Neue politische Kultur? Bisher ist davon nichts zu bemerken.
Zwei Wochen ist es nun her, dass in Tschechien gewählt wurde. Die beiden Volksparteien ODS und ČSSD haben dabei eine schwere Niederlage erlitten. Die Überraschungssieger der Wahl waren die konservative TOP 09 und die populistisch-liberale Partei der Öffentlichen Angelegenheiten. Nur wenige Tage nach der Wahl einigten sich die beiden – mit 17 beziehungsweise 11 Prozent der Stimmen gar nicht mehr so kleinen – Kleinparteien mit den Bürgerdemokraten auf Koalitionsverhandlungen. Den Sozialdemokraten als stimmenstärkster Partei bleibt mangels geeigneter Koalitionspartner nur der Gang in die Opposition. Und die Hoffnung auf den Vorsitz im Abgeordnetenhaus.
Der Rahmen für die sonntägliche Fernsehdiskussion war diesmal besonders edel. Statt im nüchternen Studio des Tschechischen Fernsehens trafen einander die Gesprächspartner diesmal im Garten der Regierungsvilla hoch über den Dächern der Prager Kleinseite: auf schicken Gartenmöbeln saßen einander der geschäftsführende Sozialdemokratenchef Bohuslav Sobotka, der designierte ODS-Vorsitzende Petr Nečas, TOP-09-Vizechef Miroslav Kalousek und Radek John von der Partei der öffentlichen Angelegenheiten gegenüber. Die Atmosphäre der Debatte war aber nicht unbedingt dem noblen Rahmen entsprechend.
Zunächst ging es einmal mehr um die Frage, welcher Partei das Amt des Vorsitzenden im Abgeordnetenhaus zusteht. Sobotka reklamiert das Amt für die stimmenstärkste Partei, also seine Sozialdemokraten:„Wir würden bei der Verteilung der Ämter im Abgeordnetenhaus gerne das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verwirklicht sehen. Die einzelnen Parteien sollten also genau so im Vorsitz der Kammer und der einzelnen Ausschüsse vertreten sein, wie es der Anzahl der erreichten Stimmen bei den Wahlen entspricht.“
Die Sozialdemokraten haben auch bereits einen Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden im Abgeordnetenhaus vorgeschlagen: ihren Außenpolitik-Experten Lubomír Zaorálek, der bisher stellvertretender Vorsitzender des Abgeordnetenhauses war. Für den designierten Chef der Demokratischen Bürgerpartei und wahrscheinlichen künftigen Premierminister Petr Nečas ist ein sozialdemokratischer Präsident des Abgeordnetenhauses im Allgemeinen und Zaorálek im Besondern allerdings ein rotes Tuch:
„Die Sozialdemokraten versuchen doch nur aus ihren innerparteilichen Problemen zu flüchten. Sie stehen vor einem Parteitag und die beiden Kandidaten für den Parteivorsitz, die Herren Sobotka und Hašek, sind auch die logischen Anwärter auf den Präsidenten-Posten im Abgeordnetenhaus. Damit nur ja nicht einer von den beiden bei der Wahl zum Parteichef im Vorteil ist, setzt man uns nun Lubomír Zaorálek vor. Einen Mann, der immer durch seine kontroversen Äußerungen und seine Verbalattacken unangenehm aufgefallen ist. Außerdem zweifelt er ständig die Verpflichtungen Tschechiens gegenüber der Nato an. So einen unseriös agierenden Mann können wir uns als Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses nicht vorstellen.“TOP-09-Vizechef Miroslav Kalousek, der betonte, seine Fraktion werde Zaorálek „bestimmt nicht“ wählen, ergänzte:
„Wir haben gesagt, wir könnten uns das vorstellen. Selbstverständlich. Allerdings unter der Vorraussetzung, dass der Vorsitzende wirklich das Abgeordnetenhaus als Ganzes und nicht nur die Opposition repräsentiert. Der Vorsitzende hat ziemlich weitreichende Befugnisse, durch die er der Regierungsmehrheit das Leben schwermachen kann. Angesichts der Rhetorik, die wir von den Sozialdemokraten kennen, ist genau das zu befürchten. Und vor dem Hintergrund dessen, wen die Sozialdemokraten nominiert haben, sind unsere Vorbehalte hundertprozentig. Ich denke, das Letzte, was Herr Zaorálek tun würde, ist, der Regierung entgegenzukommen."
Auch Radek John von der Partei der Öffentlichen Angelegenheiten hält nichts von einem Sozialdemokraten als Chef des Abgeordnetenhauses:„Das wäre ein Entgegenkommen von unserer Seite. In diesem Zusammenhang hat meine Partei dazu aufgerufen, den ‚kalten Krieg’ zu beenden. Aber das, was wir von den Sozialdemokraten über die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten zu hören bekommen, ist kein Waffenstillstand, sondern eine weitere Eskalation des Konflikts. Die aggressiven Äußerungen, von denen ich gehofft hatte, sie würden nach dem Wahlkampf aufhören, gehen weiter. Ich weiß nicht, warum wir den Sozialdemokraten irgendwie entgegenkommen sollten.“
Der Ton ist also weiterhin rau in der politischen Auseinandersetzung. Von der vielfach beschworenen neuen politischen Kultur, mit der vor allem die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten in den Wahlkampf gezogen ist, ist bisher nichts zu bemerken.Wenig Neues bot auch die Diskussion der so genannten „Parteileader“ über die wohl wichtigste und gleichzeitig schwierigste Aufgabe für die künftige Regierung: die Sanierung des Staatshaushaltes. Immerhin, man ist sich quer über alle Parteigrenzen hinweg einig, dass gespart werden muss. An der Frage wo und wie viel gestrichen werden muss beziehungsweise, wen man in Zukunft stärker zur Kasse bitten will, da scheiden sich allerdings die Geister. Der Sozialdemokrat und ehemalige Finanzminister Sobotka wirft den zukünftigen Koalitionspartnern konzeptloses Sparen nach der Rasenmähermethode vor:
„Ich habe große Angst davor, wie manche der von der entstehenden Regierungskoalition geplanten Maßnahmen zusammenwirken werden. Das wird große Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik unseres Landes und den wirtschaftlichen Aufschwung haben. Stellen Sie sich vor, sie erhöhen die Mehrwertsteuer, streichen den Staatsangestellten zehn Prozent ihres Gehalts und kürzen weitere Ausgaben des Staates. Was glauben Sie, was das für Auswirkungen auf die Kaufkraft der tschechischen Haushalte und damit auf das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr haben wird. Die geplanten Sanierungsschritte werden isoliert diskutiert. Es ist ein Fehler, sie nicht im Hinblick auf ihre Gesamtauswirkungen zu sehen.“Der Bürgerdemokrat Nečas weist alle diese Vorwürfe – wie nicht anders zu erwarten war – umgehend zurück:
„Natürlich betrachten wir das im Kontext und nicht isoliert. Und natürlich berechnen wir die Auswirkungen auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen. Ja, diese Maßnahmen sind unangenehm und unpopulär. Aber sie sind notwendig. Wenn wir die Verschuldung unseres Staates stoppen und den Weg in griechische Verhältnisse verlassen wollen, dann bleibt uns nichts Anderes übrig. Das, was wir machen würden, sollten wir uns auf eine Koalition einigen, ist nur das, was auch die Sozialisten in Griechenland, Spanien und Portugal machen, Herr Sobotka. Sie streichen Sozialausgaben, kürzen die Gehälter der Staatsangestellten und sparen.“ Allerdings, auch die Partner in der sich abzeichnenden Dreierkoalition haben durchaus unterschiedliche Vorstellungen vom Sparen. So will etwa die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten den einfachen Bürgern weniger tief in die Tasche greifen und eher bei staatlichen Investitionen und der Armee sparen. Petr Nečas wiederum fürchtet bei zu starken Einschnitten im Verteidigungsbudget um das internationale Ansehen Tschechiens. Heiße Verhandlungsnächte scheinen da geradezu vorprogrammiert.Einig sind sich die Parteispitzen aber in einem Punkt: Auch die Gehälter der Politiker sollen sinken. Außerdem sollen in Zukunft auch Abgeordnete und Senatoren alle Teile ihres Einkommens versteuern und Rechenschaft über die Verwendung der Spesen ablegen müssen. Bleibt abzuwarten, ob dieser Vorschlag auch eine Mehrheit im Parlament findet. Bisher sind derartige Versuche zur Selbstbeschränkung im Parlament stets gescheitert.