Pfarrer, Philosoph und Menschenfreund Vinzenz Zahradník

Vinzenz Zahradník (Quelle: Archiv der Gemeinde Křešice)

Vinzenz Zahradník war ein aufgeklärter tschechischer katholischer Priester, Philosoph und Schriftsteller. Vor 230 Jahren wurde er geboren. Zehn Jahre lang war er als Pfarrer in der Gemeinde Zubrnice in Nordböhmen tätig. Eben dort wird heute an ihn auch erinnert.

Vinzenz Zahradník  (Foto: František Bíza,  Wikimedia Commons,  CC0)

„Vinzenz Zahradník – er war in der Zeit der nationalen Erweckung einer der Ersten, die Tschechisch als literarische und wissenschaftliche Sprache verwendet haben. Für mich persönlich war Zahradník in erster Linie ein erstaunlich kreativer und guter Mensch, der trotz seines traurigen Schicksals nicht klein beigab. Er starb bei einer Typhusepidemie, weil er sich um die Kranken kümmerte, obwohl er wusste, um welch ansteckende Krankheit es sich handelt. Vinzenz Zahradník war also auch ein Held.“

Mit diesen Worten charakterisiert Ilona Rožková die Persönlichkeit von Vinzenz Zahradník. Sie hat vor sieben Jahren das 200 Jahre alte Pfarrhaus in Zubrnice als Ferienhaus erworben. Heute verbringt sie im Pfarrgebäude nicht nur ihre Freizeit, sondern kümmert sich auch um das Erbe des einstigen Bewohners.

Josef Franz Hurdálek  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

Doch wer war Vinzenz Zahradník eigentlich? Zur Welt kam er am 29. Dezember 1790 in Mladá Boleslav / Jungbunzlau. Nach dem Besuch des Gymnasiums in seiner Heimatstadt begann er 1807 ein Theologiestudium in Litoměřice / Leitmeritz. In der nordböhmischen Stadt erhielt er 1813 dann die Priesterweihe. Später war er als Sekretär des dortigen Bischofs Josef Franz Hurdálek tätig und als Leiter der bischöflichen Bücherei. 1820 wurde Zahradník zum Pastoralprofessor ans dortige Priesterseminar berufen. Der Aufenthalt in Litoměřice sei für ihn von großer Bedeutung und die Jahre dort die glücklichsten in seinem Leben gewesen, meint Ilona Rožková:

„Vinzenz Zahradník befand sich in Litoměřice in einem äußerst lebendigen intellektuellen Umfeld, das unter dem Einfluss eines der größten Geister der böhmischen Länder stand, des Theologen, Mathematikers und Philosophen Bernard Bolzano. In Litoměřice eignete sich Zahradník ein brillantes Tschechisch an und hatte dort auch Zugang zur neuesten Literatur.“

Gelehrter und Dorfpfarrer

Litoměřice  (19. Jahrhundert)

Nach nur einem Jahr am Priesterseminar kam der erste Schicksalsschlag. Zahradník wurde vom Dienst suspendiert, verhaftet, und es wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet.

„Die österreichische Politik war zu jener Zeit aufgrund der Freimaurer und Napoleons Vormarsches äußerst sensibel gegenüber Geheimgesellschaften. Eine solche Gesellschaft wurde vermeintlich auch in Litoměřice gegründet. Man nannte sie Christenbund. In dem Verein trafen sich die besten Studenten. Sie trugen einen Eisenring als Zeichen der Gleichheit. Wahrscheinlich wurde dies von jemandem, den sie nicht in ihren Kreis aufgenommen hatten, an Wien und Rom gemeldet, und darauf traf die Inquisition ein. Auf diese Art wurden zahlreiche talentierte Männer für den Rest ihres Lebens ruiniert.“

Kirche St. Maria Magdalena in Zubrnice  (Foto: Pindick,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 2.5)

Das Verfahren gegen Zahradník wurde zwar noch im selben Jahre wieder eingestellt, aber man schob ihn auf die unbedeutende Pfarrstelle in Zubrnice / Saubernitz ab. 1820 traf er in diesem deutschen Dorf in den Hügeln des Böhmischen Mittelgebirges ein, das war praktisch am Ende der Welt. Denn die Kontakte mit seinen Freunden und den Gelehrten musste er abbrechen.

„Eigentlich fiel war es schwer für ihn, in Zubrnice zu sein, aber er gab nicht auf. Er las, dachte viel nach und schrieb. Dazu war er ein guter Pfarrer, soweit wir nach seinen klugen und menschlichen Predigten urteilen können. Zahradník hielt sie auf Deutsch und veröffentlichte sie auf Tschechisch. Er war von 1820 bis 1830 hier. Für ihn wurde sogar ein neues Pfarrhaus gebaut. Nach den damaligen Verhältnissen war es ein bescheidenes Gebäude, aus heutiger Sicht ist es ein wunderschönes Gebäude im klassizistischen Stil.“

Křešice  (Foto: Aktron,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

Nach zehn Jahren durfte Vinzenz Zahradník wegziehen. Er ging nach Křešice, eine Gemeinde im Elbtal nicht weit von Litoměřice entfernt:

„In Křešice war er glücklicher. Zahradník schrieb damals folgenden Worte: ‚Ja, mein Freund, ich bin jetzt näher an Prag, ich bin an der Elbe und nicht mehr in den Bergen. Ich wünsche mir, nach Prag zu fahren.‘ Das war für ihn wirklich das Wichtigste. Innerhalb von sechs Jahren gelang ihm dies aber nur dreimal. Denn zu seiner Zeit gab es noch keine Eisenbahn in Böhmen, und in einer Kutsche nach Prag zu fahren, dauerte zwischen sechs und acht Stunden.“

Büste von Vinzenz Zahradník in Zubrnice  (Foto: SchiDD,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

Vinzenz Zahradník starb am 31. August 1836 im Alter von nur 46 Jahren in Křešice – und zwar an einer Typhusepidemie, die dort ausbrach. Sein Tod wurde von der damaligen intellektuellen Welt als großer Verlust betrachtet.

Zahradník war eigentlich Theologe, doch er hat auch philosophische Schriften veröffentlicht. Und in diesen schuf er die Grundlagen für die tschechische philosophische Terminologie.

Theologe und Philosoph

Bernard Bolzano  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

„Zahradník war von Bernard Bolzano inspiriert. Daher drehte sich sein Denken um das Gemeinwohl als höchstes Gut. Zahradník war ein sachlicher und rationeller Denker, aber er konnte auch sehr menschlich empfinden. Sein ganzes Leben lang hatte er Probleme mit der Zensur. Deswegen ist seine Abhandlung über Ästhetik verloren gegangen. Zudem war er ein guter Pädagoge.“

Das beweisen auch die Fabeln, die Zahradník in seiner Zeit als Pfarrer in Zubrnice geschrieben hat.

„Insgesamt sind es 324 Fabeln. Wir haben sie gefunden, und nach der Lektüre haben wir die 27 besten in einem kleinen Buch herausgegeben.“

Der Esel im Paradiesgarten

Dem Esel kam zu Ohren, dass der Paradiesgarten wunderschön sei. Gerne wollte er ihn sich selbst anschauen. Als der Besitzer einmal eine Pforte des Paradiesgartens offen ließ, trat der Esel hinein. Er probierte jede Blüte. Als er den Garten verließ, begegnete ihm ein anderer Esel und fragte ihn: „Ist es wahr, dass der Paradiesgarten ganz phantastisch ist?“ Der Freund mit den großen Ohren erwiderte: „Überhaupt nicht! Ich weiß nicht, weshalb die Menschen den Paradiesgarten so sehr loben. Ich habe an allem geknabbert, aber nichts hat mir geschmeckt. Eine Distel, mein Bruder, sogar eine Distel ist viel leckerer.“

Viele Menschen leben nur für den Leib und sind unfähig, geistige Freuden zu erleben. Den Himmel würden sie selbst im Himmel nicht finden.

Ilona Rožková  (Foto: Archiv des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds)

Ilona Rožkovás Beziehung zu Vinzenz Zahradník ist sehr persönlich. Woher kommt das aber?

„Eigentlich ist das ganz einfach. Ich habe über Vinzenz Zahradník früher gar nichts gewusst. Das kam erst 2013, nachdem ich das Pfarrhaus gekauft hatte und es instand setzte. Da begann er mich zu faszinieren und zu inspirieren. Vinzenz Zahradník wird in mehreren schönen Büchern erwähnt, die ich herausgegeben habe. In diesem Jahr wurde ein großes Konzert zu seinen Ehren veranstaltet, und in Křešice hat Bürgermeister Michal Mančal sein Grab ausbessern lassen. Zahradník war ein guter Mensch, und es ist eine Ehre und eine Freude, sich um sein Erbe zu kümmern.“

Begegnungszentrum im Pfarrhaus von Zubrnice

Zubrnice  (Foto: Pindick,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 2.5)

Rožková hat mittlerweile in Zubrnice sogar ein Vinzenz-Zahradník-Zentrum gegründet. Es ist in der Scheune des Pfarrhauses untergebracht und dient für unterschiedliche Aktivitäten und Veranstaltungen:

„Wir bereiten gerade einen Lehrpfad und eine Dauerausstellung vor. Wir wollen bei Gelegenheit ein Café öffnen, in dem sich die Leute entspannen und lesen können. Zahradník hielt große Stücke auf das Denken. Unser Ziel ist es, den Menschen zu zeigen, dass Denken gesund ist.“

„Ein Kochbuch fürs Leben alias aus dem Leben des Pfarrers Vinzenz Zahradník“  (Foto: Stanislava Brádlová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Das Zentrum ist auch als Verlag tätig. Erschienen ist etwa „Ein Kochbuch fürs Leben alias aus dem Leben des Pfarrers Vinzenz Zahradník“, wie der Titel heißt. Darin geht es nicht nur um die Persönlichkeit des Priesters und Dichters, sondern auch mit um das Leben in Zubrnice in den vergangenen Jahrzehnten und heute. Außerdem findet man dort ein Interview mit dem Leiter des dortigen Freilichtmuseums sowie eine Sammlung alter Rezepte. Das „Kochbuch“ liegt auf Tschechisch vor. Ein anderes Buch, nämlich eine Auswahl aus Zahradníks Fabeln, gibt es sogar in deutscher Übersetzung. Und die Scheune des Pfarrhauses in Zubrnice funktioniert auch als tschechisch-deutsches Begegnungszentrum:

„Ich habe im Freilichtmuseum Ambrossgut Schönbrunn in der Nähe von Chemnitz einen guten Partner gefunden, mit ihm wir schon viel gemeinsam gemacht haben. Ich war bei den Jahrmärkten in Abrossgut-Schönbrunn, und sie waren auch bei mir, haben etwa am Zahradník-Berglauf teilgenommen, den ich organisiert habe. Wir unterstützen uns in diesem Sinne gegenseitig.“

Freilichtmuseum Zubrnice  (Foto: Marie Čcheidzeová,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

Ilona Rožková bemüht sich, neues Leben nach Zubrnice zu bringen. Mit diesem Anliegen steht sie aber nicht alleine da. Die Gemeinde habe in den letzten Jahrzehnten einen großen Wandel erlebt, betont sie:

„Zubrnice ist dank des dortigen Freilichtmuseums heute eine Perle des Böhmischen Mittelgebirges. Es ist nicht mehr das Dorf am Ende der Welt wie zu den Zeiten von Vinzenz Zahradník. Mehrere Tausende Menschen kommen hierher zu den Jahrmärkten. Oder sie machen eine Fahrt mit der historischen Eisenbahn, die auch zu den Sehenswürdigkeiten von Zubrnice gehört.“

„Die Menschen sind viel besser, als wir uns das normalerweise vorstellen.“

Vinzenz-Zahradník-Zentrum  (Foto: Archiv des Zentrums)

Und Zubrnice sei auch ein idealer Ort, um die Geschichte von Vinzenz Zahradník zu erzählen, sagt Ilona Rožková. Nach der Eröffnung des Zentrums schmiedet sie schon weitere Pläne:

„Wir werden eine Ausstellung eröffnen, eine Bibliothek zusammenstellen und ermöglichen, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Arbeiten zu unserem Thema zu schreiben. Das Freilichtmuseum zeigt, wie die Menschen früher hier Landwirtschaft betrieben und die schöne Gegend gepflegt haben. Und wir bringen den Besuchern näher, wie man seine Seele pflegt. Das ergänzt einander wunderbar.“

Bei all ihren Aktivitäten lässt sich Ilona Rožková von einem Motto führen. Dabei handelt es sich – wie könnte es auch anders sein – um ein Zitat von Vinzenz Zahradník:

„Die Menschen sind viel besser, als wir uns das normalerweise vorstellen.“