„Chaos und Schüsse“ – Botschafter Baloun über die Evakuierung aus Afghanistan

Tschechien hat in den vergangenen Tagen 170 Afghanen aus Kabul evakuiert. Es handelt sich um Dolmetscher, Ortskräfte und deren Familien, die nach der Machtübernahme der Taliban plötzlich in Lebensgefahr waren. Für den tschechischen Botschafter in Afghanistan, Jiří Baloun, bedeutete die Rettung der Mitarbeiter praktisch vier Tage ohne Schlaf. Der Diplomat beschrieb am Donnerstag in Prag gegenüber den Medien, wie die Evakuierung abgelaufen ist.

Jiří Baloun | Foto: Kateřina Šulová,  ČTK

Botschafter Jiří Baloun erklärte, mit den Evakuierungsarbeiten habe sein Team am Samstag begonnen:

„Kurz vor Mitternacht sind wir zum Flughafen gefahren. Meine Mitarbeiter kehrten in die Botschaft zurück, um ihre Sachen zu packen und das Material zu beseitigen, das vernichtet werden musste, damit es nicht in die Hände derer gerät, die in das Gebäude später eindringen würden.“

Der Botschafter wurde anschließend seinen Worten zufolge über die geplante Landung einer tschechischen Militärmaschine informiert, die sich bereits in Baku befand. Die Ortskräfte und ihre Familien seien aufgefordert worden, zum Flughafen zu kommen, so Baloun:

Foto:  Tschechische Armee

„Schließlich waren wir trotz der Probleme fast die ersten, denen es gelungen ist, die Ortskräfte durch das Tor auf den Flughafen zu bringen. Die Situation war  inzwischen schlimmer geworden, die Tore wurden dicht gemacht, aber in dem Moment waren unsere Leute schon auf dem Flughafen. Die Maschine konnte jedoch nicht gleich starten. Mit einer neunstündigen Verspätung verließ sie am Abend dann Kabul. Wir fühlten Erleichterung, dass die erste Gruppe der Evakuierten ausgeflogen wurde.“

Am Montag spitzte sich die Lage jedoch laut Baloun zu. Um den Flughafen herum versammelten sich Zehntausende von Menschen. Es herrschte Chaos, und der Flugplatz wurde gesperrt. Die zweite tschechische Maschine konnte vorerst nicht landen. Die Lage änderte sich dem Diplomaten zufolge erst in der Nacht:

Kabuler Flughafen | Foto: Shekib Rahmani,  ČTK/AP Photo

„Alle Systeme auf dem Flughafen waren wieder in Betrieb. Die Maschine konnte am Dienstagvormittag landen. Wir begannen in Zusammenarbeit mit dem Operationsstab der Armee, deren Mitarbeiter telefonisch zu kontaktieren. Unsere Leute erwarteten sie am Tor zum Flugplatz. Die Situation war jedoch komplizierter als zuvor, denn etwa 200 bis 300 Meter vor dem Flughafen waren schon überall die Taliban stationiert und kontrollierten jeden, der zum Flughafen wollte. Dank einer hervorragenden Arbeit unseres Teams direkt vor Ort gelang es uns, alle betreffenden Personen auf den Flugplatz zu bringen.“

Der Botschafter sei dem Management des Flughafens dankbar, dass es die tschechische Maschine etwas länger auf der Startbahn warten ließ, als es üblich war. Denn die Flugzeuge sollten sich dort eigentlich nicht lange aufhalten, um den Verkehr nicht zu blockieren.

Tschechische Maschine zurück in Prag | Foto: Vít Šimánek,  ČTK

„Wir sind etwa vier Stunden später als geplant gestartet, aber zu der Zeit waren alle Menschen, die wir auf der Liste hatten, an Bord. Auch ich bin mit dem Security-Team mitgeflogen. Es war geplant, dass mit einer weiteren Maschine neue Helfer nach Kabul kommen würden. Wir hatten schon den vierten Tag infolge fast nicht geschlafen,  da war es besser, ein neues Team zu entsenden. Genauso haben es auch andere Staaten gemacht. Wenn ich nun die ganze Operation bewerte – der Entwicklung in Afghanistan ungeachtet – bin ich der Meinung, dass sich Tschechien nicht schämen muss. Wir haben so  viele Menschen mitgenommen, wie wir imstande waren auszufliegen.“

General Baloun war am 1. Januar 2020 zum Botschafter in Afghanistan ernannt worden. Zuvor war er der stellvertretende Generalstabschef der Tschechischen Armee.

Autoren: Martina Schneibergová , Jiří Svatoš
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