Erneut Unfall mit Todesfolge bei der Bahn – Sicherheitsdefizit wird thematisiert
Die zurückliegenden sieben Tage sind eine Zäsur für den Bahnverkehr in Tschechien: Binnen einer Woche geschahen drei schwere Unfälle, bei denen drei Menschen starben und weitere verletzt wurden. Die jüngste Kollision passierte am Dienstagabend östlich von Prag – nahe der Stadt Český Brod fuhr ein Personenzug auf einen stehenden Postzug. Der Lokführer des Personenzugs kam dabei ums Leben, 35 weitere Menschen wurden verletzt.
Am Dienstag war Karel Havlíček (parteilos) ein gefragter Mann. In seiner Doppelfunktion als Minister für Industrie und Handel sowie für Verkehr versuchte er Lösungen zu nennen für den wirtschaftlichen Weg raus aus der Corona-Krise und ebenso zur Sicherheit im Bahnverkehr. Da ahnte er noch nicht, dass er am späten Abend schon wieder vor Ort gebraucht wurde. Denn gegen 21.30 Uhr passierte der Zusammenstoß eines Personenzugs mit einem Güterzug in der Nähe von Prag. Zu den Ursachen befragt, wie der Doppelstockzug vom Typ CityElefant auf einer Hauptstrecke auf den haltenden Postzug auffahren konnte, sagte er am Mittwoch im Tschechischen Rundfunk:
„Fakt ist, und alle Indizien sprechen dafür, dass es sich hier um menschliches Versagen handelt. Mit größter Wahrscheinlichkeit hat der Lokführer ein Signal überfahren, das auf Rot stand. Und dies, obwohl es sich um eine sehr sichere Strecke handelt, bei der der Verkehr auf der Basis des Zugsicherungssystems LS erfolgt. Dabei wird die Aufmerksamkeit des Lokführers überwacht.“
Wenn dieser dann ein rotes Signal überfährt oder vergisst, seine Wachsamkeit durch das stetige Drücken einer Taste zu bestätigen, dann müsste der Zug eigentlich von selbst bremsen. Warum dies hier nicht geschah und wie der detaillierte Unfallhergang war, das ist nun Gegenstand weiterer Ermittlungen der Bahninspektion und der Polizei.
Schon beim Unglück vor einer Woche auf einer Regionalstrecke im Westerzgebirge wurden Vorwürfe gegen einen der beiden Lokführer laut. Beim Zusammenprall zweier Personenzüge auf offener Strecke unweit von Pernink / Bärringen waren zwei Menschen getötet und viele weitere verletzt worden. Einer der Lokführer soll dabei die Weisung des Dispatchers, im Bahnhof Pernink auf den Gegenzug zu warten, missachtet haben. Für den beim Unfall bei Český Brod getöteten Lokführer legt der Chef der Tschechischen Bahnen (ČD), Václav Nebeský, allerdings seine Hand ins Feuer:
„Der Lokführer war 40 Jahre alt, er war ausgeruht und relativ erfahren. Er war seit zehn Jahren bei den Tschechischen Bahnen angestellt, und auf einer Hauptstrecke wie dieser war er mit einem Personenzug des gleichen Typs schon sechs Jahre lang vertraut.“
Hinlänglich bekannt ist, dass sich die staatlichen Tschechischen Bahnen bereits längere Zeit mit einem Personalmangel herumschlagen. Gerade Lokführer müssen dabei häufig Überstunden leisten. Deshalb taucht nicht nur seit diesen jüngsten Unfällen immer wieder die Frage auf: Sind Lokführer in Tschechien bei ihrer Arbeit heutzutage überfordert? Eine schonungslose Antwort auf diese Frage gibt David Votroubek, er gehört zur Leitung des Verbandes der Lokführer:
„Es muss einfach gesagt werden, dass die Verantwortlichkeit der Lokführer in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Die vereinfachte Lenkung des Bahnverkehrs auf den regionalen Strecken nach der Vorschrift D3 stammt noch aus dem letzten Jahrhundert. Damals gab es noch Zugbegleiter und weitere Personen, die eine Zugfahrt abgesichert haben, die Verantwortung war also auf mehrere Schultern verteilt. Leider bestimmen heutzutage aber bei allen menschlichen Tätigkeiten die Kosten und Finanzen das Handeln. Und wir verlieren eine Absicherung nach der anderen. Daher findet man heute auf einem Zug nur noch den Lokführer, der neben seiner eigentlichen Arbeit beispielsweise auch noch selbst die Weichen stellt, Fahrkarten im Zug verkauft, und weitere Tätigkeiten durchzuführen hat.“
Gerade für die regionalen Strecken, von denen es in Tschechien noch über 60 gibt, hatten sich die Lokführer nach dem Unglück von Pernink erhofft, dass ihnen die Politik nun durch eine Nachrüstung bei der Zugsicherung zu Hilfe kommt. Auf einer Konferenz am Dienstag sprach Verkehrsminister Havlíček dann aber davon, dass man dort keine Provisorien mehr durchführen, sondern eine langfristige Lösung anstreben werde. David Votroubek sagte dazu:
„Mich hat diese Äußerung doch sehr enttäuscht. Davon zu sprechen, wir würden jetzt auf eine überstürzte Lösung drängen, entspricht nicht den Tatsachen. Denn die Bahninspektion hat schon bei Unfällen in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass die Strecken mit modernen Sicherheitsstandards ausgerüstet werden müssten. Und wenn der Minister sagt, dass man auf diesen Strecken nun auch in den nächsten Jahren oder gar Jahrzehnten nichts unternehmen wolle, dann ist das im 21. Jahrhundert einfach inakzeptabel.“
Nach dem Unfall auf der Hauptstrecke zwischen Prag und Ostrava / Ostrau aber wird Havlíček vermutlich doch umdenken müssen. Am Dienstag kündigte er unter anderem an, dass für die Sicherheit an Bahnübergängen in den nächsten zwei Jahren viel Geld in die Hand genommen werde. Und nach dem Unfall bei Český Brod sprach er davon, dass man auch die Mittel dafür habe, um das Bahnnetz in Tschechien generell sicherer zu machen. Und so ist plötzlich auch das in Europa bereits bewährte Zugsicherungssystem ETCS im Gespräch. Dazu sagte der Abgeordnete der Piraten für Verkehrsangelegenheiten, Ondřej Polánský:
„Das Zugsicherungssystem ETCS ist sicher der richtige Ansatz. Das Problem liegt darin, dass die Tschechische Republik mit dessen Einführung weit hinterherhinkt.“