Zdenka Braunerova und die Künstlerinnen der Jahrhundertwende

Zdenka Braunerova
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Künstlerinnen in Böhmen an der Wende vom 19. zum 20. waren das Thema einer interdisziplinären Konferenz in Roztoky bei Prag. Der Anlass: Die Rekonstruktion des Atelierhauses der bedeutenden tschechischen Malerin Zdenka Braunerova in Roztoky. In die Zeit der vorletzten Jahrhundertwende entführt sie im folgenden Kultursalon Thomas Kirschner.

Roztoky an der Elbe, ein paar Kilometer nördlich von Prag. Nur einige Schritte sind es vom Hauptsitz des Mittelböhmischen Museum in der alten Schlossanlage bis zu der neuesten Exposition des Museums: Ein kleines Cottage-Haus auf dem Gelände der Braunerschen Mühle in Roztoky. Es ist das Atelier von Zdenka Braunerova (1858 - 1934), einer der bedeutendsten böhmischen Künstlerinnen der Jahrhundertwende, wie Marcela Sasinkova vom Mittelböhmischen Museum erläutert.

"Zdenka Braunerova war eine allseitige Künstlerin - sie hat sich mit Malerei und Grafik befasst, ebenso mit dekorativer Kunst und Glasgestaltung, war eine Botschafterin der tschechischen Kunst in Frankreich. Eine sehr bedeutende Rolle hatte sie auch bei der Erneuerung des tschechischen Buchwesens um die Jahrhundertwende. Sie war einer der ersten Künstler überhaupt, jetzt ohne Rücksicht auf das Geschlecht, der sich um eine Erneuerung der künstlerischen Gestaltung tschechischer Bücher verdient gemacht hat."

Schloss Roztoky
Braunerovas Atelier in Roztoky war ein Treffpunkt für bedeutende Künstler der Zeit, der Maler Jan Zrzavy war hier ebenso zu Gast wie die Schriftsteller Paul Claudel und Frantisek Halas. Nach dem Tod von Zdenka Braunerova im Jahre 1934 wurde das von ihr selbst entworfene Cottage-Häuschen jahrzehntelang als Werkstatt, Lager und Bürogebäude genutzt, bis sich das Mittelböhmische Museum dem im wahrsten Wortsinne nahe liegenden Kulturerbe annahm. Seit dem Frühjahr ist Zdenka Braunerovas Atelier nun wieder so zu besichtigen, wie sie es 1934 für immer verlassen hat, rekonstruiert nach historischen Aufnahmen: Ein kleiner Salon mit zierlichen Möbeln, über und über mit Bildern ausgehangen, und an der Staffelei liegen noch die zerdrückten Farbtuben.

Nachdem das rekonstruierte Atelier von Zdenka Braunerova seine erste Besuchersaison bereits hinter sich hat, wurde nun mit einer Tagung am Mittelböhmischen Museum auch die offizielle Einweihung in Fachkreisen begangen. Mit dem Thema "Die Künstlerin an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert" wurde bewusst ein weiter Rahmen gesteckt, erklärt die Organisatorin Marcela Sasinkova.

"Wir hatten die Idee eine Konferenz zu veranstalten, nicht nur über Zdenka Braunerova als eine der ersten professionellen Künstlerinnen der Jahrhundertwende, sondern als interdisziplinäre Veranstaltung mit Kunsthistorikern, Archivaren, Kultur- und Literarhistorikern, die alle aus einer unterschiedlichen Perspektive auf das Thema schauen."

Die Geschichte der Künstlerinnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ist aber zugleich eine Geschichte der Emanzipation und bedingt einen Blick auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Zeit. Die Möglichkeiten für Frauen, jenseits der klassischen Rollenmuster ein selbst bestimmtes Leben zu führen, waren zum Ende des 19. Jahrhunderts noch sehr begrenzt. Gerade die Kunst spielte am Beginn der Emanzipation eine bedeutende Rolle, erläutert Pavla Vosahlikova vom Historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften.

"Die Künstlerlaufbahn war eine der ersten Möglichkeiten für Frauen, einen eigenen Beruf zu ergreifen. In Familien der Gesellschaft haben die Töchter zu dieser Zeit keine umfangreiche Bildung erhalten, aber das Klavierspiel, die Malerei, die Literatur wurden dort gepflegt. In diesen Bereichen haben die Mädchen eine natürliche Einführung erhalten, die bei Talentierten dann dazu beitrug, dass sie sich als Künstlerinnen profilieren konnten."

In der Kunst gelang es Frauen weit eher als in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, eine akzeptierte Stellung zu erreichen - in der Literatur, Malerei und Musik waren Frauen im 19. Jahrhundert keine Ausnahme mehr. Dennoch blieb die professionelle Kunst als Teil der beruflichen Lebenswelt noch lange eine männliche Domäne, erklärt Pavla Vosahlikova.

"Es war nicht nur so, dass die Männer erwartet haben, dass die Frau ihre eigenen künstlerischen Ambitionen hintan stellt, damit sie sich verwirklichen können - auch ein Großteil der Frauen hat das für die natürliche Ordnung gehalten. Das lässt sich zum Beispiel an der bekannten Künstlerfamilie Manes demonstrieren, wo die begabte Tochter Amalie ihre eigene Karriere geopfert hat, damit sich die Brüder ganz der Kunst widmen konnten. Und diese Ansicht herrschte bis zur Jahrhundertwende vor, auch wenn es natürlich Bestrebungen gab, dass sich auch die Frauen selbstständig mehr zur Geltung bringen können - und gerade Zdenka Braunerova war eine von denen, denen das bis zu einem bestimmten Maß gelungen ist."

Insgesamt 35 Referate standen an zwei Tagen auf dem Plan - ein Mammutprogramm. Während der erste Konferenztag ganz Zdenka Braunerova gewidmet war, bot der zweite Tag Platz für weitere Künstlerinnen und die Diskussion um die Voraussetzungen von Künstlertum und Selbstverwirklichung der Frau im Böhmen der Jahrhundertwende. Eine wichtige Rolle spielte dabei etwa der 1865 in Prag gegründete "Americky klub dam", der Amerikanische Damenklub. "Amerikanisch", das sollte schon damals vor allem "modern" bedeuten, und modern war auch der Ansatz des Klubs: Während Damenvereine bis dahin ausschließlich im karitativen Bereich tätig waren, stand beim Amerikanischen Damenklub die Bildung im Mittelpunkt, von der Frauen auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend ausgeschlossen waren. Milena Secka hat sich mit der Geschichte des Klubs befasst:

"Ich würde sagen, dass der Klub eine enorme Bedeutung hatte, auch wenn seine Tätigkeit auf Prag beschränkt war, denn es ist ihm gelungen, eine Generation von Frauen heranzuziehen, die sich nicht nur selbst weitergebildet haben, sondern es auch geschafft haben, diese Bildung weiterzugeben."

Der Klub wurde damit zu einem Brutkasten der Emanzipation in Böhmen. Frauen konnten hier ihre Fähigkeiten entwickeln, bekamen aber vor allem auch das Selbstbewusstsein, sie zur Geltung zu bringen. Viele weibliche Karrieren, auch im künstlerischen Bereich, hatten ihr Fundament in dem Prager Amerikanischen Damenklub, erläutert Milena Secka.

"Am Anfang des Klubs standen die Schriftstellerinnen Karolina Svetla und Sofie Podlipska, die schon bei der Gründung bekannte Persönlichkeiten waren. Aber es gab auch eine Reihe Frauen, die sich in dem Klub weitergebildet und an ihrer Karriere gearbeitet haben und aus denen dann später bekannte Künstlerinnen geworden sind - zum Beispiel die Schriftstellerin Eliska Krasnohorska, oder Frauen, die sich mit bestimmten wissenschaftlichen Fächern befassten, etwa die Ethnographin Renata Tyrsova oder die Präsidentengattin Charlotte Masaryk.

Der Amerikanische Damenklub war eine dediziert tschechische Vereinigung. Prager deutsche Frauen hatten keinen Zutritt - eine Facette der sich verschärfenden Konflikte zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen, die zur strikten Absonderung der beiden Nationen voneinander führten und das Leben in Böhmen zur Jahrhundertwende entscheidend bestimmten. Eine der wenigen, die sich einer nationalen Kategorisierung entzogen haben, ist die Malerin und Glasgestalterin Marie Kirschner (1852-1931). Sie stammte aus einer Prager deutschen Familie, bewegte sich aber genauso auch im tschechischen Milieu - unter anderem als Freundin von Zdenka Braunerova. In der national aufgeladenen Atmosphäre führte das zu Verunsicherungen, wie Helena Brozkova vom Kunstgewerblichen Museum in Prag anhand einer zeitgenössischen tschechischen Rezension aus den 1920er Jahren belegt.

"Irgendwo hier steht es, warten Sie, - wie drückt er sich gleich aus? Ja: ´Marie Kirschner gehört zu der zweiten Generation unserer Malerinnen, und an dieser Tatsache ändert auch der Umstand nichts, dass sie eine Deutsche ist.´"

Vielleicht kein untypisches böhmisches Frauenschicksal, dass Marie Kirschner heute nur noch in Fachkreisen bekannt ist. Dabei gelten ihre Glasentwürfe als einer der Höhepunkte der Jugendstil-Glaskunst in Europa. In ihrer zeitlosen Schlichtheit nehmen sie bereits die Grundlagen des Funktionalismus vorweg, erklärt die Kunsthistorikerin Helena Brozkova:

"Ihre Arbeiten sind für die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts außergewöhnlich. Es gab nicht viele Künstlerinnen, die sich der Glasgestaltung gewidmet haben. Und als Malerin ist Marie Kirschner bis heute noch nicht ausreichend gewürdigt, auch wenn es erste Anzeichen einer Wiederentdeckung gibt. Ihre Werke warten wohl noch auf eine Retrospektive."

Künstlerinnen in Böhmen zur Jahrhundertwende - ein breites und immer noch zu wenig bearbeitetes Thema, wie die Konferenz gezeigt hat. Auch nach einem Jahrhundert warten immer noch zahlreiche originelle Talente darauf, im allgemeinen Bewusstsein aus dem Schatten der Männer herausgelöst zu werden. Die Zeit dafür scheint gekommen - das jedenfalls bestätigt die Bilanz, die die Organisatorin Marcela Sasinkova zieht.

"Das große Interesse an der Konferenz hat uns überrascht. Bei den Vorträgen und Diskussionen sind heute gleich eine ganze Reihe von Vorschlägen für weitere Konferenzen entstanden, etwa zum Thema Künstlerinnen der Zwischenkriegszeit. Ich meine in der Tat, dass es nicht viele Veranstaltungen zum Thema Frauen in der Kunst gibt - in diesem Bereich fehlt wohl etwas."