Be-GrenzteWeihnachten in der Corona-Krise
In diesem Jahr erleben wir ein anderes Weihnachten als gewohnt. Immer wieder ist dieser Satz zu hören und zu lesen – mal in einem mahnenden, mal in einem bedauernden Tonfall. Die Menschen sind aufgerufen, das Fest im kleinen Familienkreis zu feiern und ihre Kontakte auch über die Feiertage einzuschränken. Für eine ganze Reihe von Familien, deren Angehörige nicht nur in Tschechien, sondern auch im Ausland leben, ist es durch die Corona-Krise schlicht unmöglich, sich persönlich zu treffen. Moderne Kommunikationstechnologien schaffen da nur bedingt Abhilfe.
„Wir sind jetzt in der Phase, in der wir uns schon entschieden haben, dass wir den Besuch verschieben. Meine Mutti kommt meist nach Prag, um auch den anderen Teil der Familie zu sehen, also meinen Bruder und ihre Enkelkinder. Das haben wir nun auf den Januar verschoben. Hoffentlich auf den Januar!“
Im Gespräch mit Radio Prag International gibt sich Karolína optimistisch. Die 41-Jährige ist die Tochter eines Tschechen und einer Deutschen. Während ihr Vater wie sie in Prag lebt und sie an Weihnachten zusammen sein können, wird Mutter Brigitte diesmal auf den traditionellen Tschechien-Besuch verzichten müssen und in Berlin bleiben. Das ist nicht das erste Familienfest, dem die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung macht:
„Die Corona-Krise hat ja nun schon fast das ganze Jahr beeinflusst. Konkret für mich und meine Mutter war es problematisch, weil sie in der ersten Welle ihren 70. Geburtstag feiern wollte. Das ging leider nicht. Wir haben uns das letzte Mal im August gesehen und ein bisschen nachgefeiert. Seitdem gab es aber kein Treffen mehr. Lange dachten wir, dass wir wenigstens Weihnachten zusammen sein könnten.“
Das haben viele Menschen gehofft, die Familienangehörige im Ausland haben. Auch Kevin hat wegen der Corona-Krise bereits ein wichtiges Familienjubiläum verpasst. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erzählte er:
„Meine Mutter ist in diesem Jahr 60 geworden, aber wir konnten nicht dabei sein.“
Der junge Physiker stammt aus Australien und lebt frisch verheiratet mit der Tschechin Vendula in Ostrava / Ostrau. Normalerweise sei er ein gemütlicher Typ, bestätigt Vendula. Weil er jedoch seine Familie nun schon mehrere Monate lang nicht mehr besuchen konnte, sei er merkbar traurig:
„Am meisten fehlt Kevin das Essen und das Zusammensein bei den Mahlzeiten. In seiner Kultur ist das fast eine heilige Angelegenheit.“
Kevin und seine Verwandten schicken sich gegenseitig übers Handy viele Fotos zu. Außerdem sehen sie sich einmal pro Woche zum Gespräch am Computer. Auch Karolína und Brigitte sind Skype-erprobt. Zu Heiligabend wollen sie sich ebenfalls per Videotelefonie in Verbindung setzen. Die modernen Kommunikationstechnologien helfen getrennten Familien, besser über die Feiertage zu kommen, bestätigt die Ostrauer Psychologin Ludmila Mrkvicová gegenüber dem Tschechischen Rundfunk:
„Das ist ein großer Vorteil. Die Menschen hören sich nicht nur, sondern sehen sich auch. Aber das Wichtigste im Leben sind Berührungen und Umarmungen. Da das jetzt aber nicht möglich ist, hat das Skypen, bei dem man sich also auch sehen kann, eine sehr große Bedeutung bekommen.“
Das betrifft nicht nur Familien, die über mehrere Länder verstreut leben. Auch allen Tschechen, deren Angehörige womöglich ganz in der Nähe wohnen, werden Kontaktbeschränkungen und Feierlichkeiten im kleinsten Kreise nahegelegt. Wenn nun Weihnachten in der Corona-Krise nicht den geläufigen Vorstellungen entspricht und sich Frustration breitmacht, empfiehlt Psychologin Mrkvicová positives Denken und Freude an den Kleinigkeiten im Alltag:
„Jederlei Einschränkung hat eine Wirkung auf uns. Die Psyche ist unglaublich wichtig für die Gesundheit des Menschen. Wer negativ eingestellt ist, hat eine geringere Immunität. Auch Stress verringert die Abwehrkraft.“
Und das wäre gerade bei dem hochansteckenden Coronavirus nicht wünschenswert. Kevin zum Beispiel schöpft Kraft aus seiner christlichen Erziehung. Seine Familie hat ihre Wurzeln in Malaysia und pflegt traditionell sehr starke Bindungen. Diese Motivation überträgt sich in schweren Zeiten auch auf seine Frau Vendula:
„Er hat ein echtes Bewusstsein dafür, was diese Pandemie bedeutet. Außerdem hat er eine größere Disziplin, die Regierungsanordnungen und ausgerufenen Maßnahmen einzuhalten.“
Informationen sind nicht immer eindeutig
Karolína und Brigitte finden sich nun auch mit den Einschränkungen ab. Der Entschluss, sich nicht gegenseitig zu besuchen, fiel relativ kurzfristig in der vergangenen Woche. Bis dahin haben beide intensiv die aktuellen Entwicklungen verfolgt, Preise für Corona-Tests verglichen und sich über die Reisebedingungen informiert. Die Tochter erzählt:
„Ich habe mir einerseits die Webseite der Deutschen Botschaft angeschaut. Dort stehen die meisten Informationen zur Verfügung – auch für Tschechen, die nach Deutschland reisen. Außerdem habe ich verschiedene Webseiten genutzt, etwa die des tschechischen Gesundheitsministeriums. Es ist aber nicht immer einfach, verlässliche Informationen zu finden. Auch weil sich die Situation ständig ändert. Das betrifft vor allem die tschechische Seite. Auf der deutschen Seite war die Entwicklung etwas langsamer, klarer und vorausschaubar. Hier in Tschechien hat sich vieles oft in wenigen Tagen geändert.“
Bei ihrer Entscheidung war nicht unbedingt die Tatsache ausschlaggebend, dass ihre Mutter ebenso wie ihr Vater Jiří vom Alter her in die Corona-Risikogruppe fallen. Letztlich verhindern der finanzielle und gesundheits-bürokratische Aufwand das Treffen der ganzen Familie, sagt Karolína:
„Natürlich wäre es irgendwie machbar gewesen, durch die Absolvierung von Corona-Tests. Aber der Test ist nicht gerade preiswert, und das spielt eben auch eine Rolle. Wir hatten überlegt, dass ich Mama in Berlin abholen und dann auch zurückfahren würde. Dafür hätten wir beide einen Test gebraucht.“
Immerhin gibt es in den Berliner Hygienebestimmungen eine Ausnahmeregelung, nach der Verwandte ersten Grades für 72 Stunden ohne Test- oder Quarantänepflicht aus dem Ausland einreisen können. Auch diese Möglichkeit hat Karolína erwogen:
„Ich habe jetzt noch erfahren, dass es eine neue Information gibt, nach der Familienmitglieder ersten Grades ohne Test oder Quarantäne nach Deutschland fahren können. Da habe ich noch einmal überlegt, vielleicht doch nach Berlin zu fahren. Aber ich müsste den Test trotzdem machen, wenn ich nach Tschechien zurückkomme.“
Große Belastung vor allem für junge Menschen
In Tschechien ist ein PCR-Test für alle Ein- oder Rückreisenden verpflichtend, die sich länger als zwölf Stunden in einem Land aufgehalten haben, das als Corona-Risikogebiet gilt. Nach Erkenntnissen des Ostrauer Soziologen Lubor Hruška treffen die Reisebeschränkungen jüngere Menschen zwischen 20 und 30 Jahre am härtesten:
„Diese Generation aus den Großstädten hat dank ihrer Bildung und der Reisefreiheit inzwischen eine ganz andere Erwartungshaltung. Darum sind die Auswirkungen jetzt für sie schlimmer. Auch eine mögliche Quarantäne können sie schwerer ertragen. Sie haben zwar die sozialen Netzwerke, Streamingdienste wie Netflix und können mit der ganzen Welt kommunizieren. Aber allein die Tatsache, dass sie die Wohnung nicht verlassen dürfen und gemeinsam einsam bleiben, ist für sie sehr belastend.“
Karolína kann das in gewisser Weise bestätigen:
„Für mich ist es auch eine Einschränkung, die ich wirklich fühle. Ich war im Juli das letzte Mal in Berlin. Normalerweise bin ich es gewohnt, dort drei- oder viermal im Jahr hinzufahren. Berlin ist eigentlich nicht weit entfernt, aber trotzdem ist es jetzt weit weg.“
Auch ihre Mutter Brigitte ist sehr agil und viel unterwegs. Stärker als die fehlende Reisefreiheit belastet sie aber, die Kinder und Enkel nicht persönlich treffen zu können. Noch einmal Karolína:
„Ich glaube, es geht dabei nicht so sehr um das Reisen, sondern vielmehr um den Kontakt mit der Familie. Das betrifft die ganze Familie, aber besonders mich. Denn wenn meine Mutter nach Prag kommt, ist sie dann immer bei mir. Wir haben einen engen Kontakt. Das ganze Jahr über war er schon geringer als sonst. Und das fehlt eben doch. Zumal Mama alleine lebt.“
Auch Vendula und Kevin hatten sich ihr gemeinsames Leben eigentlich ganz anders vorgestellt, als es sich im Moment gestaltet, so die junge Ehefrau:
„So etwas wäre uns nicht eingefallen. Wir dachten, dass wir reisen und unsere Familien und Verwandten auf der ganzen Welt besuchen werden. Jetzt ist es genau das Gegenteil. Was uns aber hilft, ist das Wissen, dass es nicht nur uns betrifft. Es gibt viele Familien wie die unsere. Wir sitzen alle, auf der ganzen Welt, in einem Boot.“
Dieser Gedanke dürfte vielen getrennten Familien, dies- und jenseits der Grenze, über dieses besondere Weihnachten hinweghelfen. Zumal es ein besinnliches Fest und Gelegenheit zur Reflektion sein sollte. Sowohl Psychologin Mrkvicová als auch Soziologe Hruška stimmen darin überein, dass die Corona-Krise auch zu etwas gut sein sollte. Sie könne die Menschen stärken und sie lehren, Hindernisse zu überwinden. Ähnlich sieht es Karolína:
„Ich hoffe, das nächste Jahr wird sich in eine gute Richtung entwickeln. Die Krise wird hoffentlich einiges im Denken der Menschen ändern. Ich sehe das als eine Möglichkeit zum Wandel.“