Auf Schloss Loučeň wird die Geschichte des Weihnachtsbaums erzählt

Film-Baum

Viele Bräuche in der Adventszeit sind leider auch in diesem Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. Weihnachtsmärkte wurden untersagt, Konzerte oder Adventsingen fanden in geringerer Zahl oder mit weniger Besuchern statt. Es gibt aber auch Orte, an denen die weihnachtliche Tradition unbeirrt zelebriert wird. Ein Beispiel dafür ist der mittelböhmische Marktflecken Loučeň, auf dessen Schloss noch bis Mitte Januar die Ausstellung „Die Geschichte des Weihnachtsbaums“ zu sehen ist.

Ausstellung soll an Errungenschaften der Ersten Republik erinnern

Schloss Loučeň mit dem größten Adventskranz in ganz Tschechien | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Das Schloss Loučeň ist in diesen Tagen in ein weihnachtliches Gewand gehüllt. Das Eingangstor zum Schlosspark ist von einer Lichterkette erhellt, die Grünfläche vor dem Schlosseingang wird durch den größten Adventskranz in ganz Tschechien verziert. Er hat einen Durchmesser von 16 Metern. Zu den Exponaten der Ausstellung begleitet uns die Verkaufsleiterin der Betreiber-AG Zámek Loučeň a.s., Lenka Koubková. Wir beginnen im Foyer.

In der Eingangshalle wurde ein Weihnachtsbaum mit der Spitze nach unten aufgehängt | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

„Hier, an der Decke der Eingangshalle, wurde ein Weihnachtsbaum mit der Spitze nach unten aufgehängt. Er dient auch als Piktogramm für unsere Ausstellung. Der Baum ist in den tschechischen Nationalfarben Rot, Weiß und Blau geschmückt, weil das Motto der Ausstellung an die Erste Republik erinnern soll“, informiert Koubková.

Weihnachtsbaum mit Äpfeln | Foto: Loreta Vašková,  Radio Prague International

Die Ausstellung „Přiběh vánočního stromečku“ – zu Deutsch: Die Geschichte des Weihnachtsbaums – wird zum vierten Male im Schloss veranstaltet. Jedes Jahr hat sie ein anderes Motto. In diesem Jahr sind es die Errungenschaften aus der Zeit der jungen Tschechoslowakei. Diese Epoche dauerte von 1918 bis 1938 und wird hierzulande als Erste Republik bezeichnet. Mit entsprechenden Utensilien und Symbolen wurden insgesamt 21 Weihnachtsbäume dekoriert.

Der erste natürliche Baum soll an die biblische Erzählung von Adam und Eva erinnern und ist deshalb ausschließlich mit Äpfeln dekoriert. Doch gleich nach ihm erstrahlt ein Kunstbaum in hellem Schein:

Maisbaum | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

„Der nächste Baum soll auf alle die Lichter aufmerksam machen, die wir zu Weihnachten haben. Zu sehen ist ein Baum mit LED-Lampen, daneben sind aber ebenso Kerzen ausgestellt. Es sind alte Kerzen, die aus unterschiedlichen Materialien hergestellt wurden, wie sie die Menschen früher benutzt haben.“

Im ersten Stock wird man sogleich von einem Gewächs überrascht, das verblüffend weihnachtlich daherkommt, der sogenannte Maisbaum. Dazu sind alle Figuren, die ihn verzieren, aus rein natürlichen Pflanzenbestandteilen wie eben Maisblättern entstanden. Zur Anfertigung der Figürchen hat Lenka Koubková auch eine nette Geschichte parat:

Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

„Die Frau, die diesen Baum geschmückt hat, erzählte mir, dass diese kleinen Figuren von einer Oma aus dem Erzgebirge gefertigt wurden. Diese Dame ist schon 80 Jahre alt, doch alles von ihr hier ist handgemacht. Der Opa hat geholfen, indem er die Augen und Münder der Figürchen malte.“

Der Baum ist in dem Zimmer aufgestellt, in dem die damaligen Kammermädchen gebügelt haben. Damit wolle man darauf aufmerksam machen, dass das ziemlich arme Dienstpersonal den Schmuck für den Weihnachtsbaum ebenfalls selbst hergestellt habe, ergänzt Koubková.

Perlenbaum | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Im nächsten Raum wird man von den Klängen aus einer alten Musikschachtel unterhalten. Hier steht der Perlenbaum, der mit Glasperlen einer renommierten tschechischen Firma dekoriert ist. Und auch im Nebenraum trifft man auf Baumschmuck aus Materialien eines großen Unternehmens:

Gummibaum | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

„Auf Tschechisch ist das der Baum ‚Gumárenský‘, auf Deutsch vielleicht der Gummibaum. Er soll aber nicht wie ein Tannenbaum aus Gummi ausschauen, sondern er heißt deswegen so, weil hier ebenfalls eine kleine Ausstellung mit Produkten von Tomáš Baťa zu sehen ist.“

Foto: Loreta Vašková,  Radio Prague International

Tomáš Baťa ist ein ehemaliger berühmter Schuhfabrikant, der einst im mährischen Zlín seinen Sitz hatte. Bei der Schuhherstellung gab es massenhaft Gummiabfälle, aus denen unter anderem dekorative Weihnachtsutensilien gefertigt wurden. Und jene, die man auf Schloss Loučeň bestaunen könne, hätten zudem einen historischen Wert, betont Koubková:

„Das sind Originale aus dem Jahr 1936, also etwas besonders Altes.“

Zeit voller Noblesse: Vom Filmschaffen bis zum Bierbrauen

Film-Baum | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Weit in die Vergangenheit zurück blickt man auch, wenn man vor dem sogenannten Film-Baum steht. Er erinnert an das Filmschaffen in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit und später. Dementsprechend sind die am Baum hängenden Kristallkugeln mit den Porträts einstiger Schauspielerinnen und Schauspieler versehen, von denen Lenka Koubková auch heute noch schwärmt:

„Ich kenne diese Schauspieler noch gut. Unsere Omas und Opas haben sie geliebt. Und die Filme waren so herzlich. Die Erste Republik hatte wirklich noch Noblesse.“

Nach dem besinnlichen Rückblick in die gute alte Film-Zeit gelangt man als Nächstes in einen Raum, in dem es hingegen sehr dynamisch zugeht.

Baum des Maschinenbaues | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

„Wir sehen hier den strojírenský stromeček“, sagt Koubková.

Was übersetzt so viel heißt wie: der Baum des Maschinenbaues. Mit ihm sollen die Errungenschaften dieses Industriezweiges gewürdigt werden. Und dies sind nicht wenige, da die Tschechoslowakei stets zu den führenden Industrienationen Europas gehörte und das heutige Tschechien daran anknüpft. Deswegen sei der Baum auch mit Bestandteilen eines tschechischen Metallbaukastens geschmückt, erläutert Koubková:

„In den 1970er Jahren war der Metallbaukasten von Merkur sehr beliebt. Extra für uns wurde der Baum mit einer Konstruktion aus Merkur-Bauteilen geschaffen. Was Sie hier sehen, gibt es nirgendwo anders.“

Weihnachtsbaum mit Kugeln aus böhmischem Brokat | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Genauso wie die bereits genannten Wirtschaftszweige ist auch die hiesige Textilindustrie mit einem eigenen Weihnachtsbaum vertreten. Er ist mit Kugeln aus böhmischem Brokat geschmückt. Außerdem darf dann auch nicht der Baum fehlen, der auf das weltweit wohl bekannteste Produkt aus Tschechien verweist:

„Das Bierbrauen ist typisch für die Tschechen. Und wenn man irgendwo in der Welt sagt, dass man aus Tschechien ist, bekommt man oft als Erstes zu hören: Aha, Pilsener Urquell! Deswegen steht hier auch unser Bierbaum.“

Der Baum ist entsprechend dekoriert, und zwar mit ausgeblasenen kleinen Biergläsern, die den hierzulande typischen Halb-Liter-Krug symbolisieren sollen. Die gläsernen Krüglein schmücken den Baum fast vollständig – also ebenso reichlich, wie der holde Gerstensaft in Tschechien konsumiert wird.

Bierbaum | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Fabel vom goldenen Schweinchen bis Filmmärchen von Aschenbrödel

Auf einmal huscht in einer Lichtanimation ein lustiges Tier über eines der großen Gemälde | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Doch der Schlosssaal, in dem wir uns jetzt befinden, hat noch mehr zu bieten. Auf einmal huscht in einer Lichtanimation ein lustiges Tier über eines der großen Gemälde. Lenka Koubková kennt die Geschichte dazu:

„Bei der Führung haben die Besucher ebenso die Möglichkeit, das goldene Schweinchen zu sehen. Ich weiß nicht, ob das ebenfalls in Deutschland so ist, aber hierzulande liegt dem ein Ritual zugrunde. Es besagt, dass die Kinder, wenn sie am 24. Dezember tagsüber kein Fleisch essen, am Abend dann das goldene Schweinchen sehen.“

Foto: Loreta Vašková,  Radio Prague International

Überhaupt kommen bei dieser Ausstellung auch Kinder auf ihre Kosten. Ganz besonders in jenem Raum, der extra für sie eingerichtet wurde. Am Baum hängen kleine Kugeln in Form von Weihnachtsmannfiguren, doch ebenso reichlich Lollis und andere Süßigkeiten. Es soll aber nicht zügellos davon genascht werden, sondern hier gibt es vor allem Wissenswertes zu erfahren. An einer Tafel ist nämlich eine Europa-Karte angebracht, auf der bei bestimmten Ländern auch die für sie typischen Figuren eingezeichnet sind. Es sind die Äquivalente des tschechischen „Ježíšek“, also des Christkinds oder des deutschen Weihnachtsmanns. Kurzum, die Kinder sollen wissen, wer ihnen in welchen Ländern oder Regionen die Geschenke bringt:

Sankt-Wenzeslaus-Baum | Foto: Loreta Vašková,  Radio Prague International

„Jeder unserer Schlossführer erzählt eine Geschichte, warum in Tschechien das Christkind kommt, wieso in einigen Teilen Italiens eine alte Witwe namens ‚Befana‘ die Weihnachtsgeschenke bringt, aber anderswo der Schwarze Peter oder Father Christmas. Für die Kinder ist das ziemlich interessant.“

Wir treten in ein weiteres Zimmer, aus diesem ertönt Musik. „In diesem Raum ist der Sankt-Wenzeslaus-Baum ausgestellt. Er soll an das Weihnachtslied über den Heiligen Wenzel erinnern. Am Baum hängen unter anderem Kugeln, auf denen kurze Textzeilen des Liedes geschrieben stehen.“

Weihnachtsbaum,  der mit zahlreichen Medaillen behängt ist | Foto: Loreta Vašková,  Radio Prague International

Es sind Textzeilen in englischer Sprache. Der Grund dafür sei naheliegend, denn dieses Lied sei in den angelsächsischen Gebieten Europas bekannt geworden und werde dort auch heute noch viel häufiger gespielt als beispielsweise in Tschechien, merkt Koubková an.

Die Führung im ersten Stock des Schlosses wird indes von einem Baum abgerundet, der mit zahlreichen Medaillen behängt ist. Dies hat natürlich auch einen Grund:

„Es ist der olympische Baum. Hier befinden sich insgesamt 79 Goldmedaillen, 89 Silbermedaillen und 98 Bronzemedaillen. Das sind alle Medaillen, die wir als Tschechoslowaken seit 1918 bei den Olympischen Spielen gewonnen haben.“

Glasbläserbaum | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

Die Plaketten, mit denen der Baum und ebenso die daneben hängende Vitrine dekoriert wurden, sind natürlich nicht die Originalmedaillen, die die Sportlerinnen und Sportler der Tschechoslowakei und dem heutigen Tschechien errungen haben. Aber die Umsetzung des Vorhabens, einen Baum auf diese Weise zu schmücken, hat selbstredend viel Mühe bereitet. Diese bringen die Angestellten der Betriebsgesellschaft indes gerne auf, wollen sie den Besuchern des Schlosses doch nach Möglichkeit ein echtes Erlebnis bieten und nicht nur veraltete Ausstellungsstücke. Die Ideen für die Weihnachtsausstellung werden bereits zum jeweiligen Jahresbeginn geboren. Dabei wird auch festgelegt, welche davon man selbst realisieren kann und für welche Zwecke man externe Künstler ansprechen will. So wie beispielsweise das Rentner-Ehepaar aus dem Erzgebirge, das – wie geschildert – den Schmuck für einen der 21 Bäume dieser Ausstellung handwerklich gefertigt hat.

Sind wir damit aber schon am Ende unseres „Bäumchen-wechsle-dich-Spiels“? Mitnichten, denn eine kleine Überraschung hat Lenka Koubková bei ihrer Führung noch in der Hinterhand.

Aschenbrödel-Baum | Foto:  Schloss Loučeň

Im letzten Raum vor dem Übergang zum Souvenirshop des Schlosses können die Besucher – insbesondere aber alle Romantiker, die Märchenfilme zu Weihnachten lieben – noch die drei Bäume bewundern, die nach dem berühmten Märchen ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel‘ benannt sind. Sie erinnern zudem an die leider in diesem Jahr verstorbene Schauspielerin Libuše Šafránková.

Zur Gestaltung der Bäume selbst sagt Koubková:

„Die Bäume wurden so geschmückt wie die Kleider, die Aschenbrödel in den Nüsschen gefunden hat.“

Aschenbrödel-Baum | Foto: Tschechisches Fernsehen

Sie sind also dem Kostüm des Jägers nachempfunden sowie dem Ball- und dem Hochzeitskleid. Mit der Hochzeit von Aschenbrödel und dem Prinzen endet bekanntlich das Märchen und damit auch dieser Beitrag zur Ausstellung „Die Geschichte des Weihnachtsbaums“ auf Schloss Loučeň in Mittelböhmen.

Sollte Sie unser Beitrag inspiriert haben, die Exposition zu besuchen, hier noch der Hinweis: Sie läuft noch bis 17. Januar 2022.

10
50.287050000000
15.024408330000
default
50.287050000000
15.024408330000
Autor: Lothar Martin
schlüsselwort:
abspielen