In Ostrava feierte man 88. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution

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Die Bewältigung der Vergangenheit, der nicht weit entfernten, fällt den Tschechen nicht leicht. Viele, die ihr Leben zum Großteil im Kommunismus, genauer gesagt im Quasi-Kommunismus gelebt haben, haben die Schattenseiten des alten Regimes bereits verdrängt. Für die junge Generation hingegen ist die Vergangenheit zumeist kein Thema. Wenn aber aus den kommunistischen Traditionen ein postmodernes Happening wird, dann sind sie gerne und mit viel Spaß dabei. Ein Beispiel aus Ostrava stellt Ihnen unser freier Mitarbeiter Jan Linek vor.

VRSR / die Große Sozialistische Oktoberrevolution
Wissen Sie welches geschichtliches Ereignis sich in diesem Jahr zum 88 mal jährt? Die Machtübernahme der kommunistischen Bolschewiken in Russland 1917, bekannt als die Oktoberrevolution, offiziell die Große Sozialistische Oktoberrevolution! Aber wenn Sie jetzt glauben, im postkommunistischen Tschechien würde man diesen Jahrestag nicht feiern, würden Sie falsch liegen. Zwar treffen sich die Tschechen nicht mehr zu Lampion-Umzügen und zu kulturellen Ereignissen, wie früher. Heute feiert man lieber ausgelassen und vor allem unter dem Motto: Spaß muss sein. Bereits zum vierten Mal hat man im Club Boomerang im nordmährischen Ostrava / Ostrau der Oktoberrevolution gedacht, wenn auch nicht mit dem nötigen Ernst, den sich die kommunistischen Genossen damals gewünscht hätten.

"Die Idee hatte Vladislav Koval, der Inhaber des Clubs Boomerang. Es war eine Zeit lang Mode T-Shirt mit dem Aufdruck UdSSR zu tragen. Er hat sich so ein Shirt gekauft, wusste aber nicht zu welchem Anlass oder wo er es tragen könnte. Darum hat er sich eine Feier geschaffen, auf der er das rote Kleidungsstück tragen kann. Aber vor allem haben wir die Feier der Oktoberrevolution veranstaltet, damit wir allen ein bisschen Spaß haben. Das alles vor dem Hintergrund, dass sich die Leute bewusst werden, dass diese Zusammenkünfte sich tatsächlich so abgespielt haben."

Lenin
Das war Rostislav Petrik, der Moderator des Abends. Damit unter den Besuchern das richtige kommunistische Gefühl aufkommt, haben er und seine Kollegen den gesamten Raum mit roten sowjetischen Fahnen und Spruchbändern ausgeschmückt. Auch hoher Besuch war anwesend: Lenin - Entschuldigung - Genosse Lenin, Marx, Engels und Stalin waren da; gespielt von vier Schauspielern, die sich unter die 200 meist jungen Besucher mischten. Ein Höhepunkt des Abends zwar zweifelsfrei der Bierpreis.

"Ja, das ist richtig. Wir haben den Bierpreis der damaligen Zeit angepasst. Es gab das Bier also für zwei Kronen, umgerechnet sieben Cent. Die Leute waren sehr zufrieden. Wir haben mit der klassischen Eröffnungsrede begonnen, dann haben wir ein Manifest unterschrieben, das wir den Genossen auf den roten Planeten Mars schickten und meine Aufgabe war es, alle diejenigen aufzuschreiben, die bei der Internationale nicht mitgesungen haben."

Die Besucher kamen dieses Jahr auch von weit her angereist. Viele von ihnen im "svazacky kroj", der Kleidung der kommunistischen Jugend, zu erkennen am blauen Hemd mit einem Brustemblem. Allen die Schau gestohlen haben aber die Bergleute, die in ihren Trachten kamen. Früher wurden sie gefeiert, als die Helden der Arbeit und genossen besonders großes Ansehen. An der Bar gab es neben dem Bier für zwei Kronen allerlei Cocktails, bei denen nur der Name an vergangene Zeiten erinnerte. Besonders beliebt waren die Drinks: Rote Garde, gefolgt vom Roten Platz und dem hochprozentigen Lenin in Finnland. Radoslav Petrik:

"Wir veranstalten diese Feier bereits zum vierten Mal. Dieses Jahr haben wir aber das erste Mal nicht so viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt. Bisher haben wir jedes Jahr bis ins kleinste Detail genau ausgetüftelt, wie die Feier ablaufen soll. Dieses Jahr fragten wir uns: macht das überhaupt einen Sinn? Wird es die Gäste interessieren? Die Leute riefen aber an und fragten: feiert ihr dieses Jahr wieder die Oktoberrevolution? Also sagten wir, na gut, wir machen´s. Auf den letzten Drücker haben wir gerade noch die Reden fertig bekommen. Zehn Minuten bevor es los ging, waren wir mit den Vorbereitungen fertig. Aber dieses Jahr war die Veranstaltung ein besonders großer Erfolg. Das heißt: wenn man sich zu viel vorbereitet, wird es nicht klappen."

Besonders überrascht waren die Veranstalter also über das riesige Interesse in diesem Jahr und darüber, dass das Durchschnittsalter der Besucher von Jahr zu Jahr fällt. Waren es anfangs noch Menschen Mitte Dreißig, die kamen um sich daran zu erinnern, wie schlimm diese Feiern für sie damals waren, sind sie heute zwischen Anfang bis Mitte 20. Wie aber denken die jungen Menschen über die damaligen kommunistischen Zeiten?

"Ich glaube, denen ist es eigentlich egal, wie es damals war. Sie haben heute ganz andere Probleme. Sie wissen wohl, dass damals etwas nicht in Ordnung war. Aber ich glaube nicht, dass es sie sonderlich berührt."

Moderator Patrik war DJ, also Diskjockey und hat für das musikalische Programm gesorgt. Er hat vor allem alte russische und tschechische Schlager aufgelegt. Beim Publikum kam die Ballade vom Traktor besonders gut an.

"Die Internationale mussten wir natürlich alle singen. Ohne die wäre so eine Veranstaltung nicht möglich gewesen. Wie gesagt. Ich bin dabei durch die Reihen gegangen und habe die Namen aller aufgeschrieben, die nicht mitgesungen haben. Als dann am Ende der Feier die Wende kam, haben wir die sowjetische Fahne weggeschmissen. Die Liste mit den Namen haben wir aber sicherheitshalber behalten."

Soweit also die Feierlichkeiten zur Oktoberrevolution im Club Boomerang. Nomen est omen. Wollen wir hoffen, dass der Name Boomerang hier kein schlechtes Vorzeichen darstellet. Sonst kommt der Kommunismus am Schluss doch noch zurück.