Minderheitenvertreter in Prag: Krawalle wie in Paris sind hier fast unvorstellbar

Paris (Foto: CTK)
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Die nächtlichen Straßenschlachten in französischen Großstädten haben glücklicherweise keinen europäischen Flächenbrand ausgelöst. Zu unterschiedlich sind die Gesellschaften in den einzelnen Ländern des Kontinents, als dass ein Dominoeffekt und ein Ausbreiten der Krawalle wahrscheinlich wären. Über das Warum wird aber freilich auch in Tschechien diskutiert. Und auch auf einer Minderheitenkonferenz, die dieser Tage in Prag über die Bühne ging, wurde über das Thema gesprochen - wenn auch die Minderheiten in Tschechien ganz andere Dimensionen und ganz andere Probleme haben. Hören Sie dazu die neue Ausgabe unseres Magazins "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Paris  (Foto: CTK)
Fassungslos blickte Europa dieser Tage nach Paris und in andere französische Großstädte. Die nächtlichen Krawalle in den Vorstadtsiedlungen schufen für viele Medien eine neue Maßeinheit für Chaos und Rebellion: Die Zahl der ausgebrannten Autos sollte Aufschluss darüber geben, ob die letzte Nacht die schlimmste war, oder ob die Situation sich zu beruhigen scheint. Auch die Schlacht der Meinungen ließ, als Reaktion auf die Schlacht in den Straßen, nicht lange auf sich warten. Die einen sehen Beweise dafür, dass die multikulturelle Gesellschaft gescheitert ist, weil ein Großteil der randalierenden Jugendlichen in den Einwanderergettos der Metropolen wohnt. Andere betonen die soziale Dimension des Problems und fordern mehr Chancengleichheit für Maghrebiner und andere Zuwanderergruppen.

Hana Halova  (Foto: Autor)
Auch in Tschechien stellen sich die Menschen dieser Diskussion. Und sie stellen sich dieselbe Frage, die momentan ganz Europa zu beschäftigen scheint: Kann das auch bei uns passieren? Der stellvertretende Prager Oberbürgermeister Petr Hulinsky brachte es auf den Punkt: "Meiner Meinung nach drohen hier keine Unruhen, die von Minderheiten oder Zuwanderern ausgelöst werden", sagte er gegenüber der Tageszeitung Pravo. Tatsächlich: Ethnisch motivierte Konflikte gibt es in Tschechien kaum. Das Land war in der Zeit der kommunistischen Diktatur nach außen hin relativ abgeschottet. Neue Einwanderung findet zwar statt, aber nur in recht begrenztem Ausmaß.

Für die zwölf offiziell anerkannten Minderheiten will die Prager Stadtverwaltung nun ein eigenes Haus der Begegnung einrichten, sagt die zuständige Stadträtin Hana Halova dieser Tage am Rande einer Minderheitenkonferenz:

Marie Gailova | Foto: Radio Prague International
"Es soll ein multikulturelles Zentrum für die hier lebenden nationalen Minderheiten sein. Jede soll dort ein paar Büros bekommen, und es soll auch gemeinsame Räumlichkeiten geben. Etwa einen Ausstellungssaal oder ein kleines Cafe, wo sich die einzelnen Minderheiten untereinander treffen, wo aber auch die anderen Bürger Prags hinkommen können, um zu sehen, wie sich die Minderheiten hier präsentieren."

Die größte Minderheit bilden mit etwa 25.000 Angehörigen die Slowaken. Noch vor 13 Jahren haben fast alle Slowaken mit den Tschechen in einem gemeinsamen Staat gelebt, die soziale Sprengkraft ist hier also gleich null. Die Minderheit der Roma wird offiziell auf fast genauso groß geschätzt. Doch obwohl es nationalistische Übergriffe auf Roma und laut hörbare Vorurteile seitens der tschechischen Mehrheitsgesellschaft gibt, scheint auch hier kein Konfliktherd zu bestehen, der einen Flächenbrand auslösen könnte. Probleme gibt es aus Sicht der offiziellen Minderheitenvertreter aber bei der Umsetzung konkreter Integrationsmaßnahmen, sagt Marie Gailova von der Bürgerinitiative Romodrom:

"Die Subventionspolitik funktioniert eigentlich gut. Aber wie wir alle wissen, gibt es leider viele schlecht ausgebildete Roma, die oft Probleme haben, überhaupt die entsprechenden Anträge zu stellen. Also haben wir uns entschlossen, eine Dachorganisation zu gründen, wo wir etwa beim Ausfüllen der Subventionsansuchen helfen."

Kleine Probleme im Vergleich zu denen in Frankreich, wie es scheint. Doch die Integration der Roma hat in der Praxis durchaus ihre Grenzen. Etwa dann, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt geringere Chancen haben, weil sie eben Roma sind. Wenigstens in den Großstädten aber ist hierzulande die Gettoisierung nicht so weit fortgeschritten wie anderswo in Europa. Prag hat zwar auch seine trostlosen Außenbezirke, seine Plattenbausiedlungen und seine sozialen Randgruppen. Dennoch aber ist Prag nicht Paris. Während etwa die Banlieues der französischen Metropolen als Brutstätte von Kriminalität und sozialen Unruhen gelten, hält sich in Prag trotzig die Meinung, dass die "Platte" besser ist als ihr Ruf. Das gilt auch für viele Jungfamilien, die hier in der Regel einen guten U-Bahnanschluss für den Arbeitsweg haben, und einen nahen Autobahnanschluss für die allwöchentliche Fahrt ins Wochenendhaus. Wir sind bei der sozialen Komponente des Problems angekommen, das derzeit Frankreich erschüttert und das oft zum ethnischen oder gar religiösen Konflikt umgedeutet wird: Laut einem Bericht von EUROSTAT sind in Tschechien nur acht Prozent der Menschen armutsgefährdet. Und das ist der beste Wert in der gesamten EU.


Vladimir Sanka  (Foto: Autor)
Auch von religiösen Fragen bzw. Stereotypen wird die tschechische Gesellschaft nur sehr schwach beeinflusst. Vladimir Sanka, Direktor des islamischen Zentrums in Prag:

"Hier gibt es nur eine verhältnismäßig kleine moslemische Gemeinde. Während man die Moslems in Deutschland, England oder Frankreich in Hunderttausenden oder gar Millionen zählt, sind es bei uns nur etwa zehntausend. Die Öffentlichkeit nimmt uns also wahrscheinlich nur als eine eher unbedeutende Randgruppe wahr und kommt mit uns kaum in Kontakt. Wenn allerdings irgendein Projekt wie etwa der Bau einer Moschee auftaucht, dann gibt es immer einige Leute, die protestieren. Das sind Leute, die xenophobe Ansichten haben oder auch falsche Informationen über den Islam. Sie glauben, dass durch den Bau einer Moschee etwas Fremdes angelockt wird. Wir selbst aber betrachten uns als einen integralen Bestandteil der Gesellschaft. Wir haben Interesse daran, dass unser Land und unsere Gesellschaft prosperieren, und wir wollen uns daran beteiligen."

Weder islamistische noch antimoslemische Parolen dürften also in Tschechien auf fruchtbaren Boden fallen. Und trotz bestehender sozialer Probleme ist die tschechische Gesellschaft letztlich homogener als die in manchen westeuropäischen Staaten. In der Regel haben Minderheiten und ihre Repräsentanten hierzulande daher mehr Spielraum für kulturelle oder politische Betätigung - also für eine wirkliche Beteiligung am öffentlichen Leben, die mehr ist als das Bewältigen brennender Konflikte.


Martin Dzingel  (Foto: Autor)
Eine der offiziell anerkannten Minderheiten in der Tschechischen Republik ist übrigens die deutsche. Klar, dass hier eher die historisch belasteten Beziehungen zu den Tschechen als Problem gelten, und weniger die Bewältigung unmittelbarer sozialer Ausgrenzungsmechanismen. Geben wir zum Abschluss das Wort an Martin Dzingel, den Geschäftsführer der "Landesversammlung in Böhmen, Mähren und Schlesien". Wie charakterisiert er die deutsche Minderheit in Tschechien?

"Die deutsche Minderheit hat - früher in den böhmischen und mährischen Ländern, später in der Tschechoslowakei und jetzt in der Tschechischen Republik - natürlich eine Jahrhunderte lange Tradition. Die Landesversammlung hat ungefähr 5000 Mitglieder. Wir sind eine Dachorganisation von 23 deutschen Verbänden in der Tschechischen Republik, und wir arbeiten vor allem auf den Gebieten von Kultur, Bildung und politischer Vertretung im Land."

Mehr von und über Martin Dzingel hören Sie in einer der nächsten Ausgaben unserer Sendereihe "Heute am Mikrophon".