Tschechische Kleinparteien wollen vor den Wahlen im nächsten Jahr ein Bündnis bilden

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Von den insgesamt mehr als 130 in Tschechien registrierten Parteien haben nur vier oder fünf eine reale Chance, auch wirklich ins Parlament zu gelangen. Ein vor kurzem in Leben gerufenes Bündnis von sechs kleinen Mitte-Parteien will im kommenden Jahr ebenfalls den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Ob dieses Projekt Aussicht auf Erfolg hat, darüber erfahren Sie mehr im folgenden Schauplatz von Robert Schuster.

Das relativ monotone und etablierte Parteienspektrum in der Tschechischen Republik könnte vielleicht bald um einen bunten Farbtupfer reicher werden. Vor einigen Wochen haben sich sechs kleinere Parteien, darunter zum Beispiel die tschechischen Grünen oder die Freiheitsunion, die gegenwärtig an der Regierung beteiligt ist, darauf geeinigt, eine gemeinsame Liste für die Kommunalwahlen in Prag im Herbst nächsten Jahres zu bilden. Ähnliche Bündnisse sollen auch in anderen tschechischen Regionen und Kommunen entstehen, wie zum Beispiel in Liberec/Reichenberg, oder in Südmähren.

Auf den ersten Blick mag diese Entwicklung überraschen, denn bislang haben sich diese Parteien oft hartnäckig gegen jegliche Integrationsversuche gewehrt. Dabei war immer sehr viel Persönliches im Spiel, bzw. die Eitelkeiten der jeweiligen Spitzenvertreter. Nicht zuletzt aus diesem Grund lässt sich annehmen, dass nun neue Motive für das angestrebte Bündnis ausschlaggebend waren, wie etwa Befürchtungen, dass nach den Parlamentswahlen im Juni nächsten Jahres eine große Koalition aus Sozial- und Bürgerdemokraten entstehen könnte, mit dem erklärten Ziel, das bestehende Verhältniswahlrecht zum Abgeordnetenhaus durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Das würde dann gerade den kleinen Parteien den Einzug ns Parlament erschweren und für viele auch das finanzielle Aus bedeuten, denn sie wären dann von der Möglichkeit der staatlichen Parteienfinanzierung entfernter, denn je.

Welche Chancen kann sich so ein Wahlbündnis im bevorstehenden Superwahljahr 2006 ausrechnen? Darüber unterhielten wir uns mit dem Meinungsforscher Jan Hartl vom Meinungsforschungsinstitut Stem/Mark.

"Ich denke, da muss man zwei Ebenen unterscheiden. Die erste wäre, dass es positiv ist, dass sich kleine Parteien bereit erklären zusammenzuarbeiten, weil deren Verhältnis in der Vergangenheit oft durch gegenseitiges Misstrauen und einen ausgeprägten Konkurrenzkampf geprägt waren. In dieser Hinsicht ist das eine gute Nachricht, die vielleicht auch von einem Anstieg der politischen Kultur im Land zeugt. Der zweite Aspekt ist auch nicht unwesentlich und mit der Frage verbunden, inwieweit eine solche Allianz Erfolg haben und neue Wähler ansprechen kann. Hier glaube ich, dass bei regionalen oder kommunalen Wahlen schon ein Erfolg möglich wäre. Aber von einem guten Abschneiden bei nationalen Wahlen wäre ich nicht so überzeugt. Der Grund ist, dass die kleinen Parteien in der Vergangenheit wertvolle Zeit für Kämpfe untereinander verloren haben. Deshalb werden sie heute von den Wählern nicht ernst genommen und schaffen es deshalb auch nicht, ihre Botschaften unters Volk zu bringen und klare Antworten auf die Frage zu geben, was sie eigentlich erreichen wollen."

Der jüngste Vorstoß von mehreren Kleinparteien ist die eine Sache. Eine ganz andere ist aber, ob er bei den Wählern die erhoffte Resonanz hervorrufen kann. Besteht unter den tschechischen Wählern überhaupt Nachfrage nach einer neuen, liberal ausgerichteten Partei? Schließlich gilt das tschechische Parteiensystem seit Jahren als äußerst stabil, was sich auch darin äußert, dass seit langem nur vier bis fünf Parteien eine reelle Chance haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden und ins Parlament zu gelangen. Hören Sie dazu Jan Hartl von Stem/Mark.

"Das Problem dabei ist, dass diese kleinen Parteien keine allzu starke Programmatik haben. Gerade bei diesem neuen Bündnis finden sich einige Gruppierungen, die sich mehr oder weniger zum Liberalismus bekennen, bei den Grünen ist gegenwärtig die ideologische Ausrichtung nicht ganz nachvollziehbar. In Wirklichkeit ist ja aber eher so, dass liberal orientierte Gruppierungen keine allzu große Chance haben, massenhaft Wähler anzulocken. Der Liberalismus ist den Tschechen eher fremd. Tschechien ist das einzige postkommunistische Land Mitteleuropas ohne eine etablierte liberale Partei. Das Problem dieser kleinen Parteien ist, dass sie kein klares und nachvollziehbares Profil aufweisen können. Das erfordert nicht zuletzt auch eine starke Führungspersönlichkeit, aber natürlich ebenso finanzielle Mittel, um in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Die größte Hürde für dieses neue Bündnis besteht jedoch in den persönlichen Animositäten der Spitzenvertreter dieser Parteien."

Dass sich die Aussagen Jan Hartls auf reale Erfahrungen stützen, belegt nicht zuletzt das Scheitern der einstigen Viererkoalition kurz vor den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2002. Dieses Bündnis von vier kleineren Parteien der rechten Mitte, das Ende der 90er Jahre als Reaktion auf die faktisch bestehende große Koalition der Sozialdemokraten und Bürgerdemokraten entstanden ist, hatte relativ lange gute Aussichten, die Wahlen zu gewinnen. Kurz vor der Zielgeraden kam es jedoch innerhalb des Bündnisses zu personellen Querelen, die dann das faktische Auseinanderbrechen des Parteienbündnisses zur Folge hatten. Werden also die Wähler gerade angesichts der Erfahrungen mit der Viererkoalition diesmal nicht vorsichtiger sein?

"Es stimmt, dass die Nachfrage nach neuen politischen Gruppierungen im Jahr 1999 besonders stark war. Aber das spätere Scheitern der Viererkoalition hat bei den Wählern tatsächlich eine Art Desillusionierung hervorgerufen, dass nämlich alle Versuche, irgendwelche neue Parteien zu gründen, eben an organisatorischen, finanziellen, aber auch persönlichen Motiven scheitern können. Es gibt also gegenwärtig auch eine Art Misstrauen gegenüber jeglichen neuen politischen Gruppierungen. Objektiv gesehen muss aber auch gesagt werden, dass über den Erfolg oder Misserfolg dieser neuen Parteien auch die insgesamt vorherrschende Stimmung in der Gesellschaft mitentscheiden kann, bzw. ob es den etablierten Parteien gelingt ihre Abnutzungserscheinungen zu verstecken. Würde dies nicht gelingen, dann könnten gerade die kleinen Parteien auch für Protestwähler attraktiv werden, die somit die großen bestrafen würden. Die Frage nach einem möglichen Erfolg oder Misserfolg muss also komplex beurteilt werden und zwar auch im Zusammenhang mit dem Angebot der Großparteien."

Der Soziologe Jan Hartl erwähnte bereits, dass es liberale Parteien in Mitteleuropa nicht gerade leicht haben, sich politisch durchzusetzen und eventuell als Regierungsparteien etwas zu bewegen. Ein gutes Beispiel dafür liefert die tschechische Freiheitsunion, die seit ihrem Eintritt in ein Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten und Christdemokraten viele ihrer ursprünglichen Anhänger verloren hat, weil sie auf die meisten ihrer politischen Ziele verzichten musste. Auch deshalb ist die Partei gemäß den Umfragen heute von einem Einzug ins Parlament weit entfernt.

Prinzipiell gilt aber auch, dass gerade liberale Parteien nur dort Erfolge feiern können, wo sie auf vorhandene gesellschaftliche Strukturen oder Voraussetzungen bauen können. Gibt es diese Voraussetzungen in der gegenwärtigen tschechischen Gesellschaft überhaupt? Hören Sie dazu den Meinungsforscher Jan Hartl:

Sozialdemokraten
"Gewisse Voraussetzungen bestehen natürlich in jeder freisinnigen demokratischen Gesellschaft. Aber die Frage ist natürlich, wie viele Wähler eine liberal ausgerichtete Partei erreichen kann. In Tschechien wird das Schicksal dieser kleinen liberalen Parteien auch dadurch erschwert, dass einen Großteil der liberalen Wähler die liberal-konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) binden kann. Somit bleibt für die übrigen kleinen liberalen Parteien nur ein Teil der potentiellen Wähler übrig."

Die Worte Jan Hartls mögen vielleicht bei einer oberflächlichen Betrachtung unlogisch klingen, denn während die kleinen liberalen Parteien, die nun gemeinsam in die Wahlen gehen wollen, eine klare pro-europäische Ausrichtung haben, ist die Demokratische Bürgerpartei (ODS) des heutigen tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus eher für ihre europakritischen Positionen bekannt.

Logo der ODS
Des Rätsels Lösung erfährt man nach einem Blick ins 19. Jahrhundert, also in die Zeit, als die wichtigsten historischen Strömungen der tschechischen Politik entstanden sind. Der tschechische Liberalismus hatte nämlich schon damals eine starke nationale Komponente, die damals natürlich in erster Linie gegen die deutschsprachige Bevölkerung in der Habsburgermonarchie eingesetzt wurde. Die ODS, die sich seit Jahren als Kämpferin für die so genannten "tschechischen nationalen Interessen" profiliert, hat also diese alte Tradition wieder belebt und an sie angeknüpft. Hören Sie dazu abschließend noch einmal Jan Hartl vom Meinungsforschungsinstitut Stem/Mark:

"Die Idee eines nationalen Liberalismus als eines spezifischen Zweigs des Liberalismus kann auf eine gewisse Tradition bauen. Das würde bedeuten, dass die übrigen liberalen Parteien dann mit dem Vorlieb nehmen müssten, was übrig geblieben ist, nämlich einer Art internationaler europäischer Dimension des Liberalismus. Der Akzent auf europäische Themen, bzw. eine generell pro-europäische Haltung wäre dann etwas, was diese Parteien von der ODS unterscheiden würde. Es ist aber fraglich, ob das zum zentralen Thema im Wahlkampf werden könnte, weil ich glaube, dass für viele Tschechen das Thema Europa zwar wichtig ist, aber erst irgendwo in der zweiten Hälfte der Prioritätenliste."