25 Jahre Gewerkschaft Solidarnosc - Signal für ganz Osteuropa
In Polen erinnern Politiker, Gewerkschafter und Gegner des ehemaligen kommunistischen Regimes in diesen Tagen an die Gründung der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc vor 25 Jahren. Die Entstehung der ersten freien Gewerkschaft in den Warschauer-Pakt-Staaten war ein Signal auch für die Dissidenten in der damaligen Tschechoslowakei. Es berichtet Thomas Kirschner.
Mit einem Schnitzel in der Werkskantine des polnischen Flugzeugbauers PZL fing alles an. Das sollte im Juli 1980 plötzlich nicht mehr zehn, sondern 18 Zloty kosten - der zündende Funke in der explosiven Stimmung der Arbeiter, die schon lange durch die desolate Lage des Landes, dauernd steigende Preise und leere Geschäfte erbittert waren. Der Streik breitete sich über das ganze Land aus, und in den Danziger Werften übernahm der junge Elektriker Lech Walesa die Führung der Aufständischen - die Geburtsstunde der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc und der Anfang vom Ende der kommunistischen Regime in Osteuropa. Die Ereignisse in Polen beeinflussten auch die damalige Tschechoslowakei, erinnert sich die Publizistin und Mitunterzeichnerin der Charta 77, Petruska Sustrova:
"Kontakte zwischen tschechischen Regimegegnern und polnischen Dissidenten gab es relativ häufig, und natürlich haben wir die gesellschaftliche Explosion in Polen mit der Gründung der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc an ihrem Höhepunkt aufmerksam verfolgt - auch wenn die tschechoslowakischen Dissidenten in dieser Zeit unter einem großen Druck standen, weil die Staatssicherheit große Befürchtungen hatte, dass es zu etwas ähnlichem auch in der Tschechoslowakei kommen könnte."
Die Folgen in der Tschechoslowakei: die praktische Schließung der Grenzen nach Polen, aber auch mehr Rücksicht auf die Konsumwünsche der Bevölkerung. Die bessere Wirtschafts- und Versorgungslage ist für die Publizistin Sustrova ein Grund dafür, dass die Proteste nicht auch in die Tschechoslowakei überschwappten. Die Dissidenten erkannten in den Reaktionen des Regimes aber bereits die Angst vor dem baldigen Ende. So erinnert sich jedenfalls Jiri Dienstbier, der spätere erste Nachwende-Außenminister der Tschechoslowakei:"Wir saßen zu der Zeit im Gefängnis. Als wir über die Entstehung der Solidarnosc erfuhren, war es für uns eine starke Ermunterung. Der Leiter des Gefängnisses ließ uns Dissidenten, Vaclav Havel, Vaclav Benda und mich, damals antreten, um uns zu erklären, dass wir uns keinen Illusionen darüber hingeben sollten, dass unsere Freunde in Polen jemals Minister und Abgeordnete oder sonst etwas werden könnten. `Wir werden ihnen schon den Hals rumdrehen´, hat er gesagt. Das war für uns der Beweis, dass die sowjetische Invasion und die so genannte Normalisierung letztlich nicht erfolgreich sein können: Die letzten Stalinisten wurden durch die Solidarnosc wieder unsicher gemacht. Das war das Signal, dass alles doch einmal wieder anders kommen wird."
Das 25-jährige Bestehen der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc wird derzeit in Polen mit Gewerkschaftskongressen und einer Historikerkonferenz begangen. Am Montag trat auch das polnische Parlament, der Sejm, zu einer Festsitzung zusammen; im Mittelpunkt stand die Ansprache des ehemaligen Gewerkschaftsführers und Ex-Präsidenten Lech Walesa vor.