„Manchmal weine ich mit den Menschen“ - Fotografin Zímová in der Ukraine
Iva Zímová begann zu fotografieren, nachdem sie Anfang der 1980er Jahre aus der Tschechoslowakei nach Kanada geflüchtet war. Mit der Kamera in der Hand dokumentierte sie das Leben in Peru, in chinesischen Dörfern, in Afghanistan, Kasachstan sowie die Kriegskonflikte in Tschetschenien und im Kosovo. In den vergangenen Monaten hat die Fotografin Kiew, Lwiw, den Donbas sowie Dnipro, Mariupol und weitere ukrainische Städte besucht. Zímová wird von der Fotoagentur Panos Pictures vertreten. Sie arbeitet mit der tschechischen Tageszeitung Deník N zusammen. Vor kurzem ist die Fotografin für einige Tage nach Tschechien zurückgekehrt. Bei dieser Gelegenheit war sie in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks zu Gast. Martina Schneibergová hat die interessantesten Passagen aus dem Rundfunkgespräch zusammengefasst.
Iva Zímová kennt die Ukraine sehr gut, denn seit den 1990er Jahren hat sie das Land oft besucht. Als die Ukraine unabhängig wurde, sei sie sofort dorthin gereist, merkt die Fotografin an.
„Seit den 1990er Jahren hat sich die Ukraine stark geändert. Städte wie beispielsweise Mariupol waren herrlich. Es gab dort große Parks, schöne Restaurants, die Menschen waren sehr nett. Die Ukraine ist seit den 1990er Jahren – trotz der Korruption, die es dort gab – sehr vorangekommen. Es ist ein großes Land, die Bewohner sind sehr fleißig. Auch in kleinen Dörfern gibt es schöne Ecken, in denen man einen guten Kaffee bestellen kann, überall besteht ein Internet-Anschluss. Es ist ein europäisches Land.“
Ihr mangele es an Worten, um zu beschreiben, was sie alles nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine gesehen habe, sagt Iva Zímová:
„Manchmal glaubte ich, es sei nur ein Albtraum. Die Frontlinie verläuft überall. Man weiß nicht, wohin die Bomben beim nächsten Mal fallen, wo geschossen wird. Alles ist ein Gefahrengebiet.“
Die Fotografin schildert, wie sie mit einem slowakischen Freiwilligen die Städte Sewerodonezk und Lyssytschansk besuchte. Sie seien dabei gewesen, als die Bewohner aus den zerstörten und brennenden Häusern mit Bussen und Autos evakuiert wurden. Ein Mann habe sich geweigert, mit dem Bus zu fahren, er wollte zum Bahnhof gebracht werden, so Zímová.
„Er sei Eisenbahner, sagte er, auf dem Bahnhof werde nicht geschossen. Autos hielt er für unsicherer. Er fuhr also zum Bahnhof. Am nächsten Tag wurde der Bahnhof von Kramatorsk von den russischen Raketen getroffen. Wir haben an diesen Mann gedacht und ob er überlebt hat. Man fühlt sich dort nirgendwo sicher.“
Gut organisierte Freiwillige
Iva Zímová hat auch bei den Menschen gelebt, die sie fotografiert hat – egal ob es die Inuit in Kanada waren oder die Bewohner des rumänischen Banats. Wenn sie sich in den vergangenen Monaten an einem Ort in der Ukraine länger aufgehalten habe, habe sie die dortigen Freiwilligen kennengelernt, erzählt sie.
„Es ist unglaublich, wie geschickt sie sind. Zu Beginn gab es ein wenig Chaos, aber mittlerweile sind die Freiwilligenteams sehr gut organisiert. Zum Beispiel bin ich mit ihnen nach Charkiw gefahren. Ich fing an, Porträts der Freiwilligen zu fotografieren und habe sie danach gefragt, warum sie sich engagieren. Die Antworten waren sehr interessant. Einer der sehr jungen Freiwilligen erzählte, er hätte sich der Armee anschließen wollen. Da er aber nie eine Waffe in der Hand gehalten habe, sei ihm empfohlen worden, als Freiwilliger zu helfen. Die Menschen wollen dort alle irgendwie helfen. Denn es ist ihr Land, und sie sind darauf stolz. Ich habe damals auch Geflüchtete fotografiert, die mit zerschossenen Autos aus Mariupol oder Berdjansk nach Saporischschja kamen. Als die Menschen ihre Erlebnisse schilderten, standen mir die Haare zu Berge.“
Zímová schildert, dass sie bei den vielen Begegnungen im Donbas nur einmal jemanden getroffen habe, der auf russischer Seite stand. Es sei eine Frau in der Kleinstadt Marjinka gewesen, die gesagt habe, Putin mache nur Ordnung…
„Ich wäre froh, wenn ich sie jetzt wieder fragen könnte. Aber ich habe keinen Kontakt zu ihr, denn sie hatte keine E-Mail-Adresse oder so etwas. Ansonsten habe ich Kontakte zu vielen Geflüchteten sowie zu denjenigen, die in der Ukraine geblieben sind, und kann sie fragen, wie es ihnen nun geht. Mich würde interessieren, was die Frau heute sagen würde, denn die Stadt Marjinka ist inzwischen vollständig zerstört.“
Zímová hielt sich zusammen mit einem Berichterstatter des Tschechischen Rundfunks und einem weiteren Reporter längere Zeit auch in Mariupol auf.
„Wir haben darüber nachgedacht, wann wir die Stadt verlassen sollten. Als wir mit dem Auto aus der Stadt fuhren, wurde dort ein russischer Checkpoint eingerichtet. Wir sind also in letzter Minute verschwunden.“
Das Fotografieren unter solchen Bedingungen ist laut Zímová eine sehr aufwühlende Sache. Seit den 1990er Jahren habe sie die Ukraine immer wieder besucht, so die Fotografin:
„Ich kenne das Land sehr gut. Ich war dabei, als die Wahlen in Luhansk stattfanden. Auf der Krim war ich noch vor der russischen Annexion. Für mich ist es sehr emotional. Ich erlebe es wie die Ukrainer.“
Kann ein Fotograf unter diesen Bedingungen überhaupt irgendwie Abstand halten? Iva Zímová:
„Manchmal weine ich mit den Menschen. Ich muss auch ihre Geschichten kennen. Als Deník N noch keinen Reporter in der Ukraine hatte, habe ich die Gespräche aufgezeichnet. Ich hielt mein Smartphone in der Hand, anschließend schoss ich einige Fotos. Manchmal umarmte ich die Menschen oder hielt wenigstens ihre Hand. Es war sehr bewegend. Wenn ich danach die Fotos bearbeitet oder die Gespräche für mich übersetzt habe, hat mich das alles nochmals sehr berührt.“
Die Fotografin merkt an, beim Kontakt mit den Menschen sei es wichtig, wenigstens ein bisschen ihre Sprache zu sprechen…
„Ich spreche nicht besonders gut Russisch, denn wir wollten nach der Besetzung der Tschechoslowakei 1968 die Sprache der Okkupanten natürlich nicht lernen. Meine Oma behauptete jedoch, es sei wichtig, die Sprache des Feindes zu kennen. Aber als Teenager hatte ich dafür wenig Verständnis.“
„Ukrainer sind stärker geworden“
In wie weit haben sich die Ukrainer seit dem russischen Einmarsch verändert? Die Fotografin:
„Die Stimmung hat sich schon 2014 nach dem Maidan geändert. Mich hat überrascht, wie gut organisiert die Ukrainer sind und dass die Bürgermeister der bombardierten Städte vor Ort geblieben sind. Es sind hervorragende Leute.“
Iva Zímová ist überzeugt, dass die Ukrainer während des Kriegs psychisch stärker geworden sind.
„So viele Menschen sind gestorben, und es gibt keinen Weg zurück. Ich meine, dass sich die Ukrainer gegenseitig unterstützen. Es gibt dort rund 8000 Freiwillige, die geholfen haben, Menschen aus Mariupol, Charkiw und anderen Städten zu holen. In jeder Stadt gibt es ein Team von Freiwilligen. Sie bemühen sich, die Bevölkerung mit Lebensmitteln und den notwendigsten Sachen zu versorgen. Es wird Hilfe aus dem Ausland geliefert, aber auch die Ukrainer selbst spenden Sachen für ihre Mitbürger. Ich denke, Putin hat ein gutes und starkes Volk geschaffen.“
Der Fotografin zufolge verstehen die Bewohner der Ukraine immer noch nicht, warum die Russen sie angegriffen haben, warum sie das Land besetzen wollen.
„Denn dort leben viele Russen. Vitalik, der uns manchmal geholfen hat, hat eine Oma in Russland. Als er ihr während eines Telefongesprächs schilderte, was in der Ukraine passiert, sagte sie, er lüge. Nach zwei Wochen rief sie ihn wieder an und erklärte, sie wolle nicht über Politik sprechen. Vitalik stellte ihr die Frage: ,Wie kann ich über Politik schweigen, wenn die Russen uns bombardieren, morden und vergewaltigen.‘ Und die Oma blieb still, sie wusste keine Antwort.“
Iva Zímová hat drei Monate lang in der Ukraine verbracht und will in das Land zurückkehren. Sie möchte gern dokumentieren, wie es den Geflüchteten geht, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückgekommen sind. Was die weitere Entwicklung betrifft, ist diese ihren Worten zufolge schwer abzuschätzen.
„Ich hatte immer das Gefühl, dass sich Putin einen Krieg gegen die Nato, gegen den Westen wünsche. Denn er provozierte viele Jahre lang, hat immer ein Gebiet besetzt – und wir haben nur genickt und zugesehen. In Syrien hat Putin Chemiewaffen eingesetzt. US-Präsident Obama versprach zwar, etwas zu unternehmen, aber es passierte nichts. Anschließend bombardierte Russland Krankenhäuser, Schulen und Kulturdenkmäler in Syrien, genauso wie jetzt in der Ukraine.“
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Radio Prague International berichtet über den Krieg in der Ukraine