Kunst im Doppelpack - Zwei Kunstbiennalen in Prag
Die Kritiker meinen: Europa sei neuerdings von Biennalen geradezu überlaufen: zu viele Kuratoren, zu viele Künstler, zu viele Werke - alles von allem, und von allem nichts. Also warum nicht auch noch eine weitere Biennale in Prag? Hier finden diesen Sommer nicht nur eine, sondern gleich zwei Biennalen statt. Für unseren heutigen Kultursalon besuchte unsere Autorin Kristin Schneider beide Kunstfestivals.
"Escape Pods", zu Deutsch "Fluchtkapseln" - so hat Huong Ngo, ihre Installation genannt. Die US -Künstlerin mit asiatischen Wurzeln hat aus Plastik und Stofffasern große weiße Ballons genäht, die in ihrem Inneren durch Ventilatoren angetrieben, geräumigen Iglus ähneln. Tyvek nennt sich das unverwüstliche Material, aus dem einst atmungsaktive Schutzhüllen für Autos hergestellt wurden. Wer im Inneren der aufgeplusterten Fluchtballons Platz nimmt, kann sich sicher fühlen, so Huong Ngo über ihre Arbeit, die gerade auf der Biennale für Zeitgenössische Kunst in der Prager Nationalgalerie zu sehen ist:
"Viele Leute in den USA reagieren sehr paranoid. Überall herrscht dieses Gefühl, wir Amerikaner müssten jetzt sehr vorsichtig sein vor Leuten oder Kulturen, die wir nicht kennen. Es herrscht dieses permanente Gefühl der Angst. Die Regierung fördert diese Angst, indem sie die Leute auffordert, sich gegenseitig zu kontrollieren. Das ist eine sehr einfache Art Menschen zu manipulieren. Meine Arbeit kann man aber auch biographisch betrachten. Ich lebe in einer großen Stadt - Chicago. Dort leben die Menschen ziemlich unpersönlich nebeneinander her, wie in jeder Grosstadt! Meine Fluchtkapseln können dazu dienen, von der unpersönlichen Umgebung zu entfliehen."
Doch es gibt noch viel mehr zu entdecken im funktionalistischen Messepalast der Prager Nationalgalerie. Insgesamt 30 Kuratoren und Kuratorinnen aus fünf Kontinenten trommelte der Direktor Milan Knizak für seine Biennale zusammen. Erfrischend junge Kunst von jungen, internationalen Künstlern dominiert die Biennale in Prag. Wer spannende Entdeckungen in der tschechischen Kunstszene machen möchte, sollte nach Kunstwerken des Prager Galeristen Jiri Svestka Ausschau halten, die mit tiefgründigem Esprit und feinem Humor gleich mehrmals auf der Biennale auftauchen. Besonders hervorzuheben seien die Arbeiten von Krystof Kintera und Petra Feriancova, die beide neue Wege in der Kunst gehen. Petra Feriancova zeigt großformatige Farbphotographien und Zeichnungen. Auf einem Photo liegt ihr Baby dicht neben einem gefährlich wirkenden Hund. Auf einem anderen hat die Photographin ihr Kind in einen Mantel gehüllt und mitten auf eine Autobahn gelegt. Was hat es mit solch alptraumhaften Kompositionen auf sich? Jiri Svestka über die Künstlerin:
"Die Arbeit ist völlig neu. Die Arbeit geht autobiographische Wege. Einmal nimmt sie Bezug auf sich selbst und das eigene Kind und auf ihre Situation als junge Mutter und gleichzeitig Künstlerin. Und außerdem spricht sie sich selbst an und stellt sich selbst in Frage, was ihre Position in der Kunst selbst darstellt. Das gemalte Bild und die Zeichnungen beziehen sich auf alte Meister und Druckgraphik. Sie bringt das interessant zusammen."
Eine Innovation liefert auch der 32jährige Krystof Kintera, der seine Erfahrungen in der Performance-Kunst und im experimentellen Theater sammelte. Er modellierte einen Jungen in Rap-Kleidung lebensecht nach. Dieser steht dicht vor einer Wand. Immer wieder stößt er mit seiner Stirn gegen die Wand, vor der er steht. Die Situation wirkt schmerzvoll und brutal. Mit dieser Geste spricht der junge tschechische Künstler die Probleme an, die man heute in der Gesellschaft sieht und überzeichnet sie mit ironischen Metaphern. Wer den Jungen von Kintera sehen möchte, muss jedoch die Nationalgalerie verlassen und sich vom Norden Prags in Richtung Osten aufmachen. Während auf der Biennale der Prager Nationalgalerie Videos, Installationen und Malerei den Schwerpunkt bilden, konzentriert sich die Biennale im Prager Stadtteil Karlin auf Malerei. Für das Publikum erweist es sich als kaum nachvollziehbar, doch beide Biennalen stammen von unterschiedlichen Organisatoren. Während Milan Knizak im Jahre 2003 in der ersten Ausgabe der Biennale noch mit Giancarlo Politi, Herausgeber der internationalen Kunstzeitschrift Flashart, und auch mit Helena Kontova, gebürtige Tschechin und Chefredakteurin von Flashart, zusammenarbeitete, gehen die drei in diesem Jahr getrennte Wege. Die internen Spannungen unter den Organisatoren führten nicht zur Auflösung der Prager Biennale-Idee, sondern brachten im Gegenteil zwei Kunstevents hervor. Giancarlo Politi zum Malereischwerpunkt auf der Biennale in Karlin:
"Die Malerei ist heute ein sehr wichtiges Medium. Doch es gab auch eine Zeit, da verschwand die Malerei von den Biennalen. Die Kuratoren haben sich nicht mehr getraut Malerei auszustellen, um nicht als konservativ zu gelten. Man muss die Malerei heute als soziale Aktion sehen. Stellen Sie sich vor, dass hier 40 Künstler Malerei allein als Aktionskunst, als Provokation, als Ungehorsam betrachten! Kunst bedeutet Nachdenken! Kunst bedeutet Aktion! Das sind für mich die beiden wichtigsten Kriterien in der zeitgenössischen Kunst."
Unter der Klammer des Titels Expanded Painting, erweiterte Malerei, stellen auf der Karlin Biennale, in einer alten Waggonfabrikhalle, um die 350 Künstlerinnen und Künstler aus. Neben Einzelaufstellungen aus Südamerika, China und Polen holten sich die tschechisch-italienischen Kuratoren auch einige junge Nachfolger der Dresdner und Leipziger Schule nach Prag. Tim Eitel, Isabelle Dutoit, Thoralf Knobloch gehören zu den Nachfolgern von Neo Rauch und Eberhard Havekost. Sie zeigen gegenständliche, verführerische und vor allem phantasiereiche Malerei. Doch gerade wenn man die Dresdner und Leipziger Schule zum ersten Mal in Prag zeigt, hätte man diese aktuelle Kunstströmung mit ein paar wichtigeren Hauptvertretern besetzen sollen, anstatt nur ihre Schüler und Nachfolger zu zeigen.
Ein persönliches Fazit: So absurd und irreführend die Doppelung der Biennalen in Prag auch scheint, sie bieten Reibungsfläche für Neues im Kontext zeitgenössischer Kunst. Fraglich bleibt nur, ob in Prag neben Tourismus und Konsum eine internationale Biennalentradition wachsen kann. Doch Prag zeigt sich, nun über ein Jahr nach dem EU Beitritt, risikobereit und mutig, endlich junge, internationale Kunst zu fördern und zu präsentieren. Noch einmal der Galerist Jiri Svestka:"Es ist für Prag, für die Prager Kunstszene unglaublich wichtig. Und ich finde es sogar besser, dass es zwei Biennalen gibt, dass es diesen Streit über sie gibt und dass sich die Kunstszene etwas polarisiert hat. Es ist viel darüber diskutiert worden. Das werden sie aber aushalten. Auf den Biennalen wird bis auf vier bis fünf Ausnahmen gezeigt, was in Tschechien derzeit am besten und interessantesten ist."
Die internationale Biennale für zeitgenössische Kunst in Prag läuft noch bis zum 11. September 2005 in der Nationalgalerie Prag, im Kinsky-Palast, und im St. Agnes Kloster. Weitere Infos unter www.ngprague.cz/biennale Die Prag Biennale 2 findet bis zum 15. September 2005 in der Karlín Hall, Thamova 14, statt.