Die Unternehmerfamilie Schicht und ihre Villa in Ústí nad Labem
Die Schicht-Werke waren eines der größten Industrieunternehmen im nordböhmischen Ústí nad Labem / Aussig. Heinrich Schicht, der Enkelsohn des Firmagründers, ließ sich in den 1920er Jahren im Stadtteil Vaňov / Wanow eine prunkvolle Villa in ruhiger Lage bauen. Das Anwesen wurde 2005 an den tschechischen Staat übertragen. Seitdem stand das geräumige Gebäude, das an ein Schloss erinnert, leer. Vergangene Woche wurde die Villa in einer Auktion verkauft.
Den Namen Schicht kannten hierzulande einige Generationen sehr gut. Das Renommee des Seifenherstellers ist mit dem Ruf der Schuhfabrik Baťa zu vergleichen. Auf die Marke mit dem Hirsch konnten sich die Menschen in Böhmen, Mähren und der späteren Tschechoslowakei Jahrzehnte lang verlassen. Die Schicht-Werke produzierten nicht nur Drogerieartikel und Kosmetik, sondern auch Lebensmittel. Heinrich Schicht, der von 1880 bis 1959 lebte und einst in der geräumigen Villa mit Aussicht auf die Burg Schreckenstein wohnte, war der Enkelsohn des Fabrikgründers. Er übernahm sie 1907. Václav Houfek ist der Direktor des Museums in Ústí nach Labem / Aussig:
„Die Firma Schicht erreichte einen Durchbruch im Bereich der Industrieproduktion von Drogeriewaren. Es handelte sich nicht nur um die berühmte Seife und Waschmittel, sondern auch um Lebensmittel wie die Obstsäfte Ceres. Denselben Namen trugen bald auch Margarine und Fette. Zudem wurde in den Werken Luxuskosmetik der Marke Elida hergestellt. Damit wurde die Firma Schicht zu einem der größten Produzenten von Drogerieartikeln und Lebensmitteln in Europa.“
Mitbegründer von Unilever
Nur zwei Konzerne waren in der Lage, den Schicht-Werken zu konkurrieren: einer in den Niederlanden und ein anderer in Großbritannien, erzählt der Museumsdirektor:
„Ende der 1920er Jahre gründete Heinrich Schichts Bruder Georg ein Konsortium. Dies führte zur Entstehung des Konzerns Unilever, des größten europäischen Produzenten von Margarine. Georg Schicht leitete den Konzern seit der Gründung mehr als 20 Jahre lang. Bis heute gehört Unilever zu den größten Firmen dieser Art überhaupt und beschäftigt Hunderttausende Menschen in vielen Ländern der Welt.“
Wann genau Heinrich Schicht in die geräumige Villa in Vaňov übersiedelte, ist dem Museumsdirektor zufolge schwer zu sagen:
„Die Villa in ihrer heutigen Form wurde vom Architekt Paul Brockardt gestaltet. Er arbeitete nicht nur für Familie Schicht, sondern baute in Ústí auch Häuser für die Industriellen Petschek und Weinmann.“
Heinrich Schicht stand bis 1945 an der Spitze der Firma. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er gezwungen, mit seiner Familie die Tschechoslowakei zu verlassen. Er ließ sich in der Schweiz nieder. Sein Bruder Georg zog schon Ende der 1920er Jahre nach London.
„Georg Schicht nahm 1939 die britische Staatsbürgerschaft an. Er unterstützte die tschechoslowakische Exilregierung in London. Heinrich Schicht, der noch in Ústí geblieben war, hatte die deutsche Staatsangehörigkeit. Deswegen betrafen ihn nach dem Kriegsende die Beneš-Dekrete über die Beschlagnahmung des deutschen Eigentums. Das bezog sich auf den Privatbesitz der Familie. Die Schicht-Werke, die zum britischen Konzern Unilever gehörten, wurden aufgrund der Dekrete über die Verstaatlichung der Schwerindustrie verstaatlicht.“
Kurz nach dem Kriegsende konfiszierte der tschechoslowakische Staat auch die Villa, die Heinrich Schicht gehörte.
„Die Villa war mit sehr wertvollen historischen Möbeln eingerichtet. Die Schichts waren große Kunstmäzenen und Sammler. In ihrem Haus befanden sich zahlreiche Kunstgegenstände. Der Großteil der Werke aus dem Privatbesitz der Familie Schicht befindet sich heute in der Nationalgalerie und im Prager Kunstgewerbemuseum. Einiges wird in unserem Museum aufbewahrt. Aber eine Reihe Gemälde und anderer Gegenstände wurde damals an verschiedene Staatsunternehmen weitergegeben. Im Laufe der Zeit sind diese Sachen leider verlorengegangen.“
Luxusunterkunft für Studenten
Heinrich Schichts Villa diente Houfek zufolge schon in den 1960er und 1970er Jahren als Wohnheim für Studenten der pädagogischen Fakultät in Ústí. Es sei eigentlich eine Luxusunterkunft gewesen, schmunzelt der Museumsdirektor:
„Das Interieur der Villa ist natürlich nach den vielen Jahren abgenutzt. Die Hochschule und später die Universität haben das Haus aber einigermaßen in Stand gehalten. Das ganze Areal ist recht groß, auf dem Gelände befinden sich noch einige Wirtschaftsgebäude. Die Villa selbst ist ein Luxusanwesen. Als Mitarbeiter des Museums haben wir in Zusammenarbeit mit der zuständigen staatlichen Behörde den Zustand der Immobilie vor deren Übergabe an den neuen Besitzer dokumentiert. Wir haben verhältnismäßig präzise Protokolle darüber zusammengestellt, wie die Villa aktuell aussieht. Anhand historischer Fotografien konnten wir den heutigen Stand mit dem damaligen vergleichen und die notwendigen Schritte zur Restaurierung des Hauses vorschlagen.“
Seit 2014 gilt Heinrich Schichts Villa als Kulturdenkmal. Diese Tatsache stelle eine besondere Verantwortung für den neuen Besitzer dar, sagt Houfek:
„Er muss dies bei der Nutzung des Gebäudes berücksichtigen. Der Charakter der Villa als Kulturdenkmal muss aufrechterhalten werden. Dem Kaufvertrag, der soeben zusammengestellt wird, muss das Kulturministerium zustimmen.“
Vor knapp zwei Jahren wurde im Museum in Ústí nad Labem eine große Ausstellung über die Schicht-Werke und deren Geschichte eröffnet. An der Vernissage nahmen damals Mitglieder der Familie Schicht teil, die aus verschiedenen Ländern der Welt nach Nordböhmen gekommen waren. Der Museumsdirektor:
„Die Familie ist weit verzweigt. Ihre Mitglieder leben in den USA, Großbritannien, in der Schweiz, in Brasilien und in weiteren Ländern. Dank des Eigentums, das die Schichts im Ausland hatten, konnte sich die Familie an der Entwicklung des Konzerns Unilever und anderer ihrer Firmen beteiligen. Ein bedeutender Teil der Familie gehört zur ökonomischen Elite Europas. In den 1990er Jahren gab es Überlegungen, das Chemieunternehmen Setuza in Ústí dem Konzern Unilever anzugliedern. Es wurde jedoch keine Vereinbarung zwischen der tschechischen Regierung und dem Konzern geschlossen. Das finde ich schade. Denn der Sitz des Konzerns Unilever für Osteuropa befindet sich in Hamburg. Er hätte dann vielleicht in Ústí sein können. Das hätte der wirtschaftlichen Lage der Stadt und ihrer Chemieindustrie Hoffnung gegeben.“
Der Museumsdirektor erinnert daran, dass es eine weitere Villa der Unternehmer Schicht gibt. Diese ließ Heinrichs Bruder Georg in den Jahren 1913 und 1914 in Roztoky / Rongstock, das zu Povrly / Pömerle gehört, bauen. Auch dieses Gebäude wurde nach einem Entwurf von Architekt Paul Brockardt gestaltet. Georg Schicht nutzte das Haus bis 1929, bevor er nach London zog.
„Die Villa ist ein wenig herunterkommen. Nach dem Kriegsende diente sie dem Ort als Wohnhaus. Heute beherbergt sie Menschen, die unter schwierigen sozialen Bedingungen leben. Das Anwesen ist kleiner als die Villa von Heinrich Schicht. Die Brüder hatten unterschiedliche Aufgaben. Heinrich verwaltete die Firmen und Handelsgesellschaften der Familie Schicht. Georg vertrat die Familie beim Konzern Unilever, der das größte multinationale Projekt ist, an dem die Schichts beteiligt waren.“