„Mandat für Reformen verloren“ – Politologe Schuster über die Vertrauensabstimmung
Die Proteste gegen die Reformen und Sparmaßnahmen der gegenwärtigen bürgerlichen Regierung von Premier Petr Nečas haben vor rund zwei Wochen einen Höhepunkt erreicht: Knapp 100.000 Demonstranten versammelten sich auf dem Prager Wenzelsplatz. Nicht nur bei dieser Kundgebung wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die innerlich zerstrittene Regierung keine Legitimität mehr habe für ihre weitreichenden Reformen im Bereich der Sozialsysteme. Wenige Tage später hat die Regierung im Abgeordnetenhaus eine Vertrauensabstimmung gewonnen – wohl auch, um der breiten Öffentlichkeit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Mehr zur Legitimitätsdebatte in einem Interview mit Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologe Robert Schuster.
„Ich denke, das trifft nicht zu. Um es rein pragmatisch zu sagen: Solange die Regierung unter Beweis stellen kann, dass sie eine Mehrheit im Parlament hat, das heißt 101 von 200 Abgeordneten, kann sie regieren. Sie muss nur darauf achten, dass diese Mehrheit wirklich immer besteht. Für mich trifft dieses Argument nicht zu, obwohl sich 100.000 Menschen auf dem Wenzelplatz versammelt haben und in den Umfragen die Unterstützung seitens der Öffentlichkeit immer mehr sinkt. Das sind natürlich Fakten, die man nicht ignorieren kann, aber das ist eben nicht das, wonach sich eine Regierung richten sollte. Wir haben ein parlamentarisches System, das heißt es werden Volksvertreter gewählt, und diese entscheiden dann.“
In der Koalition von Premier Petr Nečas ist es gerade zu einem fliegenden Wechsel gekommen, bei dem ein Koalitionspartner – die Partei der öffentlichen Angelegenheiten – durch einen anderen ersetzt wurde. Es fanden aber keine Neuwahlen statt: Ist das nicht zusätzliches Wasser auf die Mühlen jener, welche die Legitimität des Bündnisses anzweifeln?„Dem würde ich schon eher zustimmen, denn man darf nicht vergessen, dass die Koalition von Premier Petr Nečas, die aus den letzten Wahlen im Jahr 2010 hervorgegangen ist, eine sehr breite Mehrheit hatte. Sie hätte fast die Verfassungsmehrheit bekommen und damit die Verfassung ändern können. Diese Legitimität oder diese breite Mehrheit gab ihr das Mandat, grundlegende Reformen durchzusetzen. Das heißt Reformen die nicht nur im Horizont von vier, fünf Jahren, also auf die Dauer einer Legislaturperiode anzusetzen sind. Es sind Reformen, die mittel- bis langfristig wirken, wie beispielsweise die Rentenreform oder die Reform der Sozialsysteme. Premier Petr Nečas hat allerdings beim fliegenden Wechsel diese klare Mehrheit im Parlament verloren. Mit anderen Worten: Er kann weiter reagieren, er kann die Tagespolitik weiter bestimmen und er kann mit seiner Mehrheit im Herbst den Haushalt verabschieden. Aber das Mandat, diese grundlegenden Reformen zu erfüllen, das hat er meiner Meinung verloren. Soweit er diese Reformen fortführen möchte, müsste er jetzt auf die Opposition zugehen und versuchen, mit ihr gemeinsame Sache zu machen.“
Wie stabil dürfte das neue Regierungsbündnis sein, das Nečas geschmiedet hat?„Das bleibt weiterhin ungeklärt. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass dies schwierig sein kann. Es hat ja schon mehrerer solcher Fälle gegeben, bei denen eine Minderheitsregierung auf Glück und Geheiß einigen wenigen Abgeordneten ausgeliefert war. Die Regierung war dann von der Unterstützung und den Launen der Abgeordneten abhängig. Das war kein gutes Modell und hat der politischen Kultur im Land sehr geschadet. Man muss abwarten, ob dieses Bündnis oder die Unterstützung der neuen Gruppe rund um die stellvertretende Ministerpräsidentin Peake auch längerfristig agieren wird. Und man muss abwarten, ob Karolína Peake selbst die Kraft hat, um ihre sieben, acht Abgeordneten zu motivieren, für die Regierung zu stimmen.“
Die Tschechen hatten bisher immer den Ruf, nur dann auf die Straßen zu gehen, wenn es ihnen tatsächlich schlecht geht und ihre Lage ausweglos zu sein scheint. Ist dieser Fall eingetreten?„Sicherlich ist der Grundstein einer breiteren Massenbewegung gelegt wurden. Das hat sich in den letzten Wochen gezeigt. Ich meine damit nicht nur die Demonstration, die vor zwei Wochen auf dem Prager Wenzelsplatz abgehalten wurde. Schon in den Monaten zuvor gab es einige Großkundgebungen. Bei ihnen hat sich gezeigt, dass vor allem die Gewerkschaften dazu fähig sind, 10.000 Menschen im Protest gegen die Regierungspolitik auf einem Platz zu versammeln. Wichtig scheint mir, und das ist jetzt eine neue Dynamik, dass viele dieser Initiativen, die auf den Rücktritt der Regierung drängen, mit neuen Mobilisierungsmethoden arbeiten: beispielsweise im Internet, über soziale Netzwerke. Dadurch könnte eine neue Dynamik entstehen. Ich erinnere daran, dass einige dieser Initiativen, sich schon vor Jahren in der Frage des amerikanischen Antiraketenabwehrsystems engagiert haben. Das waren jene Gruppen, die damals die Menschen mobilisiert haben. Das könnte für die Regierung sicher sehr unangenehm werden.“