen. Und ich muss sagen, er verteidigte sehr gut. Frank war mit seiner Verteidigung sehr zufrieden. Dazu ist folgendes interessant zu erwähnen: Beim ersten Treffen von beiden Männern im Gefängnis, als Kamil Rössler dort angekommen ist, sagte Frank zu ihm: Ich will keinen tschechischen Anwalt. Und Dr. Rössler antwortete: Ja, das ist möglich, aber ich muss Ihnen sagen, dass das Gericht kein Recht hat, über Sie zu urteilen. Denn Sie sind bis heute tschechoslowakischer Abgeordneter und genießen Immunität. Karl Hermann Frank schwieg eine Weile und dann sagte: Ja, das stimmt. Und seit diesem Moment hatte Dr. Rössler das Vertrauen von Karl Hermann Frank."
Dr. Kamil Rössler hat die Verteidigung nicht nur auf der vermuteten Immunität aufgebaut. Er versuchte z. B. darauf hinzuweisen, dass sein Klient keine Verantwortlichkeit für das Verhalten einzelner Deutscher tragen konnte. Das war aber sehr schwierig zu behaupten. Alle Untergebenen von Karl Hermann Frank, die sich natürlich aus ihrer eigenen Schuld herausreden wollten, sagten gegen ihn aus. Und es kamen auch überlebende Frauen aus Lidice mit sehr emotionalen Aussagen bei dem Prozess zu Wort.
"Kamil Rössler hatte große Schwierigkeiten mit diesem Prozess. Sein Bruder wurde während der Heydrichiade hingerichtet - das war die Zeit, in der die Naziorgane nach den Attentätern gefahndet hatten und in der Tausende Tschechen hingerichtet wurden. Obwohl Dr. Rössler einen Märtyrer in der eigenen Familie hatte, verteidigte er Karl Hermann Frank. Er selbst und seine Familie hatten deswegen große Probleme, sie wurden von den Tschechen gehasst und angegriffen."
Der Prozess endete wie erwartet: Karl Hermann Frank wurde am 22. Mai 1946 vor den Augen von ungefähr 500 Leuten im Prager Gefängnis aufgehängt. Es handelte sich um die letzte Hinrichtung eines nazistischen Funktionärs in Prag. Mit ihr aber endete auch die Karriere von Dr. Rössler. Viele Leute hielten ihn für einen Volksverräter und Verteidiger der Nazis. Als Anwalt bekam er keine Arbeit mehr, nach dem kommunistischen Umsturz 1948 wurde er aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Man kann ihn also als letztes Opfer von Karl Hermann Frank betrachten.