590. Todestag von Jan Hus - Historiker hinterfragen: Inwieweit ist Hus noch heute aktuell?
"Ich, der Magister Jan Hus aus Husinec, verkünde dem gesamten Böhmischen Königreich, dass ich bereit bin, mich gegen die falschen Anschuldigungen am Hofe des Erzbischofs zu wehren." Mit diesen auf ein Tonband projizierten Klängen und Worten beginnen auf Wunsch die Führungen im Jan-Hus-Haus im südböhmischen Husinec, das als Geburtshaus des einst umstrittenen Predigers und Reformators der im Mittelalter gespaltenen Kirche gilt. Er hat sich uns bereits vorgestellt, der damalige Professor für Theologie und spätere Rektor der Prager Universität, Jan Hus, der mit seinen in der Bethlehemkapelle zu Prag gehaltenen Predigten den Großteil des tschechischen Volkes ergriff, andererseits aber mit seiner Kritik am Zustand der Kirche, ihrer Verweltlichung, den Repräsentanten der katholischen Kirche und des böhmischen Hochadels ein Dorn im Auge war. Daher wurde er auf Anordnung des Konstanzer Konzils, das ihn zu einem Ketzer abgestempelt hatte, am 6. Juli 1415 auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Also heute vor genau 590 Jahren, so dass wir die nun folgende Sendung - auch aus Anlass des heutigen, zur Erinnerung an Hus Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts eingeführten tschechischen Staatsfeiertags - ganz unter die Thematik "Leben und Werk des Gelehrten Jan Hus" stellen wollen. Dazu begrüßt Sie am Mikrofon Lothar Martin, mit mir im Studio sind außerdem Andrea Fischer und Gerald Schubert.
"Wir wissen nicht mit Sicherheit, wann und wo er geboren ist, aber mit größter Wahrscheinlichkeit wohl in Husinec bei Prachatice."
Aus dem Munde von Jitka Charvatova, der Leiterin des Hus-Hauses in Husinec, hört sich das schon etwas differenzierter an:
"Er wurde am ehesten im Jahre 1371 geboren. Wie Sie sicher wissen, ist as Datum seiner Geburt nicht mit Sicherheit bekannt. Daher ist sein Geburtsjahr auf einen Zeitraum von mehreren Jahren fixiert, und zwar auf die Jahre von 1369 bis 1373. Manchmal werden auch noch andere Jahre angeführt."
Auch wenn das Geburtsdatum von Jan Hus bis heute noch eine offene Frage geblieben ist, so habe man laut Petr Cornej an der historischen Bedeutung des einstigen Prager Priesters keinerlei Zweifel mehr:"Seine historische Bedeutung geht auf das Jahr 1402 zurück, als er zum Priester und Verwalter der Bethlehemkapelle in der Prager Altstadt ernannt wurde. Diese Kapelle war dazu bestimmt, dass man hier die Worte Gottes in tschechischer Sprache vernehmen konnte."
Die tschechische nationalistische und reformistische Bewegung, die von Jan Milc, dem böhmischen Volksprediger des 15. Jahrhunderts, eingeleitet worden war, erweckte bald auch Hus´ Interesse. Hus bekannte sich auch zu vielen Ideen des englischen Reformators John Wyclif. Beide übten heftige Kritik am weltlichen Besitz der Kirche, traten für die Autorität des Gewissens ein und versuchten durch ihre Predigten die Kirche dem Volk näher zu bringen. Dass dies Hus gelungen ist, steht für Petr Cornej außer Frage:
"Hus hatte ohne Zweifel ein riesiges Charisma, denn anders wäre es nicht zu erklären, weshalb seine Gedanken zur Reformierung der tschechischen Gesellschaft auf einen solchen Widerhall stießen, und warum Hus quasi zum Symbol und zum Sprecher der tschechischen Reformen wurde."
Aber seine Bedeutung gehe noch darüber hinaus, ergänzt Cornej:
"Sie liegt auch darin, dass er, nachdem er zunächst vom Erzbischof und vom König unterstützt wurde, auch dann nicht von seinem Weg abgewichen ist, als er die Unterstützung dieser beiden einflussreichen Männer verloren hatte. Und er scheute sich auch nicht davor, mit der päpstlichen Kurie in Konflikt zu geraten."Hus vertrat die Lehre von der Prädestination und betrachtete allein die Bibel als letzte religiöse Autorität. Daher stieß er ganz eindeutig auf den Widerstand ihrer Würdenträger, die auf das von ihm angeprangerte unmoralische Leben nicht so schnell verzichten wollten. Dem böhmischen Prediger wurde daher 1408 die Ausübung seiner priesterlichen Funktionen untersagt. Hus wurde 1410 verbannt, daraufhin brachen in Prag Unruhen aus. Volksdemonstrationen ermöglichten es Hus trotz des 1412 ausgesprochenen Verbots, seine Predigten fortzusetzen. 1414 wurde Hus dann aufgefordert, sich dem Konstanzer Konzil zu stellen, welches zur Lösung des Kirchenschismas und zur Unterdrückung von als Häresie betrachteten Lehren einberufen worden war. Nach langem Zögern und mit dem Versprechen des Königs Siegmund auf freies Geleit begab sich Hus letztlich doch in die Stadt am Bodensee:
"Er fährt dorthin in dem Glauben, dass seine Interpretation von Gottes Gesetz richtig sei, und von der Verbindlichkeit dieses Gesetzes hofft er auch die Elite der christlichen Welt und der katholischen Kirche, die in Konstanz zusammen gekommen war, überzeugen zu können,"
erläutert Petr Cornej und fügt an:
"Wir wissen aber alle, dass die Sache ganz anders ausgegangen ist. Hus wurde kurz nach seiner Ankunft in Konstanz festgenommen, eingekerkert und gegen ihn wurde gerade vor diesem Konzil ein inquisitorischer Prozess geführt."Wie dieser Prozess ausging, auch das erklärt uns Petr Cornej:
"Hus lehnte es ab, sich dem Konzil zu unterwerfen. Nach der dritten Anhörung war klar, dass er zum Tode verurteilt wird. Es verstrich jedoch noch ein ganzer Monat zwischen der letzten Anhörung und der Verbrennung von Jan Hus, was ein Beleg dafür ist, dass das Konzil Hus nach Möglichkeit nicht nach dessen irdischen Leben trachten wollte. Denn ein lebender Hus, der seine Lehren widerrufen würde, wäre für das Konzil von einem größeren Wert gewesen als ein toter Hus. Hus trat jedoch nicht von seinen Überzeugungen zurück, indem er allein in Christus das wahre Oberhaupt der Kirche sah. Zweifelsohne wurde er darin auch noch bestärkt durch die Bewegung, die in seinem Namen in Böhmen in Gang gekommen war."
Die danach erfolgte Hinrichtung von Jan Hus verhinderte jedoch nicht die Organisation seiner Anhänger, der Hussiten, und führte schließlich auch zu den verheerenden Hussitenkriegen. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund:
"Hus wurde zum Symbol und Märtyrer des Gedankens, dass die Kirche und das Christentum zu reformieren seien."
"Er war eine der bedeutendsten Gestalten, die die tschechische Nation eigentlich noch bis in die jüngste Zeit hinein gespalten hat",beschreibt der Historiker Jan Lasek das widersprüchliche Bild, dass man sich hierzulande in der Vergangenheit vom Prediger Jan Hus gemacht hat. Die einen verehrten ihn wie einen Nationalheiligen, für die anderen aber war er ein Ketzer. Es kam immer auf die Sichtweise an, so dass die Präsentation der Person des Jan Hus teilweise skurrile Blüten trieb. Über eine solche weiß der Bürgermeister von Husinec, Ludvik Friedberger, zu berichten:
"Husinec wurde in der Zeit des Sozialismus oft von den Machthabern des kommunistischen Regimes missbraucht. Sie sahen in Hus den ersten Revolutionär und setzten durch, dass er auch im Unterricht an den Schulen so verstanden wird. Den Schulen wurde zudem auferlegt, mit ihren Schülern den Geburtsort von Jan Hus aufsuchen zu müssen. Letzten Endes waren im Ort auch solche Losungen wie ´Husinec - Stadt der revolutionären Traditionen´ angebracht."
Trotz so mancher Verfälschung und Entfremdung, die es in der Vergangenheit bei der Sichtweise auf die Person von Jan Hus gegeben hat, ist es noch im zu Ende gegangenen 20. Jahrhundert gelungen, den einstigen Gelehrten und Kirchenreformator in das rechte Licht zu rücken. Dies wurde dank zweier in den 90er Jahren stattgefundener wissenschaftlicher Konferenzen möglich, bei denen 1993 im bayrischen Bayreuth und 1999 im Vatikan sehr offen und tiefgründig über Leben und Werk des Magisters Jan Hus debattiert wurde. Und hier hat gerade die zweite, im Herzen der katholischen Kirche durchgeführte Konferenz eine relativ hohe Bedeutung erlangt. Inwiefern, dazu erläuterte Jan Lasek:
"Die Erklärung der katholischen Kirche aus dem Jahr 1999 - vorgetragen aus dem Mund ihres damaligen höchsten Repräsentanten, Papst Johannes Paul II., dass es durchaus statthaft sei, Jan Hus als einen Reformator der Kirche anzusehen, ist ein gewisser Durchbruch. Das heißt nämlich nichts anderes, als dass man Hus nicht mehr für einen Ketzer, sondern für einen Reformator der Kirche halten soll."Nicht zuletzt aus diesem Kontext heraus hat sich das Bild über den Prediger Jan Hus auch in der tschechischen Gesellschaft überwiegend zum Positiven gewandelt, und für all diejenigen Zeitgenossen, besonders denen der jungen Generation, die noch nichts oder nicht viel mit der Person des einstigen Priesters und Universitätsrektors anzufangen wissen, soll eine vor Wochenfrist auf der Prager Burg eröffnete Ausstellung helfen, mehr zu Jan Hus und seinem Schaffen zu erfahren. Historiker Lasek, gleichzeitig Kurator der Exposition, erklärte dazu:
"Wir haben einen Weg gesucht, wie man die Person von Jan Hus der Öffentlichkeit am besten näher bringen kann. Ich bin der Meinung, dass es gelungen ist, unser Hauptanliegen mit dieser Ausstellung vorzubringen, nämlich den zeitgenössischen Menschen sachlich über das Leben des Magisters Jan Hus zu informieren und zu zeigen, welchen Einfluss diese bedeutende Persönlichkeit auf die nachfolgende geistige, kulturelle und politische Entwicklung hatte."
Lasek ist sich dessen bewusst, dass diese Ausstellung einem Interessenten nur in einigen Grundzügen Kenntnisse über Jan Hus vermitteln kann. Deshalb drückte er auch die Hoffnung aus:"Der Besucher sollte vielmehr zu weiteren Studien angeregt werden, und zwar dahingehend, dass er sich für das Lebenswerk des Jan Hus interessiert und dass er sich die sachliche Frage stellt: Inwiefern könnte Hus auch für mich heute noch aktuell sein?"
Jan Lasek misst der von ihm und Petr Cornej initiierten Hus-Exposition jedoch eine noch viel weiterreichende Bedeutung bei:
"Eine der Absichten, die wir mit dieser Ausstellung haben, ist es, in den nächsten zehn Jahren, die uns bis zum 600. Jahrestag des Todes von Hus auf dem Konstanzer Scheiterhaufen verbleiben, das Interesse an Hus´ Leben wie auch an seinem geistlichen Vermächtnis zu wecken."
Zu diesem nicht mehr allzu weit entfernten Jubiläum wollen die Historiker und Hus-Verehrer Cornej und Lasek auch noch auf eine andere Weise ihren Beitrag leisten:
"Die Autoren der Ausstellung sind sich bewusst, dass es zum Beispiel erforderlich sein wird, eine neu verfasste Biografie über Hus zu schreiben, und zwar eine, in die auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen des 20. Jahrhunderts einfließen. Es sollte von ökumenischer Seite ebenso der Versuch unternommen werden, solche Dinge neu zu beleuchten, wie das von Hus aufgeworfene Problem der kirchlichen Autorität sowie seine gesamte Theologie, die in den zurückliegenden Jahrzehnten sehr vernachlässigt worden ist."
Zehn Jahre verbleiben also, bis wir im Jahr 2015 in Tschechien und sicher auch noch andernorts im dann hoffentlich noch enger vereinten Europa des 600. Todestages des Magisters Jan Hus gedenken werden. Genügend Zeit also, um sich auch vorher schon einmal auf die Spuren des großen Geistlichen aus der Epoche der Wende des 14. zum 15. Jahrhunderts zu begeben. Zum Beispiel in seine im Schoß der malerischen Landschaft Südböhmens gelegene Geburtsstadt Husinec. Oder stand dessen Wiege doch woanders? Der bereits zitierte Bürgermeister des Ortes, Ludvik Friedberger, wusste uns jedenfalls folgende Sage zu erzählen:"Letztendlich gibt es die Sage, dass Hus zwischen Husinec und der Burg Hus im Städtchen Kratosin geboren sei. Das ist eine solch traditionelle Sage, die mein Vater von seiner Mutter erfahren hat und die wiederum von ihrer Großmutter. Und diese Großmutter kommt aus dem dortigen Kratosin."
Der Volksmund ist aber nur die eine, die auf Forschungen, Entdeckungen, alten Schriftstücken und anderen beweisträchtigen Gegenständen verankerte Geschichte jedoch die andere und wohl zutreffende Seite. Und so werden Sie beim Besuch des Hus-Hauses in Husinec bei einer Führung mit Frau Charvatova von dieser sicher auch zu hören bekommen:
"Wir stehen hier in dem Raum, in dem der jahrhundertealten Tradition zufolge Jan Hus im Jahr 1371 geboren wurde."
Und auf unsere Nachfrage, wie groß die mittelalterliche, infolge von einigen Bränden aber nicht mehr ganz ursprüngliche Stube sei, antwortet die Museumsleiterin:"Cirka dreimal zwei Meter. Und im Hintergrund ist die schwarze Küche zu sehen, wo man früher gekocht hat."
In der Tat gibt es hier einige, aufgrund ihrer jahrhundertealten Herkunft sehr wertvolle Ausstellungsstücke zu sehen. Aber nicht minder interessant sind die Geschichten, die sich auch um diese Einrichtung ranken. So erzählt uns Jitka Charvatova, dass unter den Tausenden von Besuchern, die schon im Hus-Haus weilten, sich auch diese Episode zugetragen habe:
"Und es war auch interessant, als einmal einige in den USA lebende Tschechen hierher kamen, allein schon deshalb, weil sie sehr traditionsbewusst sind. Sie hatten vieles im Gedächtnis, was ihnen die Eltern erzählt haben, weil sie einfach so erzogen sind. Und so kam es, dass eine der Amerikanerinnen sich niederkniete und den Fußboden dieses Raumes küsste."
Eine andere, in Husinec gebürtige Amerikanerin wiederum hat dem Hus-Haus sogar eine Erinnerungsplakette gewidmet. Mit anderen Worten: Man kann so einiges sehen und erfahren, wenn man sich auf die Spuren des vor 590 Jahren hingerichteten Gelehrten Jan Hus begibt und dabei seine vermutliche Geburtsstadt Husinec oder aber andere böhmische Stätten seines Schaffens bzw. seines Erbes, wie die einstige Hussitenhochburg Tabor, aufsucht.
An dieser Stelle ist unsere kleine Führung im Hus-Haus in Husinec bzw. der kurze Abriss des Lebens von Jan Hus eigentlich schon beendet. Doch für diejenigen, die immer noch nicht so richtig wissen sollten, mit wem sie es bei der Person des Professors, Priesters und Reformators Hus zu tun bekommen, für die hat sich Historiker Jan Lasek etwas Zeit genommen. Exklusiv für Radio Prag lässt er uns in deutscher Sprache noch folgendes wissen: