DFC Prag: Europas Top-Club der Vor- und Zwischenkriegsjahre wird 125
Wenn man in Tschechien über eine lange und erfolgreiche Fußballära spricht, dann werden stets in einem Atemzug die Namen der beiden Traditionsvereine Slavia Prag und Sparta Prag genannt. Doch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es in den damaligen böhmischen Ländern noch einen dritten großen Verein: den Deutschen Fußballclub Prag, kurz: DFC Prag. Dieser Verein, der zwischenzeitlich aufgelöst wurde, feiert am Freitag den 125. Jahrestag seiner Gründung.
Der DFC Prag lebt! Der ehemals populäre deutsch-jüdische Verein hatte sich 1939 selbst aufgelöst. Damit hatte man auf die Besetzung der Tschechoslowakei durch das NS-Regime reagiert. Vor fünf Jahren haben Deutsche und Tschechen den DFC Prag dann aber erneut ins Leben gerufen. Der wiedergegründete Club hat sich vorerst ganz auf den Kinder- und Jugendfußball ausgerichtet. Zu den rund 40 jungen Kickern zählt auch der zehnjährige Mateo Sturm.
Mateo, was weißt du über den DFC Prag?
„Ich weiß, dass dieser Fußballclub schon 125 Jahre alt ist, und er hat einmal gegen Bayern 8:0 gewonnen.“
Fußballbegeisterte Ruderer gründen den DFC Prag
In der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg gehörte der DFC Prag tatsächlich zu den renommiertesten Vereinen in Mitteleuropa. Damals war auch der heutige deutsche Rekordmeister gegen ihn chancenlos. Der DFC wurde am 28. Mai 1896 in Prag gegründet. Seine Anfänge gehen indes noch einige Jahre weiter zurück, schildert der Vorstand für Geschichte & Werte des erneuerten DFC, Thomas Oellermann:
„Es gab seinerzeit eine gewisse Begeisterung für diesen relativ neuen Sport. Und im Falle des DFC sind es ursprünglich Ruderer des Prager Klubs Regatta, die sich zusehends für diesen neuen Sport interessieren, der von der britischen Insel auf das europäische Festland herüberschwappt. Diese Ruderer bestreiten bereits 1893 ein Spiel gegen die Mannschaft des Schlosses in Loučeň. Das Spiel wird ausgetragen auf der Prager Insel Kaiserwiese. Diese Begegnung war höchstwahrscheinlich auch das allererste Fußballspiel in den Ländern der böhmischen Krone.“
Und drei Jahre später haben dann diese fußballbegeisterten Ruderer den DFC in der Prager Innenstadt im Saal des Hilfsvereins für deutsche Reichsangehörige gegründet. Der Ort war nicht zufällig gewählt worden, ergänzt Oellermann:
„Der DFC ist eine Gründung von bürgerlichen jüdischen Kreisen, die sich zur deutsch-nationalen Zugehörigkeit bekannten. Sie nannten den Verein deswegen auch Deutscher Fußballclub und richteten ihre Blicke vor allem nach Deutschland. Daher schloss sich der Club später auch dem Deutschen Fußball Bund an und nahm an der ersten deutschen Fußballmeisterschaft teil. Dieser Verein wollte also schon ein bestimmtes nationales Selbstverständnis ausdrücken in dieser Stadt, in der es schließlich zu dieser Zeit auch gewisse Reibungen gab zwischen den unterschiedlichen Nationen.“
Im aufstrebenden Fußball kamen diese kleinen Reibereien am offensichtlichsten auf der Letná-Höhe der Moldaustadt zum Tragen, denn in diesem Stadtteil hatten die drei großen Prager Vereine unmittelbar nebeneinander ihre Spielstätten errichtet. Und die Differenzen waren groß innerhalb dieses Trios, weiß der Fußballhistoriker Lubomír Král:
„Die sportliche Rivalität zwischen dem DFC und Slavia konnte zunächst nicht funktionieren, denn eines Tages kam es zu einem handfesten Streit, nachdem ein Klubhaus abbrannte und man sich gegenseitig verdächtigte. Und Sparta konnte sich damals noch nicht mit dem DFC messen, dazu war der Kader zu schwach. Sparta entwickelte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg zu einem gleichwertigen Kontrahenten.“
Internationale Ausrichtung ist großes Plus des deutsch-jüdischen Vereins
Der große Vorteil des DFC um die Jahrhundertwende war seine internationale Ausrichtung, dank der er seiner Zeit voraus war, sagt Král:
„Der DFC war schon vor dem Ersten Weltkrieg ein eindeutig internationaler Club. In gewisser Weise waren die Spieler bereits Profis, auch wenn der Professionalismus noch nicht offiziell anerkannt war. In der Mannschaft aber standen Spieler aus Ungarn, der Ukraine und aus Russland. Größere Gruppen waren Österreicher und Deutsche, aber auch ein Rumäne und zwei Engländer kickten für den Verein. Der Kader setzte sich also aus Spielern mehrerer Nationen zusammen.“
Aufgrund seiner internationalen Mischung war es für den DFC auch ein leichtes, viele Kontakte im europäischen Ausland zu knüpfen. Und davon profitierten schließlich auch die Vereine aus der direkten Nachbarschaft, so Král:
„Auch wenn Slavia, Sparta und der DFC in bestimmter Hinsicht Rivalen waren und sich nicht sonderlich mochten, so besuchten sie doch gern die Heimspiele des jeweils anderen Clubs. Wenn der DFC folglich Teams aus Deutschland, England oder Österreich zu Gast hatte, dann kamen selbstverständlich auch die tschechischen Zuschauer zu diesen Spielen, und umgekehrt genauso.“
Daraus entwickelte sich zwischen dem DFC und Slavia letzten Endes eine Art Partnerschaft, denn beide Vereine vermittelten sich beiderseitig ihre Gegner. Kamen die Mannschaften von der Insel oder aus Festlandeuropa an die Moldau, dann traten sie in der Regel je zweimal gegen beide Prager Teams an.
DFC stellt ersten DFB-Präsidenten und ist Finalist der ersten deutschen Meisterschaft
Von 1900 bis 1903 aber war der DFC noch ziemlich stark auf der deutschen Schiene unterwegs. Im Jahr 1900 gehörten die Prager nämlich zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Fußball Bundes und stellten mit dem Uniprofessor Ferdinand Hueppe sogar den ersten DFB-Präsidenten. 1903 war der DFC Prag einer von sechs Vereinen, der an der ersten deutschen Meisterschaft teilnahm. Auf etwas kuriose Weise kamen die Prager sogar ins Endspiel, verloren dieses aber am 31. Mai 1903 in Altona (heute ein Stadtteil von Hamburg) gegen den VfB Leipzig mit 2:7. Es blieb die einzige Teilnahme, denn nach dem Beitritt des DFB zur Fifa gab es diese Möglichkeit nicht mehr, bemerkt Oellermann:
„Die Fifa – damals zwar noch ein recht junger, aber schon sehr handlungswilliger Verband – beschloss, dass Mannschaften nur noch an den Meisterschaften jener Länder teilnehmen durften, in denen sie ihren Sitz haben. Das bedeutete de facto, dass der DFC eben nicht mehr an der deutschen Meisterschaft teilnehmen durfte, sondern nur noch an der Meisterschaft Österreichs. Bis zum Ersten Weltkrieg hat der DFC folglich in österreichischen Wettbewerben mitgespielt.“
Durch den Ausschluss aus dem DFB schied auch Präsident Hueppe aus dem Verband aus. Zu seinem Nachfolger wurde Friedrich Wilhelm Nohe vom Karlsruher FV gewählt. Dennoch hat das Mitwirken der Prager an der Gründung des DFB und die Teilnahme an der ersten deutschen Meisterschaft bis heute Gewicht, betont Oellermann:
„Wenn wir schauen, in welchen Jahren es noch einmal Vereine in das deutsche Finale geschafft haben, die nicht im Deutschen Reich beheimatet waren, dann sind wir ganz schnell in den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Zu jener Zeit ist es drei Wiener Vereinen gelungen, in das deutsche Finale vorzustoßen. Doch dies kam unter ganz anderen Vorzeichen zustande, denn es war ein Resultat nationalsozialistischer Annexionspolitik, nämlich der Anschluss Österreichs. Von daher muss ich sagen, dass das allererste Finale 1903 mit dem DFC Prag als Teilnehmer eine aus heutiger Sicht geradezu schöne Geschichte ist.“
Ohne den Fifa-Beschluss hätte sich der DFC womöglich noch nachhaltiger in die Geschichte der deutschen Meisterschaft eingetragen. Denn das Potenzial für große Titel hatten die Prager zu jener Zeit auf jeden Fall, bestätigt Oellermann:
„Der DFC ist in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg einer der stärksten Clubs in Kontinentaleuropa. Und dies hat dann auch zur Folge, dass er natürlich eine gewisse Finanzkraft hat. Dadurch ist er ein Club, der höchst interessant ist für exzellente Spieler und Trainer. Da kommt das eine zum anderen. Wenn wir folglich auf die Periode vom Jahrhundertbeginn bis zum Ersten Weltkrieg schauen, registrieren wir eine ganze Reihe wirklich guter Spieler und Trainer, die den DFC entscheidend mitgeprägt haben.“
Spieler des DFC bestreiten Länderspiele für die Tschechoslowakei
Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte der DFC Prag dann den Verbänden Nummer drei und vier in seiner Geschichte an, denn sein neues Domizil war die 1918 gegründete Tschechoslowakei. Jetzt unterstand er sowohl dem deutschen Fußballverband des neuen Landes als auch dem tschechoslowakischen Dachverband. Und er spielte weiter eine tragende Rolle, weiß Oellermann:
„Der Verein hat auch in der Ersten Republik seinen Platz gefunden, weil letztlich einige seiner besten Spieler Länderspiele für die Tschechoslowakei absolviert haben. Ich glaube, dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich finde, das gibt dem DFC von historischer Warte aus betrachtet eine unglaubliche Kraft. Und zwar infolge der Tatsache, dass Spieler des Deutschen Fußballclubs Prag Länderspiele für die Tschechoslowakei bestritten.“
Leider endet die Mitwirkung des DFC Prag am Fußball der Tschechoslowakei schon nach 20 Jahren:
„Im Zuge der großen Unruhen mit fast schon bürgerkriegsähnlichen Ausmaßen, die es im September 1938 im Sudetenland gegeben hat, zieht der DFC seine Mannschaft zurück und stellt den Spielbetrieb ein. Ein abschließendes Spiel fand in Košíře statt – es war dann für viele Jahrzehnte das letzte Spiel des DFC.“
Neubeginn nach 77 Jahren
Am 1. Juli 2016 haben Deutsche und Tschechen den DFC Prag erneut ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit drei deutschen Schulen in Prag konzentrierte sich der Verein zunächst auf den Trainings- und Spielbetrieb für Nachwuchsmannschaften. In den fünf Jahren seit der Neugründung konnte sich der Club dabei gut konsolidieren, und auch die über einjährige Corona-Pandemie hat ihn nicht von seinem Weg abgebracht, versichert der Vorstand für Finanzen & Marketing des Vereins, Hendrik Taulin:
„Vor dem Beginn der Pandemie hatte unser Verein drei Mannschaften im Punktspielbetrieb. Teilweise waren sie dort sehr erfolgreich. Natürlich hat Corona auch dafür gesorgt, dass eben manche Eltern ihren persönlichen Fokus zuletzt ein Stück weit auch auf andere Dinge gelegt haben. Nichtsdestotrotz haben wir keine wirklich großen Austritte zu verzeichnen, darüber bin ich sehr glücklich. Im Gegenteil, viele Mitglieder waren in der schweren Zeit eine Unterstützung, indem sie dem Verein die Treue gehalten haben. Denn am Endes des Tages gilt für uns alle dasselbe Motto: Wir alle wollen gerne nach der Bewältigung dieser Pandemie auf den Fußballplatz zurückkehren und uns gemeinsam treffen zum Sport beziehungsweise zum geselligen Vereinsleben, für welches wir in den letzten Jahren schließlich auch gesorgt haben.“