Parlamentswahlen sorgen für politisches Erdbeben in Tschechien
Zwei neue Parteien im Parlament, zwei andere hinausgeflogen. Vier zurückgetretene Parteichefs, darunter auch jener der Sozialdemokraten als stimmenstärkster Partei. Das Ergebnis der Parlamentswahlen in Tschechien kann man getrost als politisches Erdbeben bezeichnen. Nach Auszählung aller Wahlkreise stehen die Sozialdemokraten (ČSSD) als stimmenstärkste Partei fest, knapp dahinter liegt die Demokratische Bürgerpartei (ODS). Die eigentlichen Wahlsieger sind aber zwei vor kurzem neu gegründete Parteien: die TOP 09 mit Karel Schwarzenberg an der Spitze und die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten. Ihr Ergebnis nahezu halten konnten die Kommunisten. Klare Verlierer der Wahl sind die Christdemokraten (KDU-ČSL) und die Grünen (SZ), die beide aus dem Abgeordnetenhaus geflogen sind, sowie die SPO von Ex-Premier Miloš Zeman, die den Einzug ins Abgeordnetenhaus klar verfehlt hat. Auch deren Parteichefs haben noch am Samstag ihren Rücktritt erklärt.
Als stimmenstärkste Partei aus den tschechischen Parlamentswahlen hervorgegangen sind wie erwartet die Sozialdemokraten. Doch mit gerade einmal 22 Prozent der Stimmen ist man von den Umfrageergebnissen, die die ČSSD zeitweise in der Nähe von 35 Prozent gesehen hatten, weit entfernt. Parteichef Jiří Paroubek warf noch am Abend des Wahlsamstags das Handtuch:
„Die Sozialdemokraten haben bei dieser Wahl die meisten Stimmen bekommen. Ich gebe aber zu, dass wir ein besseres Ergebnis erwartet haben. Wir haben als Partei verloren, und was noch viel schlimmer ist: Verloren haben die einfachen Bürger und deren Anliegen. Daraus ziehe ich die Konsequenzen und werde innerhalb der nächsten sieben bis zehn Tage zurücktreten.“Mit etwas mehr als 20 Prozent der Stimmen auf Platz zwei gelandet ist die Demokratische Bürgerpartei (ODS). Auch deren Spitzenkandidat Petr Nečas räumte einen Misserfolg ein:
„Die Botschaft der Wähler ist eindeutig. Wir haben viel an Vertrauen eingebüßt und bei vielen Wählerschichten an Glaubwürdigkeit verloren. Das ist ein ganz klares Signal und darüber müssen wir in den kommenden Tagen und Wochen intensiv nachdenken.“
Eine gute Nachricht für Tschechien sei aber, dass das Wahlergebnis die Bildung einer starken Mitte-Rechts-Koalition ermögliche, so Nečas. Die Erteilung des Regierungsauftrages sei aber selbstverständlich Sache des Staatspräsidenten, fügte der ODS-Spitzenkandidat hinzu.Klarer Sieger der Parlamentswahlen ist die konservative TOP 09. Erst vor rund einem Jahr von Ex-Finanzminister Miroslav Kalousek und Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg gegründet, konnte sie fast 17 Prozent der Wähler für sich gewinnen. Lothar Martin hat mit dem Wahlsieger Karel Schwarzenberg gesprochen:
Herr Schwarzenberg, die Bürger der Tschechischen Republik haben gewählt. Wie bewerten Sie das Ergebnis der Wahlen insgesamt und natürlich auch aus der Sicht Ihrer Partei?
„Ich glaube, es war in Summa ein positives Ergebnis. Die Leute haben doch eine allzu demagogische Politik abgelehnt. Das ist das Interessante. Und die Extremisten haben nirgends einen Erfolg gehabt. Auch das ist positiv.“Sie haben mit Ihrer neuen Partei TOP 09 mehr als 16 Prozent erreicht. Wie gestärkt und mit welchen Vorstellungen gehen Sie in die Koalitionsverhandlungen?
„Das ist sehr einfach: Uns geht es um die notwendigen Maßnahmen, die wir hier brauchen zur endgültigen Durchsetzung des Rechtsstaates und zur Sanierung des Budgets. Das ist das, was wir in den Koalitionsverhandlungen erreichen wollen. Alles andere ist Nebensache.“
Aus dem Stand rund 11 Prozent der Stimmen bekommen hat die neue Bewegung „Öffentliche Angelegenheiten“ („Věci veřjené“) des populären Fernsehmoderators Radek John, der von einem klaren Votum spricht:„Die Wähler haben gegen die großen Parteien gestimmt. Und es hat ein regelrechtes Referendum gegen Herrn Paroubek gegeben. Nur so kann man das Ergebnis deuten. Die Leute haben sich für neue Parteien und einen neuen Stil entschieden. Nun haben wir die Chance, unser kluges Programm umzusetzen.“
Die Kommunisten mussten zwar Platz drei an die TOP 09 abtreten, verzeichneten mit rund 11 Prozent aber nur geringe Verluste:
„Jeder Stimmenverlust muss uns zu denken geben. Das ist sicher kein Grund zur Freude. Aber wenn wir berücksichtigen, dass die beiden so genannten großen Parteien jeweils mehr als 10 Prozent verloren haben und wir nur etwas mehr als eines, dann ist klar, dass wir nicht so schlecht waren“, so Parteichef Vojtěch Filip.Ein Debakel erlebt haben die Christdemokraten (KDU-ČSL), die mit nur etwas mehr als vier Prozent der Stimmen aus dem Abgeordnetenhaus fliegen. Parteichef Cyril Svoboda:
„Wir haben einen harten Kampf verloren. Die Hauptverantwortung dafür liegt bei mir. Ich gebe daher meinen Rücktritt bekannt.“
Lange Gesichter auch bei den Grünen, die den Wiedereinzug ins Unterhaus des Parlamentes mit weniger als drei Prozent klar verfehlen. Parteichef Ondřej Liška kündigte den Rücktritt des gesamten Parteivorstandes an:„Das Wahlergebnis ist eine Enttäuschung. Wir konnten nicht so viele Menschen für unsere Anliegen gewinnen, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Dafür tragen wir die Verantwortung: die Partei, der Parteivorstand und ich persönlich.“
Für den vierten Rücktritt des Wahlabends sorgte der ehemalige sozialdemokratische Premierminister Miloš Zeman, dessen Partei der Bürgerrechte (SPO) mit viereinhalb Prozent der Wählerstimmen ebenfalls nicht im neuen Abgeordnetenhaus vertreten sein wird:
„Wenn ein Politiker nicht erfolgreich ist, darf er nicht auf seine Wähler schimpfen. Er darf nur sich selbst beschimpfen. Und das tue ich hiermit: Warum bist du nur für sechs Monate aus deiner Höhle hervor gekrochen? Also kehre ich nun in diese Höhle zurück.“Das weitere Vorgehen liegt nun in den Händen von Staatspräsident Václav Klaus, für den das Wahlergebnis nach eigenen Worten „keine große Überraschung“ bedeutet hat. Auch die mit 63 Prozent gegenüber 2006 um rund eineinhalb Prozent gesunkene Wahlbeteiligung bezeichnet er als „akzeptabel“. Für gewöhnlich ernennt das Staatsoberhaupt den Spitzenkandidaten der stimmenstärksten Partei zum Premierminister und beauftragt ihn mit der Regierungsbildung. Verpflichtet dazu ist er gemäß Verfassung allerdings nicht und nach dem Rücktritt von Jiří Paroubek scheint in dieser Frage alles offen. Václav Klaus hat sich bisher dazu nicht geäußert.