Vorreiter Prag: Logistik-Zentrum für Cargo-E-Bikes mehrerer Firmen gestartet
Bei der Elektromobilität liegt Tschechien im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern noch weit zurück. Doch selbst in Deutschland ist man auf ein Logistik-Projekt in Prag aufmerksam geworden. Es handelt sich um ein Zentrum für sogenannte Cargo-E-Bikes. Das Besondere daran ist, dass es gleich von sieben großen Firmen genutzt wird.
Wer zum Beispiel auf der Autobahn D5 aus Bayern in Richtung Prag fährt, dem dürfte aufgefallen sein, dass an einigen Stellen immer wieder große Hallen an den Seiten stehen. Das sind Logistikzentren für ganz Mitteleuropa, denn Tschechien ist ein beliebter Ort dafür. Die Lkws rollen dann von hier auch zum Beispiel nach Deutschland. So funktioniert das klassische Lieferkonzept.
Die Stadt Prag zeigt aber, dass es ebenso ohne Autos und die ganzen Abgase geht. Ende vergangenen Jahres wurde nämlich nahe des Busbahnhofs Florenc das sogenannte Depot.Bike eröffnet. Dort kommen die Lastwagen an, aber die Güter werden auf Cargo-E-Bikes umgeladen. Emissionsfrei wird die Ware dann zum Kunden gefahren. Jakub Ditrich hat dieses erste tschechische Lastrad-Logistikzentrum entworfen. In einem Interview für die Wissenschaftssendung des Tschechischen Rundfunks erläuterte er die Umstände der Entstehung:
„Das Lastrad-Depot war ein spontaner Einfall zu einer Sache, die die Stadt Prag ohnehin wollte. Vielleicht hätte die Umsetzung aber etwas länger gedauert. Der Stadtrat hat nämlich im Juni vergangenen Jahres entschieden, dass ein Logistikzentrum für Cargo-E-Bikes in Prag entstehen soll. Leider sah es aber danach aus, als ob es irgendwann einmal oder auch vielleicht nie dazu kommen würde. Deswegen habe ich mich der Sache angenommen, und im November wurde das Depot dann eröffnet.“
Entlastung für die Innenstadt
Jakub Ditrich ist in Tschechien ein Neuerer im Bereich der Elektromobilität und betreibt einen Handel mit E-Bikes. Beim Cargo-Zentrum geht es vor allem darum, dass die ohnehin schon überfüllte Prager Innenstadt geschont wird.
„Ein Lieferwagen ist so groß wie vier Last-Fahrräder. Natürlich bietet er auch mehr Verstauraum. Außer vor Weihnachten sind die Lieferwagen jedoch meist halbleer unterwegs. Die Cargo-E-Bikes sind außerdem viel schneller. Das heißt, sie bringen ein Päckchen innerhalb von drei Minuten zum Empfänger im Prager Stadtzentrum, wohingegen der Lieferwagen etwa zehn Minuten braucht. Denn er muss erst noch parken und das Paket umladen. Bei der Zustellgeschwindigkeit liegen hier also Welten zwischen beiden Möglichkeiten“, so Ditrich.
Und ein weiterer Grund: Der Prager Magistrat erwägt schon seit längerer Zeit, das historische Zentrum endgültig vom Autoverkehr zu befreien. Noch ist der Beschluss nicht gefallen. Aber er könnte irgendwann kommen, und dann muss die Belieferung von Geschäften irgendwie gewährleistet werden.
Nicht nur im tschechischen Maßstab ist daher das Cargo-Zentrum ein neuer Ansatz. Denn gleich sieben Firmen teilen sich diesen Verladeplatz am Rand der Innenstadt. Dies sind internationale Paketzusteller wie DHL Express, DPD, GLS, Messenger oder Dachser, aber auch nationale Größen wie PPL oder der Internethändler Rohlík.cz. Jakub Ditrich:
„Dass das überhaupt funktioniert, halte ich für eine tolle Sache. Denn es gab zuvor keine Erfahrungen mit einem ähnlichen Projekt. Natürlich bestehen anderswo in Europa bereits Logistikzentren für Cargo-E-Bikes. Aber ein solch großes Zentrum mit so vielen Beteiligten ist einzigartig auf dem Kontinent. Ein bisschen hatten wir Angst, dass es zu Animositäten zwischen den einzelnen Kurierdiensten kommen könnte. Doch alles klappt bisher prima.“
Und nicht nur das: Nach nur zwei Monaten denken die Betreiber bereits über eine Expansion nach…
„Das Zentrum läuft derzeit noch im Testbetrieb. Wir und die anderen Beteiligten haben uns auf sechs Monate geeinigt, nach deren Ablauf wir den Betrieb auswerten wollen. Dazu kommt es irgendwann im April oder Mai. Aber schon jetzt scheint es, dass das bestehende Depot zu klein ist für die große Zahl an Interessenten und ihre Cargo-E-Bikes. Deswegen wird derzeit nach einem weiteren Ort in Prag gesucht. Das heißt, die Hoffnung besteht, in diesem Jahr nicht nur dieses Zentrum im Normalbetrieb weiterlaufen zu lassen, sondern noch ein zweites aufzubauen. Dies wird wohl auf der anderen Seite der Moldau angesiedelt sein, um einen weiteren Teil des Stadtzentrums bedienen zu können“, sagte der begeisterte E-Bike-Fan.
Firmen stehen Schlange – Expansion geplant
Jakub Ditrich rechnet vor, dass in den ersten zwei Monaten Betrieb die Cargo-E-Bikes zusammen 4500 Kilometer Strecke zurückgelegt haben. Dabei seien rund 7500 Lieferungen zu den Kunden gebracht worden, so der Initiator des Zentrums:
„Die Reaktionen der Paketzusteller sind alle positiv. Dass wir bisher nur im Testbetrieb laufen, ermöglicht den Firmen, bei Bedarf den Vertrag schnell aufkündigen zu können. Das hat aber niemand vor. Stattdessen haben vier weitere Firmen, die mitmachen wollen, für die wir aber derzeit keinen Platz haben. Deswegen suchen wir eben nach einem weiteren Ort.“
Dabei sind die Betreiber auch von der Stadt Prag abhängig, aber längst nicht so sehr wie vergleichbare Logistikzentren in anderen europäischen Großstädten.
„Die Stadt hat das Grundstück an uns verliehen und eine entsprechende Infrastruktur drum herum geschaffen. Das ist das absolute Minimum dessen, was ein Projekt dieser Art an Unterstützung von der Kommune braucht. Die meisten anderen Zentren in Europa, die ich kenne, wie etwa in Berlin oder in Helsinki, werden entweder komplett durch EU-Gelder finanziert oder von der Stadt respektive im Fall Deutschlands auch vom Umweltministerium. Im Vergleich dazu sind wir in Prag sehr bescheiden, finde ich. Denn die beteiligten Firmen finanzieren unseren Betrieb mit. Für die Stadt bedeutet dies, dass sie mit vergleichsweise wenig Aufwand ein erfolgreiches Projekt unterstützt. Denn das beweisen die genannten 7500 Lieferungen, die komplett emissionsfrei vonstattengegangen sind“, erläutert Jakub Ditrich.
Natürlich werden auch weiter Lieferwagen ins Prager Stadtzentrum fahren. Laut Verkehrsstadtrat Adam Scheinherr lassen sich aber 32 Prozent der bisherigen Zustellungen eben mit Lastfahrrädern erledigen.
Mittlerweile ist man nicht zuletzt auch in Deutschland hellhörig geworden, wie Ditrich mit etwas Stolz sagt:
„Wir haben die Nachricht über den Betrieb des Bike-Depots unter anderem nach Deutschland, Österreich, Belgien und in die Niederlande geschickt. In diesen Ländern gibt es viele Aktionen rund um die Cargo-E-Bikes. Alle haben dann etwas ungläubig geschaut, was da aus Prag kommt – also aus einer Stadt, über die in Zusammenhang mit dem Fahrradverkehr nicht gerade viel geredet wird. Weitere Städte haben mich in Mails darüber ausgefragt, wie das alles funktioniert, und wollen etwas Ähnliches einrichten. Die Sache wird also ganz klar positiv bewertet. Und Prag kann in diesem Bereich einen bisschen PR sicher gut gebrauchen.“
Aber auch andere Kommunen hierzulande nehmen sich ein Beispiel an dem Logistikzentrum. So plant Brno / Brünn als zweitgrößte tschechische Stadt wohl im Frühling bereits die Eröffnung eines vergleichbaren Depots.