Undurchsichtige politische Neulinge und der Schock der Meinungsforscher
Die Wahlen, aber natürlich auch die Regierungsbildung waren die wichtigsten Themen diese Woche. Dazu nun die Reaktionen der Zeitungskommentatoren.
Moderator: Die Schlagzeilen dieser Woche waren natürlich von den Parlamentswahlen im Land bestimmt. Die haben die politische Landschaft komplett auf den Kopf gestellt. Zwei völlig neue Parteien sind ins Abgeordnetenhaus eingezogen, zwei andere mussten das Feld räumen und für die beiden großen Volksparteien - Sozialdemokraten und Bürgerdemokraten - war es ein Debakel. Das wirft viele Fragen auf, finden tschechische Politologen. Was sagen die Journalisten?
Till Janzer: In der Zeitung Lidové noviny findet sich die Überschrift: „Věci tajemné“, übersetzt also „Geheime Angelegenheiten“. Das ist eine Anspielung auf die neue Partei im Parlament, die mit den meisten Fragezeichen versehen ist, die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten nämlich. Die Politologen bezeichnen die Gruppierung gerne als Aktiengesellschaft, bei der die Großaktionäre nicht bekannt sind, genauso wenig wie ihre tatsächlichen Ziele. Die Partei selbst sieht sich als Alternative zu den – wie sie sagt – Dinosauriern in der tschechischen Politik. Martin Zvěřina schreibt also in der Lidové noviny:„Will die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten den Innen-Ministerposten? Will sie ihn mit Herrn Bárta besetzen, dem Chef einer Sicherheits-Agentur? Kein klares Wort ist da gefallen. Die Damen und Herren der angeblich transparentesten Partei im tschechischen Parlament winken ab mit dem Verweis auf die Prioritäten im Wahlprogramm. Im Verschleiern hat die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten die 'Dinosaurier' blitzschnell eingeholt.“Seine Kollegin Tereza Šupová, ebenfalls Lidové noviny, fragt sich, wie die wahrscheinliche neue Regierungskoalition, bestehend aus den Bürgerdemokraten, der neuen Partei Karel Schwarzenbergs namens TOP 09 und besagter Partei der Öffentlichen Angelegenheiten außenpolitisch in Erscheinung treten wird. Sie meint:
„Die Beziehungen zu Brüssel werden sich mit der neuen Regierung nicht wesentlich ändern. Dennoch gibt es zwischen den Parteien ein gewisses Konfliktpotenzial. Wie werden sie dies im Koalitionsvertrag lösen? Wir müssen uns überraschen lassen.“Moderator: Nennt sie Beispiele?
Till Janzer: Ja, beispielsweise führt sie an, dass die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten durchsetzen will, dass bei wichtigen Entscheidungen, die alle Bürger der EU betreffen, im Rahmen von Referenden abgestimmt wird. Dazu meint Tereza Šupová:
„Das ist vielleicht eine Sache, die in Brüssel Unbehagen hervorruft, falls sie tatsächlich Eingang findet in den neuen Koalitionsvertrag. Beim Referendum in den Niederlanden und in Frankreich wurde die europäische Verfassung abgelehnt, der Vorgänger des Lissabon-Vertrags. Letzterer wurde wiederum beim Referendum in Irland zunächst abgelehnt."Moderator: Wir haben es schon erwähnt: Die großen Parteien haben dieses Mal deutlich weniger Stimmen erhalten als bei den Wahlen vor vier Jahren. Die Sozialdemokraten, die die Wahlen knapp gewonnen haben, werden die Regierung nicht bilden können, denn sie haben gegenwärtig keinen Koalitionspartner. Karel Schwarzenberg gilt deshalb als der eigentliche Wahlsieger, denn seine Partei TOP 09 hat es aus dem Stand auf fast 17 Prozent gebracht. Was sagen denn die Kommentatoren dazu?
Till Janzer: Petr Kamberský, Lidové noviny, schreibt dazu:„Das ist einer der paradoxesten Wahlsiege: TOP 09 entstand einerseits als strategisches Produkt der Mitte-Rechts-Parteien, andererseits aus dem Versuch zweier absolut verschiedener Politiker, die sich aus unerfindlichen Gründen nahe stehen, in der Politik zu bleiben.“
Und etwas weiter unten heißt es:
„Eine über 2000 Jahre alte Regel besagt: Politik sollten nur Menschen machen, die finanziell abgesichert sind. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass ein Aristokrat und ein früher verhasster Stellvertreter über 870.000 Stimmen geholt haben.“
Moderator: Bei TOP 09 war zu ahnen, dass die Partei ein gutes Ergebnis einfahren könnte. Was allerdings überrascht war der Absturz der Sozialdemokraten. Sie hatten in den Umfragen vor den Wahlen zwischen 26 und 32 Prozent erreicht und kamen letztlich nur auf 22 Prozent. Danach wurde spekuliert, ob nicht die Umfragen manipuliert waren. Was meinen die Kommentatoren?Till Janzer: Naja, ob es Manipulationen gab, kann natürlich niemand wirklich beurteilen. Und Jan Keller jedenfalls lehnt in der Právo diese Möglichkeit ab: „Es ist ausgeschlossen, dass das Absicht war. Die Meinungsforschungsagenturen stehen dafür viel zu sehr im Konkurrenzkampf und jede wäre froh gewesen, möglichst nah am Wahlergebnis gelegen zu haben. Auch die Agenturen waren von den Ergebnissen für die Sozialdemokraten geschockt. Genauso wie die beiden erfahrenen und anerkannten Politologen im Fernseh-Wahlstudio.“
Moderator: Vielleicht noch ein Wort zu der Partei, die wahrscheinlich den Premier stellen wird. Schreiben die Kommentatoren nicht auch über die Demokratische Bürgerpartei und ihren Chef Petr Nečas.Till Janzer: Fast überhaupt nicht, das ist aber auch nicht erstaunlich. Die unerwarteten Dinge haben sich eher bei den anderen politischen Kräften abgespielt. Aber vielleicht ist ja schon am Montag etwas dabei “
Moderator: Das aber dann erst im Medienspiegel in einer Woche…