Tschechisch-deutsche Suchergebnisse
"60 Jahre der Suche" - So der diesjährige Titel des grenzüberschreitenden Künstlersymposiums "Proudeni-Strömungen". Bereits zum siebten Mal trafen sich tschechische und deutschsprachige Künstler zu einem ungewöhnlichen Erfahrungsaustausch. Erfahren Sie mehr von Bernd Janning in einer neuen Ausgabe unseres Kultursalons.
Die Wurzeln reichen weit zurück. Der Edelherr Friedrich von Bila wurde am 21. Juni 1621 auf dem Altstädter Ring in Prag hingerichtet. Drei Jahre zuvor gehörte er zu jenen 30 protestantischen Direktoren, die nach der Absetzung der habsburgischen Herrschaft in Böhmen das Land verwalten sollten. Als die katholischen Habsburger jedoch Böhmen zurückeroberten, bezahlte er für seine religiöse und politische Überzeugung mit dem Leben.
Zum Eigentum der Adelsfamilie von Bila gehörte zu jener Zeit auch ein stattlicher Meierhof in der kleinen nordböhmischen Gemeinde Rehlovice (Groß-Tschochau). Ein Herrenhaus wird in alten Akten erwähnt, eine Brauerei ist seit dem 16. Jahrhundert nachgewiesen. Die Besitzer wechselten mehrmals, der Hof verlor im Verlauf der Jahrhunderte zusehends an Bedeutung. Ein Herrenhaus gab es schon lange nicht mehr und die Brauerei schenkte bereits 1911 ihr letztes Bier aus. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auch noch die sudetendeutschen Besitzer des Gutes vertrieben, der Hof wurde einer staatlichen Agrargenossenschaft zugeschlagen.
Mehr als zehn Tage arbeiten die Künstler in Rehlovice intensiv zusammen. Statt luxuriöser Einzelzimmer gibt es einen großen Schlafsaal. Es wird nicht nur gemeinsam gekocht und gegessen, sondern natürlich auch gelacht und gefeiert. Für Svatopluk Klimes macht dies den Reiz des grenzüberschreitenden Symposiums aus:
"Ich bin einer der Mitveranstalter des Symposiums und selbst Künstler. Zudem arbeite ich als Professor an der Kunstfakultät der Hochschule Usti nad Labem (Aussig). Für mich ist dieses Symposium sehr wichtig. Zum einen werden hier ansprechende Kunstwerke geschaffen, zum anderen entstehen tolle Freundschaften zwischen den Künstlern. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Hof im ehemaligen Sudetenland befindet. Deshalb ist es ein wichtiger Ort für die Begegnung von Tschechen und Deutschen. Ich bin der Meinung, dass diese Annäherung ein wesentlicher Bestandteil des Symposiums ist."
Obwohl die meisten deutschsprachigen Teilnehmer nur wenig oder kein Tschechisch verstehen, läuft die Kommunikation zwischen den Künstlern meist ohne Probleme. Viele der tschechischen Teilnehmer sprechen gut Deutsch oder man kommuniziert in der Weltsprache Englisch miteinander. Doch überraschenderweise, so Brigitte Reichl, können Tschechen und Deutsche recht oft auf einen gemeinsamen Wortschatz zurückgreifen. Wer als Künstler tätig ist, der wird schnell mal eine Schnur - tschechisch "snura" - spannen oder ein Stück Blech - tschechisch "plech" verbiegen wollen. Brigitte Reichl kennt noch mehr tschechisch-deutsche Vokabeln:"Einer der Teilnehmer und ich machen schon immer Witze über diese ähnlichen Wörter, wie zum Beispiel Schmiergelpapier / smirgli oder sroub / Schraube. Heute haben wir die gemeinsame Vokabel Gesicht / ksicht kennengelernt. Im Tschechischen ist die Bedeutung des Wortes "ksicht" jedoch weniger schön, kann man es doch wohl am ehestens mit dem Wort Fratze übersetzen. Es ist witzig diese Sprachgemeinsamkeiten zu finden und in der Sprache zu benutzen."
Das idyllische Hofgelände im kleinen Rehlovice tauschen die Künstler einige Monate nach dem ersten Teil der Begegnung gegen Ateliers in der sächsischen Landeshauptstadt ein, denn von Ende Oktober bis Mitte November finden dort die "Tschechischen Kulturtage Dresden" statt. Und schon seit einigen Jahren ist "Proudeni-Strömungen" fester Bestandteil dieser. Wann sich die Künstler und die "Tschechischen Künstler" zum ersten Mal begegneten, weiß Dagmar Cettl:"Ich bin zum sechsten Mal dabei. Fünfmal als Teilnehmerin und einmal als Gast. Als das Symposium 1999 erstmals in Rehlovice stattfand, da waren wir noch nicht in Dresden. Die Tschechischen Kulturtage sind also genauso alt wie Proudeni, gefunden haben sie sich jedoch erst ein Jahr später. Das war dann im Jahr 2000, als Proudeni-Strömungen in Dresden seine Premiere feierte."
Um den grenzüberschreitenden Anspruch des Symposiums gerecht zu werden, bemühte sich das Kulturzentrum von Beginn an um ein Pendant auf deutscher Seite. So war es kein Zufall, dass bereits der zweite Jahrgang des Symposiums nicht nur in Rehlovice, sondern auch in Dresden zu Gast war. Die tschechisch-deutsche Brücke-Most-Stiftung überzeugte Ansatz und Programm der Künstlerbegegnung, so entschloss sich die Stiftung dazu das Projekt zu fördern und in die Kulturtage einzubinden. Der Geschäftsführer der Brücke-Most-Stiftung, Peter Baumann, betont allerdings:"Wir führen die Tschechischen Kulturtage Dresden durch und im Rahmen dieser Kulturtage gibt es zahlreiche Projekte. Eines davon ist dieses Künstlersymposium, das auch uns am Herzen liegt. Wir beteiligen uns in finanzieller Weise an dem Projekt, sind aber nicht der eigentliche Veranstalter, denn das ist der Verein Riesa Efau."
Der Dresdner Kulturverein "Riesa Efau" wurde bereits kurz nach der politischen Wende 1989 als einer der ersten freien Kulturprojekte in Dresden gegründet. Warum sich "Riesa Efau" für "Proudeni-Strömungen" begeistern ließ, verrät Detlef Graupner:
"Das Symposium passt sehr gut in unser Profil. Wir fördern zeitgenössische Kunst und wir machen gerne und oft grenzüberschreitende Projekte, gerade mit Tschechien zusammen."Wie auch in Rehlovice arbeiten die Künstler mehrere Tage intensiv miteinander. In nur wenigen Tagen schufen die Teilnehmer unterschiedlichste Arbeiten, denn weder Konzept, Arbeitsweise oder Materialien wurden vorgeschrieben. Mit dem Leitmotto "60 Jahre der Suche" setzten sich die Künstler in vielfältiger Weise auseinander. Ihre künstlerischen "Suchergebnisse" präsentierten sie im Rahmen einer Vernissage am 5. November. Ob Multimediainstallation, Malerei, Textilkunst oder Fotografie. Die Bandbreiten der Arbeiten ist groß.
So trifft man in der Ausstellung auch auf zwei ungewöhnliche Türen, die darauf warten, geöffnet zu werden. Die Türblätter sind mit grafisch angeordneten Texten bedruckt. Texte, die den Betrachter ansprechen, ihn provozieren, ihn vor Entscheidungen stellen. Die Künstlerin Gaby Baltha über das Werk und seine Entstehung:
"Zusammen mit Lenka Holikova habe ich ein Gemeinschaftsprojekt gemacht. Wir haben ein Fundstück als Ausgangsbasis für unsere Arbeit verwendet, das wir in der Dresdner Innenstadt gefunden. Es handelt sich um die besagten zwei Türen. Und diese Türen haben wir jetzt als Installation aufgebaut. Wir wollten damit aussagen, dass jede Suche abhängig ist von bestimmten Entscheidungen, die man im Leben trifft."Lenka Holikova, die zusammen mit Gaby Baltha die Installation schuf und gleichzeitig einer der Organisatoren ist, ergänzt:
"Du sollst eigentlich vor der Tür stehen, so wie Du in Deinem Leben vor Entscheidungen stehst. Egal ob man jetzt 20 Jahre alt ist 50. Man muss sich oft zwischen zwei Dingen im Leben entscheiden. Und man weiß eigentlich nie, welche die richtige Entscheidung ist oder war."
Viele Gäste der Vernissage fühlen sich von den Werken auch persönlich angesprochen. Ein Lob, das eine Besucherin für die Ausstellung aussprach, wird die Künstler sicherlich besonders freuen:
"Ich finde die ausgestellten Sachen sehr interessant und finde auch die Texte sehr gut, die zu den Arbeiten entstanden sind. Und bei einigen Exponaten habe ich wirklich gedacht, dass sie mich persönlich betreffen, weil auch für mich das Thema Suche derzeit eine sehr große Rolle in meinem Leben spielt. Eigentlich sollte es doch das Ziel einer jeden Ausstellung sein, das man einen Anknüpfungspunkt für sich selbst findet. Genau das habe ich heute hier gefunden."