"Wir haben die Polen immer sehr bewundert" - Erinnerungen an 25 Jahre Solidarnosc

Václav Havel a Lech Walesa (www.spczs.engo.pl)
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Dieser Tage wurde in Danzig der Gründung der Solidarnosc gedacht, der ersten freien Gewerkschaft im damaligen Ostblock. Einer Bewegung, die auch den Dissidenten in der damaligen Tschechoslowakei starke Impulse geliefert hat. Silja Schultheis erinnert in einer neuen Ausgabe der Sendereihe Forum Gesellschaft daran, wie die Gründung der Solidarnosc damals in der Tschechoslowakei aufgenommen wurde.

Gdansk heute  (Foto: CTK)
Als die polnischen Werftarbeiter im August 1980 mit der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc einen unerhörten Sieg gegen das kommunistische Regime erzielten und den Weg für eine zunehmende Einmischung ins politische Geschehen ebneten, befand sich die tschechoslowakische Gesellschaft in einem Zustand tiefster Stagnation. Traumatisiert durch die Niederschlagung der Reformbewegung des Prager Frühlings von 1968 hatte sich die breite Masse der Bevölkerung unter dem repressiven Regime von Gustav Husak in ihr Privatleben zurückgezogen.

Die Gründung der polnischen Solidarnosc ging an vielen ganz einfach vorbei bzw. stieß auf Desinteresse. Eine Ausnahme war die jüngere Generation, erinnert sich Bronislaw Walicki, Vertreter der polnischen Minderheit in Cesky Tesin/Teschen, der damals in Prag lebte:

"Die tschechischen Behörden wollten von der Solidarnosc nichts sagen, nichts hören. Deshalb waren die jungen Tschechen zwischen 20 und 30 sehr neugierig und wollten soviel wie möglich wissen und sie unterstützten auch diese Bewegung. Das war die Zeit, als vor dem polnischen Kulturzentrum in Prag lange Schlangen standen, um polnische Zeitungen zu lesen. Denn die konnten damals nach Prag gelangen, das war kein Problem. Viele Tschechen haben damals begonnen Polnisch zu lernen."

Bei den meisten älteren Menschen hingegen hätten die damaligen Ereignisse in Polen gar keine bzw. eher negative Reaktionen hervorgerufen, erinnert sich die Publizistin Petruska Sustrova, damals Mitglied der Bürgerrechtsbewegung Charta 77:

"Die von allen Regierungen im Ostblock verbreitete Propaganda, dass die Polen nicht arbeiten wollen und deshalb streiken und dass die anderen Länder dafür draufzahlen müssen - diese Propaganda fiel in der tschechoslowakischen Gesellschaft auf einen vergleichsweise fruchtbaren Boden."

Sogar die polnische Minderheit habe sich von dieser Propaganda teilweise einschüchtern lassen, meint Bronislaw Walicki mit Blick auf seine Heimatregion, das tschechische Teschen. Die Freude der vielen hier lebenden Polen über die Ereignisse in Danzig sei damals sehr verhalten gewesen:

"In der Familie, mit den Freunden - Euphorie. Aber auf der Straße - Schweigen, nichts. Die hatten Angst, die hatten Angst davon zu sprechen. Das waren ziemlich schwere Zeiten."

Aufgrund des hohen polnischen Bevölkerungsanteils und der geographischen Nähe zu Polen übte der tschechoslowakische Geheimdienst StB in Teschen besonderen Druck auf die Menschen aus. Dies habe zu einer noch heute spürbaren Spaltung in der polnischen Minderheit geführt, was die Beurteilung der Vorgänge in Polen anbelangt, so Walicki:

"Die ältere Generation, einige Leute jedenfalls, ist bis heute der Meinung, dass es eigentlich richtig war, dass die CSSR gegen Polen war, weil es nicht richtig war, was die Polen in Danzig und Stettin begonnen haben."

Vaclav Havel in Gdansk  (Foto: CTK)
Für die Regimegegner in der Tschechoslowakei, die bereits vor 1980 in engem und häufigem Kontakt zu polnischen Dissidentenkreisen standen, war die Nachricht von der Gründung der Solidarnosc ein ungeheuer positiver Impuls. Am Mittwoch erinnerte der tschechische Ex-Präsident und frühere Dissident Vaclav Havel in Danzig daran, dass die Gründung der Solidarnosc für viele Regimegegner in Tschechien ein Signal für das nahende Ende des Kommunismus gewesen sei. Auch die Soziologin Jirina Siklova, Mitunterzeichnerin der Charta 77, hat die Nachrichten aus Danzig damals als Hoffnungsschimmer empfunden:

"Wir haben die Polen immer bewundert, weil es ihnen gelungen ist, weitaus größere Teile der Bevölkerung anzusprechen als den Dissidenten in der Tschechoslowakei. Wir sind praktisch nie an die Arbeiter in den Fabriken herangekommen. Zwar war unter den Regimekritikern bei uns eine Reihe von Arbeitern, aber das waren Individualisten. Arbeiterorganisationen zu mobilisieren, ist uns nicht gelungen."

Ein wesentlicher Grund dafür waren die besseren wirtschaftlichen Bedingungen in der CSSR, glaubt die Publizistin Petruska Sustrova:

"Ich denke, die Situation in Polen hat sich deutlich unterschieden von der in Ungarn oder der CSSR, wo ein sog. Gulaschsozialismus herrschte: Nach der Niederschlagung der Proteste von 1956 (in Ungarn) und 1968 (in der CSSR) bemühten sich die Regierungen beider Länder erfolgreich, der Gesellschaft einen relativen materiellen Wohlstand zu bieten. Und so hat sich die Bevölkerung damit abgefunden, dass wenn sie den Mund hält und sich ihren Teil denkt, dass sie dann ein vergleichsweise zufriedenes Leben führen kann."

 Soziologin Jirina Siklova
Eine Reaktion, die in Polen ausgeschlossen war - allein schon aufgrund der wirtschaftlichen Situation. Bronislaw Walicki kann sich noch gut an Besuche bei seinen Schwiegereltern in der Nähe von Posen erinnern:

"Das war die Zeit, als die Geschäfte ganz leer waren. Man konnte nichts bekommen. Da war nur das Personal - und Wodka. Wodka konnte man kaufen, immer."

Mit materiellen Unterschieden allein lässt sich die Frage, warum es in der CSSR nicht zu ähnlichen Massenprotesten kam wie in Polen, hingegen kaum hinreichend beantworten. Ein wichtiger Faktor war sicherlich auch, dass die Polen trotz Kommunismus weitaus freier ihre Meinung in der Öffentlichkeit äußerten als die Tschechoslowaken. Bezeichnend dafür sei folgende Anekdote, die man sich damals erzählte, erinnert sich die Soziologin Jirina Siklova:

"Treffen sich zwei Hunde im Riesengebirge. Der eine kommt aus Polen und will in die Tschechoslowakei, der andere umgekehrt. Fragt der tschechische Hund den polnischen: Warum kommst du zu uns in die CSSR? "Ich will mir neue Schuhe kaufen", antwortet der polnische Hund. "Und du, was willst du in Polen?" - Sagt der tschechische Hund: "Weißt du, Schuhe hab ich, aber sobald ich bei euch in Polen bin, kann ich ganz laut bellen."

Für viele Polen stehen heute die Feiern zum 25. Gründungsjubiläum der Solidarnosc im Schatten der Enttäuschung über die gegenwärtige Entwicklung im eigenen Land. Für Bronislaw Walicki steht jedoch das Verdienst der Solidarnosc-Gründer außer Zweifel:

"Ich persönlich meine, dass es ein guter Schritt war und das dies nicht nur Polen, sondern ganz Europa geholfen hat. Und dank diesem Schritt sind wir heute Mitglied der Europäischen Union."