Allein auf Kafkas Spuren
Innerhalb von Deutschland war die Vernetzung recht einfach: Auf einem Literaturseminar trafen sich Armin Steigenberger von der Münchener Literaturzeitschrift "außer.dem" und Matthias Schwincke vom Nürnberger "Literaturkombinat". Seither herrscht ein reger Austausch zwischen den beiden Literaturclubs. Zusammen machten sie sich auf nach Prag um auch hier Gleichgesinnte zu finden. Doch das stellte sich als weitaus schwieriger heraus. Zu guter Letzt tranken die Deutschen allein ihr Bier am vereinbarten Treffpunkt, im Literaturcafe "Shakespeare". Renate Zöller war dabei.
Die Nürnberger hatten alle möglichen Wege gesucht, um junge oder alte Autoren einzuladen, allen voran Matthias Schwincke, der die Reise angestoßen hatte. Die Kontaktaufnahme mit tschechischen Amateurschriftstellern stellten sich die Besucher eigentlich ganz einfach vor. Denn Themen, über die man sprechen könnte, gibt es genug, findet etwa Joachim Gaupmann vom "Literaturkombinat":
"Weil wir gedacht haben, es ist für Schreibende, egal ob deutsch- oder nicht deutsch-schreibende Kollegen hier in Prag auch interessant, deutsche Kollegen kennen zu lernen. Daneben gibt es dann sicherlich aus unserer Sicht den Herrn Kafka als kleines Aushängeschild, plus eben einfach zu sagen: Inwieweit sind die politische Lage und die gesellschaftlichen Entwicklungen interessant als Topos für Literatur."
Denn schließlich ging es den Nürnbergern und Münchnern nicht nur darum, die Heimat ihres Vorbilds Kafka zu besuchen. Vor allem wollten sie in Kontakt mit den Tschechen treten, wie der Begründer des Literaturkombinats, Sebastian Wermke, erklärt:
"Das ist auch eigentlich der Grund weshalb wir mit nach Prag gekommen sind: Zum einen natürlich auch der Funfaktor, einfach auch Prag mal wieder zu sehen und zu erleben. Da verändert sich ja doch immer auch sehr viel in den Jahren. Ja und dann natürlich, die Leute zu treffen, kennen zu lernen, die Neugierde, vielleicht auch Freundschaften zu schließen - das Menschliche spielte natürlich auch eine sehr, sehr große Rolle."
Die Versuche von Matthias Schwincke, ein lockeres Treffen im erklärten Literaturcafe Shakespeare zu initiieren, erwiesen sich allerdings recht mühselig. Beim Schriftstellerverband konnte man ihm garnicht weiterhelfen und der Adalbert Stifter Verein zeigte sich bemüht aber hilflos. Und schließlich sagten die wenigen Autoren, die er doch noch ausfindig machen konnte, auch noch ab - das Auto war kaputt, die Freundin krank oder gerade ein tolles Konzert in einer anderen Stadt.
Beim Bier in trauter deutscher Runde wurde überlegt, woran es wohl gelegen haben könnte. Schwincke hatte extra kein Thema vorgeben wollen, hatte ein zwangloses Treffen gewünscht. Aber vielleicht war das den Tschechen zu vage? Ein unschöner Gedanke kommt auf: Zwar ist für die deutschen Besucher Prag ein weitgehend unbekanntes Pflaster, die Tschechen dagegen erleben täglich zigtausende deutsche Touristen. Vielleicht ist ein Treffen für sie gar nicht so spannend? David Prusa, Mitbesitzer des Cafes Shalespeare, sagt:
"Für die Deutschen oder vor allem Westdeutschen ist der Osten immer noch der wilde Osten, hat es immer noch diese Romantik. Aber ich glaube nicht, dass die Tschechen noch diese Vorstellung von Winnetou-Romantik im Westen haben."
Dennoch müsste es Berührungspunkte geben zwischen Schreibenden, die in Ost und West selten von ihrer Kunst leben können und doch ihre Sache ernst nehmen. Für die deutschen Autoren jedenfalls ist es selbstverständlich, dass ihnen der Kontakt mit Leidengenossen hilft, an ihrer Idee festzuhalten. Aber vielleicht liegt gerade da der Knackpunkt. Für die Deutschen ist es völlig naheliegend, eine Gruppe zu bilden, um über Literatur und vor allem über ihre eigenen Schreibversuche zu sprechen. Der Initiator des Literaturkombinats, Sebastian Wermke, erklärt, als er aus dem Erzgebirge nach Nürnberg kam, habe er sich gleich nach anderen Schreibenden umgesehen:
"Warum gründet man so eine Gruppe? Man möchte natürlich nicht allein sein im Schreiben, in seinen Ideen und dem was man macht. Und man möchte mit anderen sprechen, die gleichgesinnt sind, die schreiben, mit denen man sich austauschen und locker reden kann, mit denen man auch ernsthaft über Texte sprechen kann, wo auch was bei rumkommt."
Die Münchener gingen noch einen Schritt weiter: Sie gründeten nicht nur eine Gemeinschaft, in der sie ihre eigenen Texte besprechen und Seminare für andere Interessierte anbieten. Sie haben mit der Literaturzeitschrift "außerdem" auch ein Forum geschaffen, um die Texte weniger bekannter Autoren auch einem breiteren Kreis zugänglich zu machen. Das ist auch für die Redakteure selbst spannend, wie Christel Steigenberger sagt:
"Dadurch, dass ich in dieser Literaturzeitschrift mitwirke und auswähle, welche Texte veröffentlicht werden und in welchem Rahmen, hab ich für mich schon das Gefühl ich nehme - in diesem begrenzten Raum rund um München, wo unsere Literaturzeitschrift ein bisschen bekannter ist - daran teil einen gesellschaftlichen Diskurs mitzugestalten. Dann ist es einfach auch unglaublich interessant Texte zu lesen, die verschiedenen Texte, die kommen. Und bei den Präsentationen - wir machen jeweils auch Lesungen, wenn eine Zeitschrift neu herauskommt - die Autoren kennen zu lernen und festzustellen: Was stecken für Menschen dahinter? Und mehr über deren Texte und ihr Schreiben zu erfahren."
Den tschechischen jungen Autoren ist dieses Denken relativ fremd. Sie kommen ebenfalls, wie David Prusa erzählt, ins Cafe Shakespeare. Auch sie verbringen manchmal die Nächte damit, über Literatur allgemein oder ihre eigenen Werke zu sprechen. Aber verabreden tun sie sich hierzu nicht, sagt Prusa:
"Ich glaub, dass es bei der tschechischen Mentalität oder, wenn man es so sagen darf, bei der Schriftstellermentalität, nicht gerade 'in' ist, diese Kommunen oder Kreativitätskommunen zu bilden. Ich weiß nicht, ob das etwas mit den Kommunisten und dem damaligen Schriftstellerverband zu tun hat, dass sie mehr auf der Individualitätsebene funktionieren als zusammen in einer Gruppe."
Die deutschen Autoren aus München und Nürnberg sind nicht die ersten, die versucht haben, eine Begegnung mit tschechischen Schreibenden zu initiieren. David Prusa hat im Shakespeare, wo es jede Menge englischsprachige Literatur zu kaufen gibt und sich daher hier auch viele anglophone Gäste tummeln, schon einmal so einen Versuch miterlebt. Die Autoren kamen zwar, wenn sie von den englischsprachigen Kollegen eingeladen waren. Aber dafür blieben die Gäste aus.
Die Deutschen wollen jedoch die Hoffnung nicht aufgeben. Im Gegenteil, nach einer ersten kleinen Enttäuschung begannen sie im Shakespeare zu planen, wie es beim nächsten Mal besser laufen könnte. Jedenfalls wird die Planung von Deutschland aus beim nächsten Mal viel mehr Vorlaufzeit haben. Dann wird es auch ein Motto geben, eines mit dem sich auch die Tschechen identifizieren können. Und schließlich wird man sich bei einer Lesung künstlerisch kennen lernen können. David Prusa hat den deutschen Autoren dafür die Räumlichkeiten des Shakespeare angeboten.
"Es könnte funktionieren. Auf der einen Seite bin ich optimistisch, dass es so funktionieren könnte, auf der anderen Seite bin ich auch pessimistisch und befürchte, dass es Schwierigkeiten geben wird, ein Publikum zu finden. Man wird wahrscheinlich schon, wenn man es vorher gut organisiert, tschechische Schriftsteller finden, die auch kommen und die gerne teilnehmen. Aber ein tschechisches Publikum für eine bilinguale oder mehrlinguale Lesung zu finden, ist glaube ich schon schwierig."
Falls tschechische und deutsche Autoren auf diesem ersten Treffen doch noch einen Weg zueinander finden, können sie diese Aufgabe ja vielleicht bei einem der nächsten Kaffeklatschs im Shakespeare in Angriff nehmen.
Fotos: www.shakes.cz