Wie sieht die Zukunft der deutsch-tschechischen Projektarbeit aus?
Wie sieht die Zukunft der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Tschechien und Deutschland aus? Welche Prioritäten sollten hier gesetzt werden? Ist dabei die Geschichte oder eher die Zukunft wichtig? Welche Rolle spielt die europäische Ebene bei der bilateralen Zusammenarbeit? Darüber diskutierten Ende November in Berlin im Rahmen der Jahreskonferenz des Deutsch-tschechischen Gesprächsforums Experten mit Erfahrungen aus dem Bereich der deutsch-tschechischen Projektarbeit. Bara Prochazkova war dabei.
"Ich glaube, dass Deutsche, Tschechen und Polen in der Grenzregion Sachsen, Niederschlesien und Nordböhmen sich einiges zu sagen haben und einiges an historischen Gemeinsamkeiten finden können, die vielleicht mehr Identität schaffen, als wir es in dem doch sehr großen Europa auf dieser abstrakten Ebene schaffen können."
Der tschechische Geschäftsführer des Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, Tomas Jelinek, sprach sich auch für eine stärkere Unterstützung von bilateralen Projekten aus. Es sollen dabei jedoch besondere Projekte ausgewählt werden, die sich mit gesamteuropäischen Themen beschäftigen. Nach Meinung von Jelinek gebe es genug Bereiche, in denen gerade Tschechen und Deutsche gemeinsam zur europäischen Identität beitragen können:
"Im Vergleich zum Prozess der Schaffung der europäischen Identität ist der bilaterale Prozess wesentlich lebhafter. Und was wichtig ist, der bilaterale Prozess trägt den langwierigen Prozess der Schaffung der europäischen Identität. Zwischen der bilateralen und der europäischen Ebene gibt es also kein Spannungsfeld. Denn bei den meisten deutsch-tschechischen Projekten ist die europäische Dimension stark vertreten. Ich bin der Meinung, dass der Schwerpunkt der Unterstützung weiterhin bei der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit sein sollte."
Dies kann auch der deutsche Sprecher des Deutsch-tschechischen Jugendforums, Michael Sachsenmaier, bestätigen, denn in seinen deutsch-tschechischen Projekten wolle das Jugendforum auch zur Schaffung der europäischen Identität beitragen. Global denken, lokal handeln wäre das Motto der jeweils 20 Jugendlichen aus Tschechien und Deutschland, so Michael Sachsenmaier:
"Das wichtigste ist, den eigenen Nachbarn kenn zu lernen. In dieser Hinsicht ist Frankreich ein Vorbild, Tschechien ist dagegen in Deutschland noch nicht so bekannt. Wenn es mit allen Nachbarn so geschieht, dann kann es zu einer Europäisierung also zu der Findung einer europäischen Identität kommen."
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg - dies gilt jedoch nicht für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit. Der Leiter des Koordinierungszentrums für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch TANDEM in Pilsen, Jan Lontschar, betonte in diesem Zusammenhang, dass die finanziellen Mittel von der Europäischen Union im Gegensatz zu allen lokalen Bestrebungen nun stärker für multilaterale Projekte ausgegeben werden. Und tatsächlich wird ab 2007 in EU- Programmen der bilateralen Zusammenarbeit nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet; bei einigen Maßnamen sollen nun anstelle von zwei Partnern mindestens vier Organisationen aus vier Ländern den Antrag auf Finanzierung stellen. Und gerade die Finanzierung scheint in Zukunft die wichtigste Frage für die deutsch-tschechische Projektarbeit zu sein. Es sollen stärker Sponsorengelder von allen Seiten gesucht werden, sagte der deutsche Geschäftsführer des Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, Herbert Werner, in Berlin. Eine bessere Qualifizierung der Mitarbeiter wäre ein Schlüssel dazu:
"Die Vermittlung von Know-how kommt noch stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung, weil es für die einzelne Organisation, die ein Projekt aufbauen, durchführen, zu einem Abschluss führen aber auch fortführen wird, immer schwerer werden wird, die entsprechenden Mittel und die entsprechenden Personen, auf längere Sicht für ein solches Projekt zu bekommen. Deswegen wird angesichts dieser Mittelknappheit in Zukunft die Zielgerichtetheit aber auch die Frage von personeller Auswahl von Mitarbeitern, der Schaffung von Know-how und der entsprechenden Know-how-Strukturen im Mittelpunkt stehen müssen."
Die Zukunft der deutsch-tschechischen Projektarbeit scheint für Herbert Werner klar zu sein, die Anzahl der bilateralen Projekte werde auch weiterhin ansteigen, und es wird eine größere Bandbreite an unterschiedlichen Projekten geben. Nur die besten Ideen sollen ausgewählt und durchgeführt werden, so Werner. Der Zukunftsfond werde bei den Anträgen auf finanzielle Unterstützung nun eine intensivere Auswahl treffen und stärker anhand der vorgeschriebenen Kriterien die Anträge prüfen. Die bilateralen Projekte sollen nun die Interessen beider Seiten widerspiegeln, sowohl die der Tschechen als auch die der Deutschen, vor allem bei umstrittenen Themen solle das Miteinander in der Zivilgesellschaft in Europa unterstützt werden. Und Herbert Werner prophezeite: Der Trend in der bilateralen Zusammenarbeit bewegt sich auf eine gewisse Ent-Personalisierung zu. Die menschliche Erfahrung und das Bemühen um Einfühlung gehe verloren:
"Ich glaube, die Projekte der Vergangenheitsbefassung - ich will nicht Bewältigung sagen - werden aus verschiedensten Gründen abnehmen. Nicht nur weil die Erlebnisgeneration, die Zeitzeugen, mit der Zeit von uns gehen und wir ja alle leider älter werden, sondern es wird mit der neuen jungen Generation eine Verlagerung hinein in den Bereich der allgemeinen Befassung mit Fragen autoritärer Strukturen und Formen der Diktatur in Verbindung mit der Wahrnehmung von Menschenrechten stattfinden."
Die Brücke-Most-Stiftung in Dresden hat jedoch bislang gute Erfahrungen mit dem historischen Programm "Spurensuche" gemacht, also mit einem Projekt zur Unterstützung des Geschichtsbewusstseins bei Jugendlichen. Die europäische Identität könne also nur vor Ort gebildet werden, so Ina Gamp-Lämmer:
"Gerade die Befassung mit der historischen Spurensuche in Schulen bei der jungen Generation ist sehr wichtig. Wir haben bei unserer Arbeit gemerkt, dass wir bei Schülern vieles erreichen, die sich sonst mit der Geschichte überhaupt nicht befassen würden und das alles ganz langweilig finden. Bei Projekten, wo es darum geht, auf die Spuren der Vergangenheit der eigenen Stadt oder Dorfgemeinschaft zu gehen, entwickeln diese Jugendlichen ganz neues Interesse."
Die Jugend hält an dieser Stelle dagegen, zumindest nach den Worten von Michael Sachsenmaier, dem Vertreter des Deutsch-tschechischen Jugendforums. Geschichte ist zwar wichtig, jedoch sollen sich die Projekte nicht auf diesen Bereich beschränken. Es sollen in der Zukunft stärker der Jugendaustausch sowie die Bildung gefördert werden. Und das Jugendforum bleibt nicht nur bei Ideen, tatkräftig mischen die jungen Tschechen und Deutschen mit und führen Projekte zum gegenseitigen nachbarschaftlichen Kennen lernen durch, denn dies sei für die Entwicklung der europäischen Identität essentiell:
"Ich halte es für sehr wichtig, dass die Vergangenheit bei Projekten weiterhin eine Rolle spielt, es sollen sich viele Projekte mit der Vergangenheit befassen. Der Jugend soll nahe gelegt werden, was es in der Vergangenheit gab und was vielleicht die deutsch-tschechischen Beziehungen belastet. Trotzdem denke ich, dass sich nicht alle Projekte auf dieses Thema beschränken sollten."