Neue Archivdokumente: Churchill wollte Vergeltung für Lidice

Lidice im Juni 1942

Die Auslöschung des böhmischen Dorfes Lidice und seiner Bewohner im Juni 1942 durch deutsche Truppen ist als Symbol für die skrupellose Brutalität des Nationalsozialismus in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen. In Großbritannien wurden nun, mehr als 60 Jahre nach den historischen Ereignissen, Archivdokumente freigegeben. Sie zeigen unter anderem, dass Premierminister Winston Churchill Vergeltungsschläge für Lidice durchsetzen wollte. Es berichtet Thomas Kirschner.

Die Nachricht über die Vernichtung des kleines Ortes Lidice bei Prag am 9. Juni 1942 ging als Schockwelle um die Welt: Als Vergeltung für das Attentat an dem Stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, dem so genannten "Schlächter von Prag" Reinhard Heydrich, hatten deutsche Truppen das Dorf dem Erdboden gleichgemacht, die Männer hingerichtet und Frauen und Kinder verschleppt.

Das britische Nationalarchiv hat nun Protokolle der Kabinettssitzungen der entsprechenden Zeit freigegeben. Aus den Papieren scheint noch die Wut und Fassungslosigkeit der britischen Regierung angesichts des Schicksals von Lidice hervor. Premierminister Winston Churchill forderte als unmittelbare Vergeltung die Zerstörung von deutschen Dörfern im Verhältnis drei zu eins. Sein Minister und späterer Nachfolger Clement Attlee setzte sich allerdings mit seiner Mahnung durch, mit den Nationalsozialisten nicht in einen Wettbewerb des Schreckens zu treten. Zu britischen Vergeltungsschlägen kam es zwar nie, erläutert der tschechische Militärhistoriker Eduard Stehlik. Mit Lidice aber seien auch bei den Hitler-Gegnern die letzten Illusionen über das Wesen des Regimes verschwunden.

Militärhistoriker Eduard Stehlik
"Als unmittelbar nach dem Attentat auf Heydrich bekannt wurde, dass hinter der Aktion Angehörige der tschechoslowakischen Exilarmee in Großbritannien stehen, wollten einige Abgeordnete die Sache ins Parlament bringen und eine Anfrage an Premier Churchill einreichen, ob sich die britische Regierung an Auftragsmorden beteilige. Nach der bestialischen Vernichtung von Lidice durch deutsche Truppen hatte Churchill aber wieder freie Hände. Denn damit war klar, dass jeder Schritt gegen die Nazis zu rechtfertigen war."

Die Reaktionen auf das Schicksal von Lidice sind aber nur ein Punkt, über die die neu freigegebenen britischen Kabinettsprotokolle Aufschluss geben. Unter anderem hat das Kabinett auch darüber entschieden, Hitler standrechtlich auf dem elektrischen Stuhl hinzurichten, sollte er den Briten in die Hände fallen. Besonders wertvoll seien die Protokolle aber, weil sie einen tiefen Einblick in das Denken und Handeln von Winston Churchill erlaubten, betont der Prager Historiker Eduard Stehlik:

"Im Hinblick darauf, was für eine starke und außergewöhnliche Persönlichkeit Winston Churchill war, sind das interessante Materialien, um seine Persönlichkeit besser zu verstehen - weitere Mosaiksteine, die die Geschichte anschaulicher, farbiger und auch für Laien verständlicher machen."