Ein jüdisches Schicksal: Gymnasialprofessor und Esperantist Hugo Jokl
Hugo Jokl wurde 1891 in Pacov auf der Böhmisch-Mährischen Höhe geboren. Er war als Professor am tschechischen Gymnasium in Wien tätig. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er 1938 nach dem Anschluss Österreichs Wien verlassen. Doch nicht einmal in seiner böhmischen Heimat entging er der nationalsozialistischen Rassenverfolgung.
Ende Oktober wurde in der Kleinstadt Pacov / Patzau ein Denkmal für Hugo Jokl enthüllt. Es befindet sich in einem Park – und zwar an der Stelle, an der einst sein Geburtshaus stand. Das Denkmal geht auf eine Initiative von Jokls Tochter Věra Chudáčková zurück. Gegenüber Radio Prag International schildert sie:
„Mein Vater war ein sehr friedliebender Mensch, ein Pazifist. Und er war ein sehr gutherziger Mensch. Er unterrichtete hervorragend, hielt die Unterrichtsstunden aus dem Kopf, er brauchte kein Buch, kein Heft, einfach nichts. Er war sehr beliebt.“
Glückliche Jahre in Wien
Hugo Jokl stammte aus einer jüdischen Familie aus Pacov, verließ aber ziemlich früh seinen Geburtsort. Zunächst ging er an ein Gymnasium in Prag, später wechselte zum Studium nach Wien. Seine Tochter erzählt:
„Meine Großmutter kam aus einer berühmten jüdisch-orthodoxen Familie, den Kornfelds aus Golčův Jeníkov. Sie wünschte sich, dass ihr Sohn Rabbiner wird. Er ging ans theologische Seminar nach Wien, und nach dem Abschluss studierte er an der philosophischen Fakultät der dortigen Universität. Damals galt, dass Rabbiner eine Hochschulausbildung haben mussten.“
1920 promovierte Jokl an der Wiener Universität zum Doktor der Philosophie. Jedoch schlug er nicht den Weg eines Rabbiners ein:
„Er begann zu unterrichten und fand großes Gefallen daran. 1920 ging er ans Komenský-Gymnasium und blieb dort bis zum Anschluss Österreichs im Jahr 1938. Seine Unterrichtsfächer waren Tschechisch, Deutsch, Latein, Geschichte, Geographie und Esperanto.“
1929 heiratete Hugo eine Lehrerin der Komenský-Schule. 1932 kam ihr Sohn Evžen zur Welt, 1933 ihre Tochter Věra. Die Familie lebte zufrieden in der österreichischen Hauptstadt und beteiligte sich aktiv am Leben der dortigen Tschechen.
„Mein Vater hat auf die Jahre in Wien später immer wie auf eine glückliche Zeit zurückgeblickt, in der es ihm gut ging. Er war gern in Gesellschaft. Unsere Eltern waren Mitglieder des tschechischen Wandervereins und weiterer Vereine.“
Der Anschluss Österreichs im März 1938 bedeutete für Hugo Jokl eine tragische Wende im Leben. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er vom Komenský-Gymnasium entlassen. Unverzüglich entschloss er sich, in die Tschechoslowakei zu ziehen.
„Wir reisten nach Böhmen. Mein Vater hatte im Kopf, dass in Pacov seine Mutter lebte, die 84 Jahre alt war, und er sie schützen müsse.“
Nach dem Anschluss Österreichs
Ein Jahr lang lebte die Familie im Heimatort des Vaters, im Frühjahr zog sie nach Tábor um. Hugo Jokl durfte damals noch als Professor am dortigen Gymnasium unterrichten. Doch bald zog sich die Schlinge auch um die Tschechoslowakei zusammen:
„In Tábor hatten wir wieder eine Drei-Zimmer-Wohnung an der Hauptstraße, alles lief, wie es für einen Gymnasialprofessor passt. Ich ging in die erste Klasse, mein Bruder in die zweite. 1940 wurden wir drei, mein Vater, mein Bruder und ich, aus der Schule geschmissen, weil wir Juden waren. Der Vater gab noch kurze Zeit Privatstunden. Ab September 1941 mussten wir den David-Stern tragen und unsere Wohnung verlassen. Wir bekamen dann ein Zimmer in einer großen Wohnung im jüdischen Ghetto zugewiesen.“
Ihr Vater habe die Zeit, in der er von der Umgebung isoliert war, sehr schlecht ertragen, erinnert sich Věra Chudáčková. Im Herbst 1942 wurden die Juden aus Tábor ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Über 130 Menschen jüdischer Abstammung wurden damals aus der Stadt verschleppt. Auch Jokls Verwandte in Pacov, seine Brüder mit ihren Familien und sogar seine 86-jährige Mutter, mussten ins KZ Theresienstadt:
„Wir wussten nicht, was mit seinen Verwandten danach geschehen war. Im November 1942 wurden sie nach Theresienstadt deportiert. Im Januar 1943 erhielten wir eine deutschgeschriebene Postkarte aus Auschwitz-Birkenau. Wir hatten damals keine Ahnung, was dort geschah. Deswegen schickten wir Brot an die Adresse in Birkenau, das war erlaubt. Wir haben nicht gewusst, dass sie in den dortigen Gaskammern ermordet wurden und schon nicht mehr am Leben waren.“
Leben mit dem Davidstern in Tábor
Die Oma wurde aufgrund ihres Alters nicht ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht. Sie blieb in Theresienstadt und starb dort nach einem Jahr.
Nach dem Krieg habe ihr Vater nie mehr über seine Verwandten gesprochen, sagt Věra Chudáčková. Sie habe alles erst nach dessen Tod von ihrer Mutter erfahren.
Hugo Jokl und seine seine Kinder durften zunächst in Tábor bleiben, weil die Mutter, Milada Joklová, eine Christin war. Doch sie befürchteten jederzeit die Deportation – ihre Rucksäcke waren gepackt und die Bettrollen geschnürt. Während des Kriegs erlebten sie in Tábor mühselige Jahre. 1942 wurde auch Jokls Mutter als Lehrerin entlassen.
„Die Eltern blieben ohne Einkommen. Sie tauschten entweder Waren oder gaben ihre Ersparnisse aus. Sie sagten immer, ich hätte die Gelder als Mitgift bekommen sollen. So ging es bis zum Kriegsende.“
Juden erhielten im Protektorat nur die Hälfte der Lebensmittelmarken gegenüber anderen. Sie durften nicht auf die Hauptstraßen der Städte gehen, der Besuch von Theatern, Kinos, Parks, Cafés, Restaurants und Geschäften war ihnen verboten. Auf den Ämtern gab es Sonderöffnungszeiten fürs sie. Auch öffentliche Verkehrsmittel waren für sie verboten.
Tábor sei eine alte Stadt mit engen Gassen. Durch diese Gassen sei sie zum alten jüdischen Friedhof gegangen und habe dort nur mit ihrem Bruder gespielt, sagt Věra Chudáčková. Sie schildert ein besonderes Erlebnis, das für sie von großer Bedeutung war:
„1943 kamen tschechische Steinmetze, um den Friedhof zu liquidieren und die Grabsteine wegzubringen. Diese Männer, etwa 50 Jahre alt, unterhielten sich mit mir. Man muss dazu wissen, dass ich absolut isoliert lebte. Wir haben uns nur zu viert in der Familie unterhalten. Und auf einmal sprachen fremde Männer mit mir, einem neunjährigen Kind. Sie fragten mich, wie es mir gehe, womit ich spiele. Es war ein ganz normales Gespräch, obwohl ich einen gelben Stern auf der Brust hatte. Für mich war das wie ein Wunder.“
Im Jahr 1944 wurde der Vater Hugo Jokl deportiert.
„Die Juden aus gemischten Ehen wurden auf dem Hagibor in Prag versammelt. Dort blieben sie bis Januar 1945. Wir konnten meinen Vater nicht besuchen, weil wir nicht mit dem Zug fahren durften. Dann wurden sie nach Theresienstadt überführt, glücklicherweise nicht mehr weiter in andere KZs, weil sich der Krieg dem Ende zuneigte. Wir in Tábor wurden am 9. Mai befreit, mein Vater kehrte aber noch nicht gleich zurück. Wir wussten nicht, was mit ihm los war. Dann stellte sich heraus, dass in Theresienstadt eine Typhus-Epidemie ausgebrochen war und niemand die Stadt verlassen durfte. Er kam erst Ende Mai zu uns, schrecklich abgemagert. Doch sein Wille, wieder an einer Schule zu unterrichten, war so stark, dass er gleich im September damit begann.“
Nach dem Krieg unterrichtete Jokl am Gymnasium in Tábor und später noch in Soběslav / Sobieslau.
Esperanto
Ein besonderes Kapitel im Leben von Hugo Jokl war sein Interesse für Esperanto. Er sprach diese Kunstsprache gut und versuchte, sie weiterzuverbreiten. In den 1920er Jahren gründete er am Komenský-Gymnasium in Wien den Esperantoklub Bohema Klubo und unterrichtete die Sprache als Wahlfach. 1925 wurde er vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und Unterricht zum Mitglied der Prüfungskommission für Esperanto-Staatsprüfungen ernannt.
„Mein Vater hatte früher einmal ein Plakat gesehen für einen Esperanto-Kongress. Darauf kaufte er sich ein Lehrbuch, stieg in den Zug zum Kongress ein, und bevor er am Ziel war, konnte er bereits Esperanto. Vor Ort diskutierte er dann mit Menschen aus der ganzen Welt in der Sprache. Diese Idee begeisterte ihn, dass Menschen von überallher sich verständigen können. In den 1930er Jahren fuhr er jedes Jahr zum Esperanto-Kongress und machte dadurch viele Bekannte. Das hat uns nach dem Krieg sehr geholfen: Meine Mutter war in Folge des Stresses, den sie im Krieg erlitten hat, sehr kränklich, sie litt an Herzproblemen. Mein Vater stand im Briefwechsel mit seinen Esperanto-Freunden unter anderem aus Holland, der Schweiz und auch aus Montevideo. Sie schickten ihm Medikamente für meine Mutter, die hierzulande nicht zu bekommen waren. Nur so konnte sie bis 1977 leben, andernfalls wäre sie gleich nach dem Krieg gestorben.“
Hugo Jokl selbst starb 1960 im Alter von 68 Jahren. Gemäß seinem Wunsch wurde er im Familiengrab bestattet auf dem jüdischen Friedhof in Pacov.